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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Mainz d. 16. Oct. [17]92.
So lang hat mir noch niemals ein Brief von Ihnen geschienen – das wollte gar nicht enden – etwa wie der bittre Trank in einem Arzneyglase. – Meine Ungeduld hätte mich zur Verzweiflung gebracht, wenn ich mir nicht immer gesagt hätte – nur gemach! Das ist eine Geschichte von Ehegestern – alles ist vorüber, die Todten ruhn, das Leid ist verschmerzt – und sie werden wohl gar bald auferstehn zu neuen Freuden. Beynah möcht ich mir doch nicht so böse drum seyn, daß ich habe solch eine Thörinn seyn können – denn Meyer wird verzeihn – das schimmert sogar durch seine Invectiven durch – und dann werden wir uns noch zehnmal lieber haben – wie zwischen Liebenden versöhnte Eifersucht, so wird hier der falsche Verdacht seyn, der so rein weggenommen ist, daß die Stirn des Beargwohnten doppelt helle glänzt –
Ich will ja gern vor Dir zerfließen,
Gern Thränen bittrer Reu vergießen
Und flehn – ach innig flehn!

Wie ich Ihnen schon sagte, ohne die vermeinte Gewißheit würd es in keines Menschen – selbst in meines eignen albernen Kopfes Gewalt nicht gestanden haben, mir die häsliche That wahrscheinlich zu machen. Aber das Bajocco Romano stand bleyern da – daran hielt sich meine Vorstellung – die kam mir so wenig, daß ein andrer den Nahmen gemisbraucht haben könte, daß ich eher darauf fiel mir weis machen zu wollen, der Gegenstand wär ein anderer – das machte die Sache zwar nicht viel beßer – allein mit der Deutlichkeit meiner Ideen mag es damals überhaupt nicht allzugut gestanden haben. Ich nahm allenthalben meine Vernunft in der Ueberzeugung des ersten Augenblicks gefangen – daß Sie nie in der Litter.-Zeitung recensirt worden waren, wußt ich – daß Huber Ihnen in keiner Recension, in keinen sämtlichen Schriften, in keinem heimlichen Gericht, zu nah getreten sey und treten würde – ebenfals. – Da hielt ich mich also an eine allgemeine Abneigung gegen seine Worte. Wenn Sie das Ding lesen, so werden Sie noch mehr erstaunen, daß ich Sie des fähig halten konte – es komt mir jezt ungeheuer vor – aber guter Himmel – Sie haben es mit einem Weiberkopf zu thun – in dem zwar ein Windstoß die Freundschaft nicht erschüttert – allein der sich doch dann und wann auf einem tollen Abwege treffen läßt. Doch kan ich Ihnen versichern, er nimt Warnung an, und wird sich diese, was Sie betrift, zur Lehre dienen laßen. Ihre Indignation bey dieser Gelegenheit bevestigt die Meinung, der ich mich gern überlaßen habe – es giebt so sehr wenig Menschen, von denen ich mich getraue zu behaupten – dies und jenes sey ihnen zu thun unmöglich – war wohl unsre Bekantschaft so geprüft, daß Sie darunter gehören konten? Ein Glaube war meine Freundschaft, der mir nicht oft komt, dem ich also nicht ängstliche Vorsichtigkeiten in den Weg zu legen gewohnt bin – wehe dem, der gar nicht mehr zu wagen im stande ist! Ich habe Ihnen so viel gestanden, was mir lieb und werth ist – ich bin nicht so verschloßen, daß ich nicht mit dem rechtschafnen Mann über Dinge sollte reden können, die ich mir nicht verberge. Wenn ich ganz kühl bin, werd ichs nicht leicht thun, um einen dritten nicht zu compromittiren. Die Errinrung an einen meiner leztern Briefe hat mich einigemal überrascht, und meine Wangen heiß gemacht – doch war ich nie besorgt. – Glaube war es dennoch nur – freylich überlebte er in einem dunkeln Instinkt meinen Unwillen – denn ich besorgte für mich gar nicht, nachdem ich Sie doch dieser Handlung beschuldigte. – Jezt ists mehr wie Glaube – weil er auf einem dauerhafteren Grunde steht – und nun bitt ich Dich, guter Bruder, laß Dir gefallen, es damit von neuem zu versuchen. – Uebrigens hab ich diesen Cameelskopf ganz allein für mich mir erscheinen laßen – es hat mir kein Mensch seine Zauberlaterne dazu geliehen. In der Nacht, wie ichs am Abend las, hab ich gar nicht geschlafen, denn eine Kleinigkeit schien mirs nicht, Sie aufzugeben – ja – auch mein Stolz litt dabey, in Absicht meiner hiesigen Freunde – gegen welche es die gemeinste Honettetät erforderte, nun auch jede Gemeinschaft mit Ihnen abzubrechen. Ich schwieg, bis ich wußte, es war Bouterweck – dann hab ich alles erzählt, und man hat mich für meine Kinderey ausgescholten. Sonderbar, daß ich gar nicht an B. dachte, da ich doch in Göttingen noch Zeuge war, wie elend sich der Mensch gegen jene Recension seines Donamar, die ich für eben so gerecht hielt, als ich wußte, wie unpartheyisch sie war, auflehnte. Ich vermuthete B. nicht im Allmanach, weil er mit Bürger zerfallen ist – auch ist sein Nahme nicht darinn, ob gleich die