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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

[Mainz] d. 12. August [17]92.
Hier saß ich um zu schreiben, ich weiß nicht mehr an wen – Forster schickt mir noch spät Ihren Brief, und nun ists mir nicht möglich für jemand anders die Feder zu rühren, wie für Sie – auch freu ich mich, daß ich dazu Gelegenheit finde – es ist das einzige, was mich diesen Abend beschäftigen kan. Ich bin sehr unruhig, Auguste hat mich gequält zu wißen, was mir ist, und ich hab es ihr anvertraut – sie will es nicht wichtig finden – vielleicht verstehen Sie sich beßer darauf. Nicht ob ich den Mann sehn werde oder nicht – morgen oder übermorgen – den Mann, der mir sehr lieb ist – sondern ob er so unnatürlich, so unmenschlich und wunderbar seyn kan, sich und mir die Freude zu versagen, die er haben und geben könte – weil sie mir im Fluge genoßen werden kan — das möcht ich wißen. In diesem Fall fühle ich die Abhängigkeit, die das Herz auferlegt, mit einer solchen Gewalt, daß ich den rebellischen Gedanken, ja den Wunsch haben könte, mich ihr zu entziehn – denn es ist nicht das erstemal daß sie mich martert. Wenn dies nicht eintrift, so würd ich mich vor meiner Freude fürchten, allein nicht lange – die Gewißheit, glücklich seyn zu dürfen, würde mich bald zur Sanftmuth zurückbringen. Hier haben Sie die Erklärung dieser Worte, die ich Ihnen zwar nicht bey kaltem Blut sage, aber sie gesagt zu haben nicht bereuen kan: Friedrich August macht die Ronde der Bäder, die in unsrer Nachbarschaft liegen – er hat lange gewünscht Tatter bey sich zu haben, statt der Mistgabeln, die als Hofschranzen bey ihm dienen – ein Zufall hat das jezt möglich gemacht. Tatter ist vor ein paar Tagen von Hannover abgereißt. Der Prinz war in Ems – der eigentliche Weg geht nicht über Mainz, und der eigensinnige T. geht immer den graden Weg. Wird er sich besinnen – wird ihm unser freundlicherer Himmel beßere Anschläge einflößen – werd ich ihn morgen sehn – oder die Ungeduld über solche Thorheit mich mit ihm entzwein?
Sehn werd ich ihn gewiß – seit gestern ist der Prinz in Schwalbach – aber diese Freude, die das erste glückliche Ereigniß für uns ist, muß er sie mir verbittern? Ich habe leider in solchen Dingen, die nicht von der strengsten Nothwendigkeit befohlen werden, und in denen ich nicht selbst thätig werden kan, eine Heftigkeit, von der meine stille Außenseite nichts sagt. Wie oft hat er mich schon gegen meine Ueberzeugung nachgeben machen – wenn sie nun einmal stärker würde, als mein Wille sie zu beugen – wenn das Unrecht nun so offenbar wäre, daß ich ihn verdammen müßte? Das ist der Augenblick, gegen den sich meine ganze Seele sträubt. Lieber Meyer, ich würde mich betrüben, wenn Sie dies Gefühl für die Spannung der nächsten Erwartung, oder wenn Sie mich überhaupt für überspannt hielten. Ich kan es nicht anders sehen, nicht anders seyn. Wenn eine Empfindung zu quälend wird, wenn der Schmerz nicht mehr süß ist – ists nicht natürlich, daß man sich loszureißen strebt? Aber wenn dieser Sieg das Herz von dieser Seite nun für immer verödet, ist es dann nicht schrecklich? Ich hätte dann nur noch mein Kind, und würde es nicht ohne Angst anblicken können – meine Sorge und Liebe würden von ihrer Entschloßenheit verlieren. – Meine Lage giebt mir nicht die wohlthätige Zerstreuung nüzlich für andre seyn zu können. Begreifen Sie mich nun wohl? Ich habe manches überwunden – nicht aus Stärke – sondern weil ich aus dem Leid noch Freude schöpfen konte – ich schied von dem Gegenstand einer in meinem Leben gewiß einzigen Anhänglichkeit und vergaß den Abschied über ihr – ich fügte mich in Verhältniße, die mich bey einem leeren Herzen unsinnig gemacht hätten – es erhielt meinen Kopf in der Faßung sich damit zu amüsiren. Ein Strom der reinsten Heiterkeit konte sich über mich ergießen, wenn die Sonne schien – oder auch der Wind an die Fenster stürmte, und ich nur über einer Arbeit eifrig saß. Mir ist jede Stunde wohl gewesen, wo mir wohl seyn konte. Bin ich es, die nach fruchtlosem Gram jagt? Nein, mein Sinn gehört jeder möglichen Glückseeligkeit – das Schicksaal gab mir wenig – es ist hart mir dies rauben zu wollen. Das würd ich vielleicht nicht überwinden, denn Gedankenlosigkeit ist mein Leichtsinn nicht. – Ihr Brief hat einen tröstlichen Eingang, der sich an die wachenden Träume meiner lezten schlaflosen Nacht schließt. Wenn die Vorstellung auch falsch ist, so weiß ich doch den Schöpfer schon nicht zu vertheidigen, der sie im Gehirn seines Geschöpfes entstehn ließ – die Idee vom vorigen lästigen Daseyn.
