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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

[Mainz] 17. Dec. [17]92.
Daß Sie krank wären, fürchtete ich und sah es – Sie hätten sich sonst menschlicher bewiesen. Warum brechen Sie auch ein Bein – warum verderben Sie den Magen, wenn niemand in Ihrer Nähe ist, der Sie warten kan, der Ihre physischen Uebel linderte, und Ihren moralischen Gebrechen den Dolch aus den Händen wände, deßen Spitze sie gegen sich selbst zukehren. Das ist recht unsinnig schön gesagt, o sieh meine erhabnen Worte nicht an, mein Thun wär drum nicht geringer. Zweifeln Sie, daß ich für Sie sorgen können möchte und treu sorgen würde? – Ich kenne Sie nicht genug? – Das kan seyn, aber wenn ich mich sehr irre, so ist das nicht zu Ihrem Vortheil. Wir wollen uns mit Wohlwollen und Achtung begnügen? – Meinetwegen, wenn ich sie nach meiner Weise empfinden darf – und ich biete Ihnen Troz, daß die Ihrigen nicht ein herabgestimmter Ausdruck seyn sollten, wie sie tausendmal ein heraufgeschrobner seyn mögen. Verstehn Sie das? Ich bin wohl heute nicht sehr deutlich – das wäre dann nicht Kraft des Beyspiels, sondern ein Vermächtniß – wie Sie am Ende dieses Briefs einsehn werden. Sie sind versöhnt, aber meine Etourderie wirkt doch nach. Meyer, ich will mich nicht dehmüthigen, will meinen Kopf nicht verläumden, allein es ist wahr, daß ich Etourderien begehn kan, die wie Dummheiten aussehn. Mein Verbrechen gegen Sie ist von der Art. Wenn mir dann die Augen aufgegangen sind, begreif ich mich nicht mehr. Sollte man denn das einem Weibe nicht aus vollem Herzen verzeihn können? – Weiß ich, was Bajocco Romano für ein Ding ist? Vom Bettler Cabre hab ich einmal gehört und bey einem andern Meyer davon gelesen sogar – (so! den Meyern dank ich also meine Bettlerbekantschaften!) Hab ich seine Sinngedichte wirklich gelesen? Und kan ich immer unterscheiden, was Witz und reizlose Späße sind? Bruder, vergieb mir. Wer kan sagen, wie bald mein Haupt eine Kugel trift! Es würde Dich dann gereuen. Wenigstens bitt ich zum leztenmal – ich kan es nicht leiden, über Verdienst belohnt oder gestraft zu werden. – „Nach dem Frieden sprechen wir uns wieder“, heist das, ich soll Ihnen nicht schreiben, so lange wir en état de guerre sind? So gehorch ich nicht – ich will schreiben – so wie ichs einrichte, können Sie keinen Nachtheil davon haben – und haben also Vortheil davon. Daß Sie uns en horreur haben, kont ich vermuthen. Wer giebt aber Dir Pillgrim im Jammerthale das Recht zu spotten? Sie sind unter jedem Himmelsstrich frey, unter keinem glücklich. Allein können Sie im Ernst darüber lachen, wenn der arme Bauer, der drey Tage von vieren für seine Herrschaften den Schweiß seines Angesichts vergießt, und es am Abend mit Unwillen trocknet, fühlt, ihm könte, ihm solte beßer seyn? Von diesem einfachen Gesichtspunkt gehn wir aus; der führt auf Abwege – Sie dürfen deswegen aber nicht glauben, daß wir toll sind und andre Propheten hörten, als die wir immer gehört haben, worunter W[edekind] und B[öhmer] nicht gehören.
