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Caroline von Schelling to Friedrich Wilhelm Gotter

[Königstein] 12 May [1793].
Seit Sie mir die Abschrift von Dalbergs Brief schickten, hab ich nichts von Ihnen gehört – lieber Gotter – Möglich ists, daß bey Porsch etwas liegt, das muß ich diesen Abend erhalten.
Ich sandte Ihnen einen Brief für Humbold – einen zweyten öffentlichen – einen dritten, das nur ein paar Zeilen seyn mochten. Haben Sie das alles?
Noch hat sich nichts aufgeklärt. Wir sind von einer hiesigen Gerichtsperson verhört, über die Umstände der Abreise. Dies Verhör hatte blos Bezug auf jenen Clausius, der zum zweytenmal arretirt gewesen seyn soll – und in so fern auch wohl auf den Gesichtspunkt der Geißelschaft für uns, den nur dieser alberne Mensch durch sein Geschwäz herbeygezogen haben kan. Das scheint doch, daß Clausius Aufträge von Simon hatte, denn Simon ist vor 3 Wochen oder 14 Tagen mit Reubel, dem Comißar der National Convention, beym König im Lager gewesen, um wegen Mainz zu unterhandeln. Man hat nicht einig werden können, und die Franken vertheidigen sich mit so viel Erfolg und Muth, daß die Stadt noch nicht einmal beschoßen werden kan – alles Canonenfeuer geht auf die Schanzen außerhalb, die von beyden Seiten unermüdet aufgeworfen und zerstört werden. Ich höre hier im Schloßgarten den Donner des Geschüzes, und nur ein etwas naher Berg entzieht mir den vollen Anblick des Schauplazes selbst. – Schrecklich ist bey der völligen Dunkelheit über unsre Sache diese langwierige Belagerung, deren Ende uns doch sicher befreyen würde, da wir jezt nicht wißen, was uns befreyen kan, so wenig als was uns hieher bringt.
Unser Loos wurde in so fern leichter, daß der Genuß der freyen Luft in diesem verwüsteten Stück Garten uns zu jeder Zeit zu Gebot stand, und der Commendant menschlich gesinnt war – aber es komt ein andrer und es ist nur zu wahrscheinlich, daß wir dadurch jeden Trost einbüßen. – War ich nicht schon unglücklich genug? – Muß ich nicht sogar fürchten, daß gehäßige Gerüchte meine hülfreichen Freunde von mir abwenden? daß sie an meinem Charakter irre werden, den wüthende Menschen, die nie mich persönlich kannten, darstellen, wie es ihr Gesichtskreis mit sich bringt?
Gotter, Sie wißen die Wahrheit – die Geschichte meines Aufenthalts in Mainz liegt vor Ihnen – so ist siel! Könt Ihr, die Ihr in jenem Zirkel mich liebtet, zweifeln – ich werde kein Wort weiter zu meiner Vertheidigung reden als dieses – könt Ihr zweifeln – nun so mag denn das die Hälfte des Tropfens seyn, von dem der Becher überfließt. – –
Ich sagte Ihnen in dem kurzen Blatt, wie dringend meine nahe Rettung für mich sey – Sie werden gethan haben, was Sie konten. Ich versuche selbst alles, denn Mut und Thätigkeit soll mir nichts rauben.
Kent niemand in Gotha Pauli, den Leibarzt des Churfürsten? Er gilt viel. Sollte nicht an ihn zu kommen seyn? Wenn er in Erfurt ist, so sprächen Sie wohl einmal selbst. Es geht nicht, daß ich ihm so abgebrochen schreibe, allein ich wünschte, einen Weg zu ihm zu haben. Er ist Wedekinds Feind – aber wie könt er der meinige seyn? Solte Grimm oder Sulzer ihn kennen? – Leben Sie wohl – ich umarme mit schwererem Herzen wie jemals meine Louise.
Vielleicht erhalt ich noch etwas von Ihnen.
Abends. es ist nichts gekommen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 12. Mai 1793
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Gotter
  • Place of Dispatch: Königstein im Taunus
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 286‒288.
Language
  • German

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