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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Mainz d. 29. Juli [17]92.
Mit herzlichem Verlangen hab ich auf ein Lebenszeichen von Ihnen gewartet, und bekomme einen ungeduldigen kleinen Zettel, aus dem ich mir nichts zu nehmen weiß, als was ich nicht gern will. Ich habe Ihnen gleich antworten wollen, und es geschieht erst heute. Trauen Sie dem Anschein von Vergeßenheit nicht – man muß keinem – gar keinem Anschein trauen, lieber Meyer. Ich habe sehr oft an Sie gedacht, mich viel um Sie bekümmert – was thut es, daß Sie es nicht wißen, und es Ihnen nicht hilft? Mir selbst ist doch die Theilnehmung werth, die ich für Sie habe. Helfen sich Menschen überhaupt noch, die sich bis auf einen gewißen Punkt isolirt haben, so ist es nur durch eine gute Stunde, die sie sich durch eine freundschaftliche Unterhaltung machen – und das Vergnügen ist in der Abwesenheit so unvollkommen. Darum schwieg ich wohl, wenn ich gern geschrieben hätte – allein immer schweigen ist auch Thorheit.
Ich könte Ihnen sagen – wir haben viel an Sie gedacht – Sie wißen vielleicht schon, daß Amalie hier war, und das waren recht sehr vergnügte Tage, von denen nur der lezte, durch den plözlichen Tod von Theresens jüngstem Kind, einem Jungen, getrübt wurde, und uns allen Thränen gekostet hat. Amalie wird für sich selbst reden – sie sagte mir, daß sies bald thun wollte – ich habe die liebe Frau diesmal mehr wie in Gotha gesehen, und mich ihrer gefreut. Die Zusammenkunft des Deutschen Reichs hat so auch für uns zum Fest werden müßen – ohngeachtet es für unsern bürgerlichen Sinn eben keins seyn konte. Zuweilen dacht ich, Sie müßten bey der Ueberschwemmung von Fremden mit herbeyschwimmen – ich hätte Ihnen die Hand gereicht, und Sie heimlich in mein Haus geführt – aber ich habe nichts gesehn, das Ihnen ähnlich war. Wie Sie aussehn, errinre ich mich recht gut, so dick Sie auch geworden seyn mögen, wovon freylich viel verlautet. Ich werde hier auch stark, weil ich mich nicht ärgern und zanken darf, und zwischen dem 30 und 40sten Jahr hoff ich zu dem Rang einer holländischen Schönheit herangewachsen zu seyn. Ein Ingredienz von meinem Wohlseyn haben Sie mit diesem Geständniß – an häuslicher Ruhe fehlt mirs, in meinen einsamen kleinen Zimmern, mit meinem guten Mädchen, nicht. An mütterlichen Freuden auch nicht, denn sie verspricht ein liebes Geschöpf zu werden, das ich durch meine Behandlung gewiß nicht um seine Glückseeligkeit bringe. Man kan sich keine arglosere, neidlosere, frölichere Seele denken. Jedermann hat sie lieb – Therese zieht sie oft ihrer Kleinen vor, die durch Kränklichkeit verstimmt und schlaff geworden ist – Forstern nennt sie Väterchen – und er nimt sich ihrer recht väterlich an. Sie wird unter so viel beßern Eindrücken auferzogen, als es bisher in meiner Gewalt stand ihr zu geben – bey mir lernt sie, wie man sich allein beschäftigen, und wie viel man entbehren kan – und dort ist sie im Schooß einer Familie, und lernt Achtung gegen Menschen – Achtung gegen Männer fühlen. Es wird ihr bey den glücklichen Anlagen also nicht an weiblichen Tugenden fehlen – und um ihrentwillen allein könte mich der Entschluß hierher zu gehn schon nicht gereun. Meine Mutterpflicht war mein Leitfaden, seit meine Kinder keinen Vater mehr hatten – wenn dies Band riße, so würd ich einen ganz andern Weg gehn – ich müste viele andere wieder anknüpfen, wozu ich bisher die Lust nicht hatte – und wohl auch die Fähigkeit bald verlieren könte – Gott gebe, daß es nicht reißt. – Wie es mir weiter geht? – Von dem vorigen Ungemach ist jede Spur verschwunden, sogar die Errinnerung – ich weiß kaum mehr, daß es so wunderliche verdrehte Menschen gab, als ich vorzüglich in meiner lezten Situation kennen gelernt habe. – Die, die ich jezt sehe, sind gut, in mehr wie gewöhnlichem Grade, gewähren meinem Kopf mehr Nahrung als – er bedarf – oder eigentlich mehr als er ihnen wieder geben kan, und erleichtern meine Lage durch alle Dienstleistungen der Freundschaft. Sie genießen ihr Leben, in dieser schönen Gegend – sie arbeiten und gehn spazieren und ich theile das alles mit ihnen. Jeden Abend bin ich dort um Thee mit ihnen zu trinken, die interreßantesten Zeitungen zu lesen, die seit Anbeginn der Welt erschienen sind – raisonniren zu hören, selbst ein bischen zu schwazen – Fremde zu sehn u. s. w. Außer Forsters hab ich