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Caroline von Schelling to Luise Gotter

Mainz 20. Aprill [17]92.
Dies ist ein Supplement zu dem Brief an Wilhelmine, den ich eben endigte, weil der Bogen aus war – oder jener eines zu diesem – wie Du wilst – laß Dichs nur nicht irren, daß ich, wie ich eben sah, verkehrt angefangen habe – es können doch gute Sachen darauf stehn. – Mirabeau hat in seinem Kerker die göttlichsten Dinge auf Stückchen Papier geschrieben, die er von gedruckten Büchern abriß – erwart aber nur ja nichts dergleichen – im Verhältniß, als meine Anstalten beßer sind, werden die Sachen schlechter seyn. Dir liegt auch nur drau zu wißen, wie es der Frau Eigensinn ergeht, die bey Deinem Mann den Spottnahmen der Kalten bey einer Gelegenheit davon getragen hat, die eben nicht von ihrer Kälte zeugte. Im Grund hält er mich doch für eine Schwärmerinn – nicht wahr? – und Du liebes gutes Weib dazu? Schwärmerey nimt so viel Gestalten an, daß ich die Kühle meiner Ueberlegungen, nicht dagegen anzuführen wage – aber was ist übles dabey, wenn sie sich so menschlich, ohne irgend ein auffallendes Schild auszuhängen, vielmehr im Schleyer der stillsten Gewöhnlichkeit mit der Wirklichkeit vermählt? Dann ist doch diese Schwärmerey nur die eigenthümliche, höchstens in etwas abweichende Natur des Menschen. Ich bin nun hier seit 8 Wochen, und habe recht – es ist viel, das zum Anfang eines Aufenthalts an einen ganz fremden Ort zu sagen, wo man sich unmöglich schon seine ganze Existenz gemacht haben kan. Auch fühl ich, das ichs noch nicht habe, und mehr Beschäftigung mir gut thun würde. Die Zeit wird mehr Mannichfaltigkeit in meine Art zu seyn bringen, weil sie Bande anknüpfen wird. Kein Augenblick geht leer vorüber – meine Theilnehmung an Forsters Haus, Fleiß, Lecktüre und das Kind – das ist schon sehr viel – aber ich war so gewohnt für mehrere zu sorgen, in mehreren zu genießen! Halt das nicht für Unzufriedenheit – sieh es nur als einen Beweis an, daß weit davon entfernt, daß das neue meiner Lage mich blenden sollte, ich ihre Mängel sehe – aber sie sind nothwendig, sind geringer als die schweren Uebel der vorigen, und von einer Art, daß jeder Gegenstand, der sich der unruhigen Thätigkeit darbietet – jede einzelne Freude und Arbeit sie hebt. – Den Frühling hab ich schon in den schönsten Spazierfahrten und Gängen genoßen – er ist aber ja wieder auf eine Weile verschwunden. An meiner Kleinen hab ich mehr Freude wie jemals. Kurz, ich kan Dir sagen, es ist alles wie ich erwartete. Wir können noch sehr lebhafte Sceenen herbekommen, wenn der Krieg ausbrechen sollte – ich ginge ums Leben nicht von hier – denk nur, wenn ich meinen Enkeln erzähle, wie ich eine Belagerung erlebt habe, wie man einen alten geistlichen Herrn die lange Nase abgeschnitten und die Demokraten sie auf öffentlichen Markt gebraten haben – wir sind doch in einem höchst interreßanten politischen Zeitpunkt, und das giebt mir außer den klugen Sachen, die ich Abends beym Theetisch höre, gewaltig viel zu denken, wenn ich allein, in meinen recht hübschen Zimmerchen in dem engen Gäßchen sitze, und Halstücher ausnähe, wie ich eben thue. In meiner Nachbarschaft wohnen eine Menge Franzosen – man hört und sieht das Volk allenthalben – die Männer sind im Durchschnitt schöner wie die Teutschen, haben ein spirituellers Ansehn, und derselbe Grad von Verdorbenheit hat nicht so den Charakter von stumpfer schlaffer Abgelebtheit – unter den Weibern sah ich noch keine, die halb so liebenswürdig und einfach gewesen wär, als meine französische Bekante Mad de Liocon in Gött[ingen], das einzige nebst ihrem kleinen Zirkel, was ich dort regrettirte. – Die Leute machens hier theuer – für Familien wenigstens – bey meiner Einrichtung fühl ich wenig davon – mein Logis ist auch wohlfeil, die sonst jezt, nebst Handwerkern, die für Ameublement arbeiten, sehr hoch im Preis stehn – nebst der Wäsche, Holz und allen Lebensmitteln außer Brod und Fleisch.