Morgen lächle ich ihm wohl wieder gutherzig zu? – Sagen Sie, soll und muß sich ein Weib stets einem blinden Glauben ergeben? Könt ich das, so wär ich ruhig. Mir ist seine Rechtfertigung theurer wie das Wiedersehn. Getadelt hab ich ihn mehrmals um ähnlicher Ursachen willen, und er zwang mich mit der Hartnäckigkeit und Sanftmuth, die ihm eigenthümlich ist, seine Gründe zu ehren, wenn sie auch nie die meinigen gewesen wären. Hätte ich mit Mangel an Liebe zu kämpfen, so wär der Kampf bald zu Ende – aber ich streite gegen ein sonderbares Wesen, das mich anzieht, und mich zur Verzweiflung bringt, weil es meine Gewöhnlichkeit nicht anerkennen will, und seine Ansprüche auf Glück aus Stolz nicht verfolgt, das sein Leben für mich gäbe, und meine heißesten Wünsche unerfüllt läßt – ein Mensch, zum Einsiedler gebohren, der sich der Liebe hingab wie ein Kind – der gefühlvollste Stoiker – der aus Empfindlichkeit gegen Freyheit sich unnöthige Ketten anlegt, und die liebsten Pflichten schlechter beobachtet wie die überflüßigen. Wenn ichs auch endlich müde würde, ihn zu entschuldigen, so soll mirs doch lieb seyn, wenn er von Hannover befreit wird, und mit dem Prinzen nach Italien gehn kan – und wenn ich auch fortfahre ihm gut zu seyn, so ziehe ich diese Trennung der bisherigen vor. Das wird ihm sehr gut thun, aus der Hofetikette, die die Leute wie ein Mühlenpferd umtreibt, herauszukommen.
Und Sie, lieber M.? wie würden wir uns zanken, wenn wir uns sprächen – nicht über unsre verschiedne Meinungen – sondern über die, welche Sie uns – und mir aufbürden. Das rohte Jacobiner Käppchen, das Sie mir aufsezen, werf ich Ihnen an den Kopf. Wir kennen die Helden von Brissots Schlag recht gut, für das was sie sind, und wißen, qu’il nage dans l’opprobre sans s’y noyer, puisque c’est son élément. Forster wolte neulich jemand die Augen auskrazen, weil er die attaque vom 20ten Jun. gut hieß, und die Nationalversammlung – samt den Jacobinern – item la Fayette – alles ist Preis gegeben – nur die Sache nicht. Für das Glück der kaiserl. und königlichen Waffen wird freylich nicht gebetet – die Despotie wird verabscheut, aber nicht alle Aristokraten – kurz, es herrscht eine reife edle Unpartheylichkeit – und wenn Sie nicht unser Bekentniß annähmen – so ist nur Dein teufelischer Geist des Wiederspruchs schuld.
