Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Caroline von Schelling to Friedrich Wilhelm Gotter

Kronenberg d. 15ten [-16.] Jun. [17]93.
Dies ist späte Antwort, aber es ist eine – Seit 3 Wochen hab ich das Bett wenig verlaßen können, denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Ihr habt mir derweile erzkomisch gedünkt – Louise bildet sich ein, wenn ihr Herzogthum alle seine Canonen abfeuert, so käm es doch wohl einer Mainzer salve gleich, und Sie fertigen mich Gefangne, Bedrängte, Gemishandelte mit einer Galanterie ab! Schöne Werke des Geistes und der Hände! Ja Memoriale, Suppliken und Strümpfe und Hemder für mein Kind! Gehen Sie hin, lieber Gotter, und sehn Sie den schrecklichen Aufenthalt, den ich gestern verlaßen habe – athmen Sie die schneidende Luft ein, die dort herscht – laßen Sie sich von den, durch die schädlichsten Dünste verpesteten Zugwind durchwehn – sehn Sie die traurigen Gestalten, die Stundenweis in das Freye getrieben werden, um das Ungeziefer abzuschütteln, vor dem Sie dann Mühe haben sich selbst zu hüten – denken Sie sich in einem Zimmer mit 7 andern Menschen, ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille, und genöthigt, sich stündlich mit der Reinigung deßen, was Sie umgiebt, zu beschäftigen, damit Sie im Staube nicht vergehn – und dann ein Herz voll der tiefsten Indignation gegen die gepriesne Gerechtigkeit, die mit jeden Tage durch die Klagen Unglücklicher vermehrt wird, welche ohne Untersuchung dort schmachten, wie sie von ohngefähr aufgegriffen wurden – muß ich nicht über Euch lachen? Sie scheinen den Aufenthalt in Königstein für einen kühlen Sommertraum zu nehmen, und ich habe Tage da gelebt, wo die Schrecken und Angst und Beschwerden eines einzigen hinreichen würden, ein lebhaftes Gemüth zur Raserey zu bringen. Und doch war das Ungemach der Gegenwart nichts gegen die übrigen Folgen meines barbarischen Verhaftes.
Meine Gesundheit ist sehr geschwächt – aber wahrlich die innre Heiterkeit meiner Seele so wenig, daß ich heute den Muth habe mich in einem eignen Zimmer, wo es Stühle giebt (seit dem 8ten Aprill sah ich nur hohe hölzerne Bänke), und an einem Ort, wo ich keine Gefangenwärter und Wache mehr zu sehn brauche, glücklich zu fühlen, so heftig mein Kopf schmerzt und ein unaufhörlicher Husten, der ganz anhaltend geworden ist, mich plagt.
Sie werden vielleicht schon erfahren haben, daß der Churfürst (auf sehr dringende Vorstellungen hin, die ihr Gewicht haben konten) uns die Wahl zwischen zwey kleinen Städtchen ließ, um dort Orts Arrest ohne Bewachung zu haben. Wir wählten dieses Städtchen, das nur eine Stunde von Königstein und 2 von Frankfurt liegt.
Der Gesichtspunkt, uns als Geißeln zu behandeln, ist fest gefaßt, und von persönlicher Schuld nicht die Rede. Wir haben uns endlich an unsre Regierung gewandt und ihren Schutz begehrt, auch an den König von Preußen. – Diese bedingte Freyheit kan mir nicht genügen – ich muß vom Schauplaz abtreten können. Ist diese Erleichterung, die das wenigste ist, was man thun konte, wenn Königstein nicht mein Grab werden sollte, Befreyung? Wer giebt mir Ersaz für diese schrecklichen Monate, für öffentliche Beschimpfungen, die ich nie verdienen konte, für den Verlust meiner liebsten Hofnungen? – Sie sprechen von Formalitäten, die sezen Anklage, Vertheidigung, Untersuchung voraus – wo fand dergleichen Statt? Räuberformalitäten übt man an uns – und Sie thun nicht wohl im deutschen Eifer einer Nation ausschließend das Räuberhandwerk zuzueignen. Mir müßen Sie es wenigstens nicht sagen, die ich 160 Gefangne sah, welche durch deutsche Hände gingen, geplündert, bis auf den Tod geprügelt worden waren, und ohngeachtet die wenigsten von ihnen den Franken wirklich angehangen hatten, jezt der deutschen Grosmuth fluchen musten. Königstein bildet eifrige Freyheitssöhne – alles, was sich noch von Kraft in diesen Armen regt, lehnt sich gegen dies Verfahren auf. Ich kan es begreifen, daß man scharf straft, aber daß ganz Unschuldige ohne alles Verhör so lange jammern müßen, da die Mainzer Regierung M. nicht wieder einzunehmen, sondern Muße genug für die Uebung der Gerechtigkeit hat – das ist unverantwortlich und sehr unpolitisch.
Verzeihen Sie meine Lebhaftigkeit um so eher, lieber G., da sie Eurer Freundschaft kein unwillkomner Beweis seyn muß, daß die Härte des Schicksaals mich nicht in den Staub gedrückt hat.
Ich höre von dem guten Porsch gar nichts mehr – unter uns, ich glaube, er wird ein bischen wild seit ihrem Tode. Das thut mir sehr leid.
Wenn man mir schreiben will, so bitt ich eine Adreße an Hrn. Franz Wenner, in der Varrentrapp und Wennerschen Buchhandlung, zu machen – offne Briefe sind forthin eine unnöthige Bemühung.
Ich umarme Louise und Wilhelmine – seyd ja nicht bös auf mich, lieben Leute – ich lache die Großen aus, und verachte sie, wenn ich tief vor ihnen supplicire, aber ich bin wahrhaftig nur eine gute Frau, und keine Heldin. Ein Stück meines Lebens gäb ich jezt darum, wenn ich nicht auf immer, wenigstens in Deutschland, aus der weiblichen Sphäre der Unbekantheit gerißen wäre.
16 Juni.
Machen Sie um die Einlage noch ein Couvert an Meyer in Berlin, bey dem Hofbaurath Itzig, und senden Sie sie gleich fort.
Mir ist gar nicht wohl – der Husten ist hartnäckig und quälend. Adieu, lieber Gotter.
Metadata Concerning Header
  • Date: 15. Juni 1793
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Gotter
  • Place of Dispatch: Kronberg im Taunus ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 290‒293.
Language
  • German

Weitere Infos ·