heillose Sonnettenschaar von ihm seyn mag. Eigentlich wolt ich, Ihr Nahme stände lieber nicht da – so sehr mir das gefällt, worunter er steht – denn wenn Sie diesen Allmanach bekommen, werden Sie selbst sehn, daß ich recht hatte, ihn einen Sammelplaz unwerther Persönlichkeiten zu nennen – Bürger dünkt sich sehr groß in seinen Epigrammen – aber er muß jedem rechtlichen Menschen sehr klein und pöbelhaft vorkommen, und noch obendrein wizlos. Wie hat der gute Heine alle die Unanständigkeiten die Censur paßiren laßen können – und um eines Ausdrucks willen – die Schäferstunde des Alliebenden, der nur sinnlos war, hat ein Bogen umgedruckt werden müßen, nachdem schon 800 Exemplare verschickt waren. – Mir ist eingefallen, obs nicht rathsam wär, da Sie unter dem Bajocco Romano so allgemein bekant sind – ganz simpel zu erklären – daß es Sie diesmal nichts angeht – ich sagts Forster, der eben bey mir war, um von dem Inhalt Ihres Briefs Nachricht zu holen – er billigts nicht, und sagt sehr hart für mich – wer so dumm ist, es zu glauben, mags doch thun. O sieh – ich büße ja! er hat mir auch anbefohlen, Sie auf alle Weise zu versöhnen – was kan ich weiter thun – wären Sie hier, so wolt ich Sie gern mit tausend süßen Schmeicheleyen betäuben.
Die Post drängt mich – drum kan ich Ihnen von unsrer bisherigen und jezigen Lage nichts erzählen – leider sind wir nicht weggenommen worden – bis Worms drang Custine vor, und hat sich jezt bey Speyer verschanzt, um zu verhüten, daß sich dort die Preußen nicht hinziehn, deren Armee in einem pitoyablen Zustand ist, und sich allenthalben zurückzieht – unsre Mainzer sind in Speyer gefangen – nach Strasburg geführt, sehr gut behandelt, wie auch die Bürger in Speyer und Worms. Die Offiziere sind auf Ehrenwort losgelaßen – 28 Mainzer Soldaten sind von Strasburg auf Dorsch Vorbitte, weil sie Weiber hatten, zurückgeschickt – haben kleine Büchlein mitgebracht, erzählen Wunderdinge – ist ihnen das Maul schon gestopft – überhaupt fangen jezt die Zeiten hier an, von denen geschrieben sieht – gewiße Ideen werden gäng und gebe, und Rescripte ergehn, in denen das Raisonniren verboten wird. Voreilige Demokraten haben schon an dem Tage, wo ein betrunkner Husar, der eine Heerde Kühe gesehn hatte, mit der Nachricht in die Stadt sprengte, daß die Franzosen in Oppenheim wären – wo Schreckschüße geschahn, und die Stadt nicht zu Bett ging – das Ende des Churfürstenthums vor Augen gesehn, und die dreyfache Cocarde – in der Tasche getragen – daß das alberne Leut waren, die nicht zu meinen Freunden gehörten, versteht sich. Wir hatten gar keine Besazung – die paar Reichstruppen liefen weg – die Bürger zogen auf die Wache und wollten steif und vest vertheidigen, bis diese Gueux gekommen wären. Der sämtliche Adel ist geflüchtet – das Schrecken war unbeschreiblich und hat wie gewöhnlich die drollichtsten Wirkungen bey tapferen Personnagen, z. B. bey dem Gesandten eines königl. Hofes, hervorgebracht. Es waren so wenig Menschen zurückgeblieben – daß alle Geschäfte stockten – nur 2 Aerzte unter andern. Auch in Frankfurt flüchtete man, und die Deputation, die mit 200 000 Fl. dem Feind entgegen gehn solte, hatte sich versammelt – die Wägen standen angespannt vor dem Rathhaus und hatten die 3 Farben. Wir blieben – aus Neugier und weil wir ein gut Gewissen hatten – nehmlich reine Hände – wir sind nicht reich und ich bin arm. – –
Hier ist B[ürgers] Brief – was er Ihnen schreibt, weis ich selbst von ihm – also ists eins.
Leben Sie wohl – ich bin noch krank, habe einen sehr hartnäckigen bösen Hals, Fiekchen Diez sizt bey mir – gewöhnlich wohnt sie mir gegenüber. Die Alte hat Ihr Bild, wie Sie noch ein schlanker Jüngling waren – es ist ein Erbstück vom Alten — ich wolt es gern, hab ihr allerley dafür geboten – ½ Duzend Silhouetten interreßanter Personen in Lebensgröße – ein Stück alte Fußdecke – ein Wärmkorb – sie will durchaus nicht. Lebe recht wohl.
  • Schelling, Caroline von  sich entschuldigen  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  Autorschaftsattribution  Bouterwek, Friedrich: Huberulus Murzuphlus oder der poetische Kuss
  • Schelling, Caroline von  Autorschaftsattribution  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
  • Bürger, Gottfried August  Einlagebrief  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  Brief  vermitteln  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 16. Oktober 1792
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer ·
  • Place of Dispatch: Mainz · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 269‒274.
Language
  • German

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