gar keinen Umgang. – Darinn hab ich vielleicht unrecht – aber ich mag keinen andern. F. ist mein Freund, wie Sie mirs voraussagten – ich erkenne alle seine Schwächen, und kan die nicht von mir werfen, ihm gut zu seyn – ich thue alles, was ihm Freude machen kan. Im Anfang drückte es mich, mich theilen zu sollen, zwischen der Neigung für ihn und meinem Gefühl für Therese, aber, nachdem ich klar eingesehen habe, daß alles grade so seyn muß, wie es ist, und nicht anders seyn kan, vereinige ich es recht gut, und bin gegen keinen mehr ungerecht. Zwar gegen Th. würde ich es nie seyn – ob ich gleich noch immer behaupte, daß sie mich nicht liebt – mich deucht, darinn hat sie unrecht – sie kan es in mehreren Dingen haben – aber Sie, mein bester Freund, haben doch auch nicht recht, und es ist vieles anders, als Sie es sich vorstellen. Ich habe nicht den Eifer Sie bekehren zu wollen, aber die Genugthuung bin ich ihr schuldig, zu sagen, daß ich es nicht so finde, wie Sie mich fürchten ließen – und ich schreibe nicht in den ersten vier Wochen. Mag die Welt sprechen! Kan das Meyern ein Beweis seyn, der gewiß schon der Fälle mehr erlebt hat, wo sie nie den rechten Fleck traf. – Theresens Gesundheit ist sehr gut – Forster seine würde es auch seyn, wenn er nicht so viel arbeiten müste – und mehr arbeiten könte. Ich habe mit ihm mehreremal von Ihnen gesprochen – wie ich denke – selbst darüber, wo ich Sie absolviren sollte – er ist ohngefähr meiner Meinung. Amalie, er und ich haben bey Tisch wieder unsers Wanderers Gesundheit getrunken. – Sehn Sie – Sie sind nicht vergeßen, und möge das Ihr hartes Herz erweichen.
Voß hat Forster geschrieben, daß Sie in Berlin sehr gute Connektionen haben durch Itzig, der mit Bischofswerder verbunden ist. Wie komt es denn, daß nichts glückt – mein stolzer Herr, Sie machen wohl keine Versuche – Sie ärgern wohl die Leute – und betrüben so Ihre Freunde, die nichts sehnlicher wünschen, als ein Joch über Ihren Nacken zu sehn, weil doch wahrlich ohne solch ein Joch noch weniger Gedeihn auf der Erde ist – wenn man nicht die Kunst des glücklichen Selims versteht, jedes Sümmchen um die Summe zu verdoppeln. Sie sind sorgenlos? – Können Sie es denn seyn – dann meinetwegen! Sind Sie vielleicht zu ehrlich – zu gottlos – für die jezigen Zeitläufte – à propos wer hat die Predigt in der Berliner Monatsschrift gemacht? Die war recht gut.
Ihre Uebersezung ist mir noch nicht vorgekommen – so viel ich auch lese. Sie wißen nicht, warum Sie Ihre Gedichte herausgeben? Ich denke, das Publikum wird so wenig fragen warum? wie ich gesonnen bin es zu thun, denn ich werde eine recht hübsche Ursache dafür finden.
Der 2te Theil von Forsters Ansichten ist beßer wie der erste – wandelt nicht so sehr auf Cothurnen – und unterrichtet. Mitunter schreibt er doch allerliebste Dinge.
Mir thät es auch Noth zu übersezen ums tägliche Brod – aber es ist noch nicht so weit gediehn, troz einiger Versuche. Sie glauben nicht, mit welcher Geduld ich alle solche fehlgeschlagne Plane ertrage, und fest auf die göttliche Vorsehung traue. – Alles schlägt mir fehl. – Wenn der Nebucadnezar nicht wäre, so kont ich jezt recht glücklich seyn. Sie sollen sehn, ich werde es niemals werden. Ist das nun wohl meine Schuld? Und dennoch zürnt meine milde Seele nicht mit dem Schicksaal – und trachtet nur darnach, sich auch das härteste zu versüßen. Es ist doch nicht zu läugnen, daß mir vieles fehlt – und wenn ich es tief im Herzen fühle, klag ich mich wohl am Ende darüber an. Nichts verzeih ich mir weniger als nicht froh zu seyn – auch kan der Augenblick niemals kommen, wo ich nicht eine Freude, die sich mir darbietet, herzlich genießen sollte. Das ist mir natürlich – das wird immer meine Unruhe dämpfen, meine Wünsche zum schweigen bringen – und wenn es auch lange noch keine Gleichmüthigkeit wird, so kan ich doch nie unterliegen. Ich habe mich nun einmal so fest überzeugt, daß aller Mangel, alle Unruhe aus uns selbst entspringen – wenn Du nicht haben kanst was Du wünschest, so schaff Dir etwas anders – und wenn Du das nicht kanst, so klage nicht – nicht aus Dehmuth, aus Stolz ersticke alle Klage. Die Moral hab ich mir nicht der Strenge wegen erfunden, ich konte aber nie mit einer andern fertig werden. Vom Geschick hab ich nichts gefordert, und bin ihm noch nichts schuldig geworden, als was es nicht versagen konte. Laßen Sie mich davon abbrechen.