Ein sonderbarer Zug ist die Bitterkeit der Emigrirten gegen ihre Helfer – mit Freuden würden sie die Waffen gegen diese kehren – und mit demokratischem Unwillen sprechen sie von dem aristokratisch militärischen Betragen der Preußen auf ihrem Marsch durch die hiesigen Lande, und zu Coblenz. Der Herzog von Braunschweig ist der einzige, den sie schäzen. Klopstock hat an diesen eine Ode gemacht, um ihn von dem Zuge abzuhalten – die hat er mit dem Manifest beantwortet, das Sie wohl gesehn haben werden. – Göthe ist der Armee gefolgt. – Nein, gegen die Natur hat er im Gros Cophta gewiß nicht gesündigt. Ungerechter! Göthe hat auch sonst nur gewöhnliche Menschen – keine in die Höhe geschraubten Posas – und die liebte ich. – Lafontaine hat in seinen paar eignen Erzählungen – Liebe und Achtung, und Liebe und Eitelkeit – in der Reihe von Erzählungen unter dem Titel, die Gewalt der Liebe – auch nur solche – und ich finde ihn wahrpsychologischtreffend – aber der Gr. C. ist ein plattes Gelegenheitsstück – als Schauspiel hat er die Situationen, die es wirklich anbot, darinn zu nuzen vergeßen – als Geschichte ists im Ganzen doch Lüge – und Sie sprechen – von gesunder Phantasie – und finden Großens Genius erträglich? Mir geht der Kopf rund um. Das er Sie als Abendtheurer interreßirt, verzeih ich, weil Sie ihn nicht in der Nähe gesehen haben. Er war ein planloser, gegen alle Schande aus Poltronnerie gefühlloser Windbeutel. Da Sie seine Memoiren gelesen haben, werden Sie auch wißen, daß die lezte Geschichte unser Haus betrift. Er hat mir da aus Rache ein paar Beynahmen gegeben – was ich von ihm sage, ist nicht Rache – es ist herzliche Indignation gegen dumme Bosheit, und völlige Kentniß der Sache, von der alle Aktenstücke jezt in meinen Händen sind. Es ist schlimm genug, daß Unerfahrenheit und gänzlicher Mangel an kühler Weltklugheit eine rechtschafte Familie mit einem so elenden Helden verwickelte, der zu geizig war, um sich zu Haus satt zu eßen, und der an der Mutter Kaffee mehr gelegen war, wie an Louisens Küßen. Ein Spizbube zu seyn, war sein Ehrgeiz – er verstand sich nur nicht recht darauf, sonst wolt ich ihn selbst loben, ohngeachtet ich doch dieser Verdrehung keinen Geschmack abgewinnen kan. – Ich wolte, ich wär damals in Göttingen gewesen – ich hoffe, es wär so weit nicht gekommen. Ich sah ihn nur ein paarmal vor 4 Jahren, und da sah er aus wie ein Schusterknecht, in der gewißen Ueberzeugung, daß er Carl XII. aufs Haar gliche. Der Gauner Crecy Montmorenci, deßen Geschichte in der Berl. Monatsschrift steht, hat mir Große lebhaft ins Gedächtniß gebracht. Es ist doch erschrecklich, daß ein Mensch, wenn er lügen will, so viel vermag; wenn mans noch so gut weiß, daß er lügt – er zwingt einen wenigstens, ihn auf eine Vestung zu setzen. – Das war mir immer ein Räthsel, wie Große bey einer einfachen bürgerlichen Erziehung dahin gekommen war.
Ich beantworte heut nicht alles – eins hab ich ja wohl schweigend beantwortet – wenigstens nicht mit Worten. Was ich Ihnen gab – mein Zutrauen, meine Freundschaft – ein Ausdruck, den ich selten genug brauche, um es hier thun zu können – ist in Ihren Händen – nur Sie selbst können mich es zurücknehmen machen. Das versteht sich von selbst. Ihre Frage – wirkts? – die würden Sie nicht thun, wenn Sie mich sähen; wenn Sie da nur eine Manier – eine Kopfbewegung – einen Einfall fänden, der Sie dazu berechtigte – wenn nicht ganz und gar die schlichte Caroline vor Ihnen stünde – die sich höchstens bey einer seyn sollenden Conversation ein bischen lebhafter umdreht und schneller spricht – so mögen Sie persiffliren – so gut Sie können. – Solte Amalie sich durch Theresens Schmeicheleyen von Ihnen abwendig machen laßen? Die Therese könte doch viel! Aber – wie Sie von ihr sprechen, sprach sie nie von Ihnen. Sie ist mit Amalie sehr gut – Amalie ist wahrhaftig liebenswürdig, und Therese half ihr noch erobern – macht ihr das nicht Ehre? Daß sie jenes damit gewollt hätte, hab ich nicht bemerkt. – Ludwig Müller ist Feders Stiefsohn und hannöverischer Legationssecretär. Er spricht nur keine fremde Sprachen, und redet in den Tag hinein, sonst schickt er sich recht gut zu einer solchen Stelle. Leben Sie für diesmal wohl – ich hab es so angelegt, Ihnen bald wieder schreiben zu müßen. Erhalten Sie mir Ihre Brudergesinnung.
  • Schelling, Caroline von  wertschätzen  Tatter, Georg Ernst
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Goethe, Johann Wolfgang von: Der Groß-Cophta
  • Schelling, Caroline von  positiv bewerten  Lafontaine, August Heinrich Julius: Die Gewalt der Liebe in Erzählungen
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Grosse, Carl: Der Genius. Aus den Papieren des Marquis C* von G**
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Grosse, Carl
  • Schelling, Caroline von  charakterisieren  Feder, Karl August Ludwig
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 12. August 1792
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer ·
  • Place of Dispatch: Mainz · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 261‒267.
Language
  • German

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