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Caroline von Schelling an Friedrich Wilhelm Gotter

Königstein d. 28ten [u. 29.] Apr. [17]93.
Wie thätig ist Ihre Freundschaft, lieber Gotter – und wie sind alle Beweise derselben so erquickend für mich! Sie geben mir neues Leben in diesem einförmigen Aufenthalt, sie erwecken die Lust, selbst für mich zu arbeiten, die ich manchen Tag über verliere. Der Herr Coadjutor von Dalberg konte sich wohl noch nicht tiefer einlaßen. Hr. Hofrath von Mörs, der den Auftrag hatte, alle hiesigen Gefangnen vorläufig zu verhören, hat uns selbst eröfnet, was wir schon durch eingezogne Erkundigungen eines Freundes erfuhren, daß man uns als Geißeln betrachten will, wie Sie aus einliegenden Aufsaz näher sehn werden. Dies zeigt freylich an, in welchen geringen Grad man uns für strafbar hält – aber mir verschließt es allen Weg auf Hülfe, wenn man dabey bleibt. Ich habe also gegen ihn ganz abgelehnt, die dahin gehörigen Schritte zu thun. – Wenn Hr. von Humbold, an den von hieraus ein Bericht von unsrer Verhaftnehmung abgegangen ist, sich nicht in Erfurt befinden sollte, sondern vielleicht auf seinen Gütern bey Berlin, also nicht gleich dem Herrn Coadjutor dasjenige mittheilen könte, was uns helfen kan, so bitte ich Sie inständig, nuzen Sie diesen meinen Aufsaz bey dem Hrn. Coadjutor, solte es auch persönlich seyn müßen – er wird um so weniger Gottern zurück weisen – ergänzen Sie, was ich nur angedeutet habe, und Sie sicher ergänzen können. Hat aber Hr. von Humbold jenen Bericht sogleich empfangen können, so ist Ihnen diese Mühe für mich erspaart, und dann schicken Sie die Einlage meiner Mutter zu.
Ich wag es noch nicht, mich an Sr. Kurfürstlichen Gnaden selbst zu wenden, wie Sie mir rathen – Sie fühlen, wie viel Vorurtheile erst aus dem Weg geräumt werden müßen, ehe ich mich hier gnädiges Gehör versprechen kan – aber dann würd ich, wenn ich auch nicht auf die Gerechtigkeit meiner Sache überhaupt bauen könte, doch alles von seiner Grosmuth erwarten.
Mein schwesterlicher Verlust ist doppelt. Die Niepern ist auch todt – meines Schwiegervaters liebstes Kind – muß der sonst so glückliche Vater denn noch alles vor sich hin in den Staub sinken sehn, ehe er die Erde verläßt? Ich kan Ihnen kein Bild meiner Faßung bey so mannigfacher Theilnahme und eignen Leiden geben. – An Muth fehlt es mir nie. – Meine Gesundheit leidet durch den Mangel an Bewegung sehr. – Grüßen Sie Mutter Schläeger – ich umarme Wilhelmine und Louise – die liebe Louise. Augustens Geburtstag ist heut – übers Jahr muß es doch beßer sein.
C. B.
29 Aprill.
Die Unmöglichkeit, alles Detail bey meiner Vorstellung zu vermeiden, hält mich auch davon zurück, mich grade zu mit einer solchen an den Churfürsten zu wenden. Ein jeder kan sagen, ich bin unschuldig, es muß doch etwas dafür angeführt werden, und das erfordert Berührung kleiner Umstände, zumal in einem Fall wie der meinige. Wie die Verhältniße in der Nähe oft so ganz etwas anders sind, als sie in der Ferne scheinen. –
Verzeihn Sie das schlechte Papier – in der Gefangenschaft giebts nichts beßers.
Haben Sie nichts von Meyer in Berlin gehört?
  • Schelling, Caroline von  Einlagebrief  Gotter, Friedrich Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  Einlagebrief  senden lassen  Michaelis, Louise Philippine Antoinette
  • Schelling, Caroline von  Anteilnahme  erbitten  Karl Theodor, Mainz, Erzbischof
  • Schelling, Caroline von  Anteilnahme  vermitteln lassen  Gotter, Friedrich Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  Anteilnahme  vermitteln  Humboldt, Wilhelm von
  • Schelling, Caroline von  Anteilnahme  vermitteln lassen  Humboldt, Wilhelm von
  • Schelling, Caroline von  grüßen lassen  Gotter, Friedrich Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  grüßen  Schläger, Sara Elisabeth
  • Schelling, Caroline von  grüßen  Bertuch, Wilhelmine
  • Schelling, Caroline von  grüßen  Gotter, Luise
Briefkopfdaten
  • Datum: 28. und 29. April 1793
  • Absender: Caroline von Schelling ·
  • Empfänger: Friedrich Wilhelm Gotter ·
  • Absendeort: Königstein im Taunus · ·
  • Empfangsort: Gotha · ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 284‒286.
Sprache
  • Deutsch

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