Therese ist nicht mehr hier. Sie ist mit den zwey Kindern nach Strasburg gegangen – warum – das fragen Sie mich nicht. Menschlichem Ansehn nach, ist es der falscheste Schritt, den sie je gethan hat, und der erste Schritt, den ich ohne Rückhalt misbillige. Sie, die über jeden Flüchtling mit Heftigkeit geschimpft hat, die sich für die Sache mit Feuereifer interreßirte, geht in einem Augenblick, wo jede Sicherheitsmaasregel Eindruck macht, und die jämmerliche Unentschiedenheit der Menge vermehrt – wo sie ihn mit Geschäften überhäuft zurückläßt – obendrein beladen mit der Sorge für die Wirtschaft – zwey Haushaltungen ihn bestreiten läßt, zu der Zeit, wo alle Besoldungen zurückgehalten werden. Das fällt in die Augen. Er wollte auch nicht – ich weiß weder, welche geheime Gründe sie hat, noch welche sie ihm geltend machte – sie hats aber durchgesezt. Ich müste mich sehr irren, wenn nicht diesmal weniger verzeihliche Antriebe als leidenschaftliche sie bestimmten, vielleicht die Begierde nach Wechsel, und eine Rolle dort zu spielen, wie sies hier nicht konte. Viele vermuthen Trennungsplane – Sie und ich gewiß nicht. Würde sie so gerecht seyn? – Sie hören mich zum erstenmal so sprechen – weil ich zum erstenmal so denke – aber dies hat mich auch aufgebracht. Der Ausgang mag auch nicht zu ihrem Nachtheil ausschlagen – das kan mein Urtheil nicht ändern. Eine Entschuldigung hat sie – die Infamien zu Frankfurt hatten ihre Imagination erschüttert – aber das hätte eine andre Wendung genommen, wenn es nicht ihrer Neigung gemäß gewesen wär ihr diese zu geben. Er ist der wunderbarste Mann – ich hab nie jemanden so geliebt, so bewundert und dann wieder so gering geschäzt. Er ging seinen politischen Weg durchaus allein und that wohl daran – Ihr Geist ist nicht für die Sphäre, mehr thätig als würkend darinn. Er geht mit einem Adel – einer Intelligenz – einer Bescheidenheit – einer Uneigennüzigkeit – wär es nur das! aber im Hinterhalt lauscht Schwäche, Bedürfniß ihres Beyfalls, elende Unterdrückung gerechter Forderungen – auffahrendes Durchsezen geringeres. Er lebt von Attentionen und schmachtet nach Liebe, und kan diesen ewigen Kampf ertragen – und hat nicht die Stärke sich loszureißen, die man auch da, wo man Superiorität anerkennt, haben müßte, wenn es uns mit uns selbst entzweite. Ich heiße [?] Egoismus – aber entweder muß man in Einfalt des Herzens Vollkommenheit anbeten – oder die Festigkeit haben sich nie geringer zu achten, als selbst das, was wir über uns erkennen. Dieses Mannes unglückliche Empfänglichkeit, und ihr ungrosmüthiger Eigennuz verdammen ihn zu ewiger Qual. Ich habe wohl gedacht, ob man ihm die Augen öfnen könte – es versteht sich, daß ich nicht mittelbar noch unmittelbar dazu beitragen darf und werde – ich habe gefunden, man würde seine Liebe tödten können, aber seine Anhänglichkeit nicht. Spricht ihm das nicht sein Urtheil? Sie beschäftigt, sie amüsirt ihn – das kan ihm kein Wesen ersezen – darum ist sie einzig – sie reizt seine Eitelkeit, weil er sieht, daß sie auch andre beschäftigt, und daher nie erfährt, wie nachtheilig die Urtheile sind die selbst diese von ihr fällen. Wer sie nicht mag, flieht sie – ein neuer Triumph! So hält sie ihn – geht hin, und nuzt seinen Nahmen, und führt ihn mit Stolz. Das ist nicht billig – ach und doch verdient ers. Guter Forster, geh und klag die Götter an.
Ich bleibe hier – man gewöhnt sich an alles, auch an die tägliche Aussicht einer Belagerung. Schreiben Sie mir durch Gotha – Sie könnens ja mit aller Sicherheit. Ich muß wißen, ob Sie gesund sind.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 17. Dezember 1792
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Mainz · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 277‒280.
Language
  • German

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