Gelesen hab ich schon viel, und was mehr ist, viel Gutes. – Kent Ihr Mirabeaus Briefe, aus dem Kerker an seine Geliebte geschrieben? ich glaube, Reichard übersezt sie – unter uns, wie will das der kraftlose Mensch anfangen den Aeußerungen des Kraftvollsten Sprache zu geben? oder die in eine andre zu übertragen, die im Original, so unaufhaltsam aus der Quelle strömend, zu der Seele, zu dem Herzen, zu den Sinnen redet. Liebe Madam Luise, Du köntest doch auch dergleichen lesen, wenn Du Deine Kleinen, die Dir im Schauspielerakzent vorgelärmt haben, zu Bett geschickt hast – aber ich weiß dann wirst Du müde, und forderst im Schlaf Ketterchen das Gänsebein ab – um es mir mit auf den Weg zu geben – denn Du Gute sorgst für Deine nahen Freunde und bekümmerst Dich nicht um einen häßlichen Böswicht, wie der außerordentliche Mirabeau war, der für tausend andre ehrliche Leute noch Tugenden, Talente und Kräfte übrig hatte, und zu viel wahren Geist um im Ernst ein Böswicht zu seyn, wie mans aus einzelnen Zügen schließen möchte. Häßlich mag er gewesen seyn, das sagt er selbst oft in den Briefen – doch hat ihn Sophie geliebt, denn Weiber lieben gewiß nicht vom Mann die Schönheit – und doch imponirte der häßliche Mann auch durch sein Aeußres der aufrührerischen Menge, nachdem er einige Stunden Toilette gemacht hatte, ehe er in die Nationalversammlung ging. Aber er soll mir hier nicht allen Plaz wegnehmen – der groß Cophta muß noch den seinigen haben, und der muß recht weit und breit seyn, denn es ist die Art leerer Helden, vielen einzunehmen. Ich bitte Dich, wie komt er Euch denn vor? Forster bekam ihn am ersten Aprill von Göthe geschickt, und that einen Sprung vom Stuhl auf, als wäre sein Heiland gekommen – denn wer würde da nichts Gutes erwarten, sey es auch in der simpelsten unscheinbarsten Einkleidung – aber diese da – diese so ganz unbedeutende Behandlung, wo beynah muthwillig alle benuzbarn Situationen weggeworfen sind – ein bloßes Gelegenheitsstück – mich deucht, es kan nur auf die Wirkung thun, auf welche Cagliostro selbst Wirkung gehabt hätte, als der plumpe Betrüger, wie er hier erscheint – und das ist ja wohl eine Art von Lob für das Stück. Göthe ist ein übermüthiger Mensch, der sich aus dem Publikum nichts macht, und ihm giebt was ihm bequem ist. Schreib mir doch ja, ob es ein andres Urtheil über die Sache giebt. In der Vorstellung nahm sichs, mit Hülfe der aegyptischen Loge, wohl beßer aus. – Emilie Berlepsch hat ein ungeheures Unwesen mit Vorlesen in Göttingen getrieben – sie hat unter den jungen Herren dazu geworben, denn sie lasen Schauspiele und die Rollen wurden vertheilt – und hat die alten gelahrten Herren mit aristokratischen Zauberkünsten gezwungen von 5-12 Uhr Don Carlos anzuhören, bey welcher Gelegenheit sie seine Existenz erfahren haben. Ich war nicht dabey, denn ich war keinesweges artig gegen Emilien gewesen, und hatte mich nur gegen sie betragen wie gegen eine gewöhnliche Dame von Stande – dafür hat man mich – in Betracht unsrer ehemaligen Bekantschaft – schmälich hindangesezt. Die Franzosen fanden sie mit ihrer Elisabethstracht aus dem Carlos – auf dem Ball – horrible! Du weißt, daß Spanische Tracht und Modestie viel erlaubt, was unsere Halstücher Sucht verbietet – sie hat mit einem Feuer getanzt, das ihren Sohn, den lieben Jüngling, beschämte. Man schreibt mir eben aus Hannover, daß ein sehr naiver Junge in großer Gesellschaft folgendermaßen das Wort an sie gerichtet hat – gnädige Frau, Sie sind doch Liebhaberin von solchen Neuigkeiten – nun von welchen? – man sagt – Sie hätten den 2ten Theil des Donamar hier supprimirt. – Man behauptet nehmlich, die Laurette im D., der im 2ten Theil noch unter die unreifen Anlagen des ersten hinabgesunken ist, sey eine Copie von ihr, die der alberne Boutterweck im Grimm aufgestellt habe – Du kanst Dir die Wuth vorstellen. – Sie ließt jezt Medea, in Hannover vor einem auserwählten Auditorium – Klingers Medea nehmlich, die sie in Göttingen vor einem sehr gemischten profanirt hat, wo einer von den Herren anmerkte – Medea hätte den Jason doch recht unter dem Pantoffel gehabt – wie das alles einem gesunden Sinn wiedersteht.
In unserm Haus in Göttingen hängt der Himmel voll Hochzeits Geigen – der Alte ist entzückt von der Schwiegertochter, und der junge ist noch des Sinnes sie zur Frau zu haben, welches nach der Messe unwiederruflich gemacht werden wird. Nun, Ihr Götter, seyd gepriesen – und schickt für Louischen auch einen – der zur Bravheit nichts fehlt, als eines braven Mannes Frau zu seyn.
Die schönen Geister haben ein großes Skandal gegeben – Bürger steht vor der Welt zur Schau mit seiner Musenallmanachs Liebschaft, und hat sich mit Boutterweck gezankt, weil die Briefe an seine Frau unter deßen Couvert gingen – es sind auch edle Thaten. Wo die Dame ist, weiß niemand. – Habt Ihr von Meyer nichts gehört, der so richtig dem guten Bürger sein Schicksaal prophezeihte? Voß in Berlin kündigte Forstern Darstellungen aus Italien an von Meyer – er dachte der närrische Mensch hätte sich endlich zum Schreiben begeben – da kam das Buch in der elegantesten Form von der Welt statt eines abgeschabten Rockes, wie der Verfaßer voraussezen ließ – und war von Meyer in Hamburg, von meinem lieben Schwager. O Jemine! – ich bin dabey es zu lesen und zu loben – was mir so trocken abgeht, wenn der Geist mich nicht treibt. Adieu, bestes liebes Weib – für Dich sagt mir der Geist viel. Vergiß mich nicht und denke darauf, wie Du die Ufer des Rheines einmal begrüßen kanst – sie werden Dir Deinen Gruß lebendig zurückgeben, denn Deine alte Freundinn steht an der Brücke.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 20. April 1792
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Luise Gotter
  • Place of Dispatch: Mainz · ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 249‒254.
Language
  • German

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