Unser väterliches Haus in Göttingen ist verkauft, und ich habe dort nun keine Heymath mehr – mags auch nicht wiedersehn. Lotte hat mir eben einen Brief voll Glückseeligkeit geschrieben – Gott gebe, daß sie dauert – ich verzweifle nicht ganz daran. Meine Mutter ist mit ihrer jüngsten Tochter auf eine Zeitlang nach Hamburg und Lüneburg gegangen – mein jüngster Bruder ist auf Reisen.
Der arme Bürger schreibt mir zuweilen und hat doch wieder so viel Kräfte gewonnen, eine Arbeit zu vollenden, die er längst unternommen hatte – die Uebersezung von Popens Eloise. Er schickte mirs durch Wächter (Veit Weber) und wolte strenge Critik, die ihm geworden ist – Eloise war ein paarmal Bürger geworden. Veit Weber kante Sie – ich sah ihn nur kurze Zeit. Um Boutterweks Infamien wußte ich wohl – es giebt keinen jämmerlichern Menschen. Ich habe Louisen von ihm errettet, mit der er ein Spiel einfädeln wollte – seine Briefe waren wie aus einem schlechten Roman von einem Studenten. Er haßt mich bitterlich, und versichert den Leuten, daß ich meiner Schwester eine herrliche Parthie an ihm verdorben habe. Sie brauchen ihn nur gesehn zu haben, um zu wißen, ob das wahr ist.
Jezt sind Sie wohl mit deutscher Litteratur wieder vollkommen vertraut? Es giebt einen August Lafontaine, der deutsche Erzählungen schreibt, wie wir sie noch nicht haben – er ist Feldprediger, sagt man, und jezt in unsrer Nähe – Gott schüz ihn! – im Fall die Franzosen sich wehren, worüber man hohe Wetten eingeht. Göthens Gros-Cophta ist im Schlafe gemacht – sein Genius hat wenigstens nicht Wache dabey gehalten.
Daß der gute Herder so krank und jezt in Spaa ist, wißen Sie doch? Sie werden wohl alles wißen, da Sie alle Welt kennen.
Lieber Meyer – ich bitte Sie, schreiben Sie mir gleich. Sie müßens thun, weil ich so lange gewartet – wolten Sie eben so lange warten, so würde die Lücke zu groß. – Schreiben Sie unter Forsters Adreße, so geht der Brief frei – oder unter einer diplomatischen, als an Legatsecretär Huber, oder Legats. Müller, denn der kleine Ludwig Müller ist solch Ding geworden, und kam ein paar Tage nach mir an. Im Fall Sie einmal hier durchgehn, steht hier meine unmittelbare Adreße – im Reidtischen Hause in der Welschen Nonnen Gaße. Wenn ich die Freude hätte, daß Sie Gebrauch davon machten! Sagen Sie mir, ob ich gar nicht drauf rechnen kan.
Lauers aus Gotha waren auch hier – alle die Leutchen gingen nach Coblenz mit Forster – Therese blieb des Kindes wegen, das sie stillte, zurück. Den Tag nach Forsters Zurückkunft starb es.
Leben Sie wohl. Tatter grüßt Sie, das weiß ich gewiß. Ich wünsche Ihnen tausend Gutes – das weiß ich noch gewißer.
C. B.
  • Schelling, Caroline von  wertschätzen  Reichard, Amalie
  • Schelling, Caroline von  charakterisieren  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  charakterisieren  Forster, Georg
  • Schelling, Caroline von  positiv bewerten  Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Pope, Alexander: Heloise an Abelard [Ü: Gottfried August Bürger]
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Goethe, Johann Wolfgang von: Der Groß-Cophta
  • Tatter, Georg Ernst  grüßen  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
  • Tatter, Georg Ernst  grüßen lassen  Schelling, Caroline von
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 29. Juli 1792
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer ·
  • Place of Dispatch: Mainz · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 254‒260.
Language
  • German

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