Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Kronenberg d. 15. Jun. [17]93.
Im März haben Sie meiner noch gedacht und mir etwas alte Tugend zugetraut – ob Sie gleich viel Albernheit bey mir vermutheten. Wie es jezt mit Ihrer Meinung steht, weiß ich nicht. Ich schrieb Gotter lezthin: „Wenn Meyer hört, was mir wiederfahren ist, so wird er mich detestiren, und er hätte recht, wenn ich es mir wirklich zugezogen haben könte.“
Wie viel hätte ich Ihnen zu sagen, wodurch Sie freylich um nichts weiser werden würden, wenn Sies wüsten, denn Menschen Thorheit und Schlechtigkeit und die wunderbaren Verkettungen unvermeidlicher Zufälle kennen Sie lange. – Ich habe zwey schreckliche Monate durchlebt – meine Gesundheit hat sehr ernstlich gelitten – aber gieb mir morgen Ruhe und Verborgenheit, so vergeße ich alles und bin wieder glücklich.
Seit Jänner war ich fest entschloßen Mainz zu verlaßen und nach Gotha zu gehn– auch Sie schloß ich mit in meine Rechnung – in Gotha hofft ich Sie zu sehn. Theilnahme an Forster, der eben um die Zeit erfahren sollte, daß Therese die halbe Gerechtigkeit üben wollte, sich von ihm zu trennen, hielt mich in M. Gänzliche Unbekantheit mit allem, was außerhalb Mainz vorfiel, ließ mich diese Verzögerung als eine gleichgültige Sache betrachten, und mich selbst hielt ich für völlig unbedeutend bey meiner Art zu leben, die durch keine einzige öffentliche Handlung, kein Zeichen des Beyfalls oder eine solche Absurdität, wie Sie nahmhaft machen (sich Mährchen aufbinden zu laßen, dem Schicksaal scheint kein Mann entgehn zu können), unterbrochen oder befleckt wurde. Einer Gemeinschaft mit meinem tollen Schwager, der nie meine Wohnung betreten hat, macht ich mich nicht schuldig. Allein meine Verbindung mit Forster in Abwesenheit seiner Frau, die eigentlich nur das Amt einer moralischen Krankenwärterin zum Grunde hatte, konte von der sittlichen und politischen Seite allerdings ein verdächtiges Licht auf mich werfen, um das ich mich zu wenig bekümmerte, weil ich selten frage, wie kan das andern erscheinen? wenn ich vor mir selbst unbefangen oder gerechtfertigt dastehe. – Der Himmel weis, welche treue Sorge ich für F. trug. Ich wuste nichts von Theresens Planen – Ende Dec. schrieb sie mir: Lieb und pflege F. und denke vor dem Frühling nicht an Aenderung des Aufenthalts, bis dahin läßt sich viel hübsches thun. Das war der einzige und lezte Brief seit ihrer Abreise – seit dem keine Silbe, weder an die Forkel noch mich. Ich errieth indeßen ihre Absicht, und sah, wie vielmehr F. bey jeder Verzögerung leiden würde, da er nichts zu ahnden schien – darum schrieb ich im Jänner an Huber, worauf er mir antwortet: „Sie sind gut und brav mir so entgegen zu kommen, und ich danke Ihnen, daß Sie mir noch fühlbarer machten, daß ein Aufschub unedel sey“. Hierauf folgte auch bald ein Brief von ihm an George, deßen Ueberbringerin ich seyn muste. – Therese schrieb zu gleicher Zeit – und die Sache ward ausgemacht, daß Huber Th. und Claren haben und George das älteste Kind behalten sollte. Forsters Stimmung war so schwankend, daß es alle unermüdliche Geduld weiblicher schwesterlicher Freundschaft erforderte ihn zu ertragen, allein Du, der Du alle seine anziehenden Eigenschaften kenst, wirst es leicht begreifen, wie sie eben in der Verbindung mit mitleidenswürdiger Schwäche mich zur allerfreywilligsten uneigennüzigsten Ausdauer bewegten. Hier sind ein paar Zettel von ihm, die ich Sie aufzuheben bitte – es sind die einzigen, die ich noch habe, ich zernichtete alles was von seiner Hand war, und mag auch diese nicht mehr bey mir führen. In der Mitte des Febr. ging er aufs Land und blieb 3 Wochen aus – ich war indeß so krank an Gicht Anfällen, daß ich zu Bett lag, und nicht reisen konte. – Bis zu Ende März litt ich bald mehr bald weniger so schmerzhaft, daß ich eine Reise noch am 26sten für unmöglich hielt und in Todesangst da lag. Am 24. ging George nach Paris, und ich trennte mich auf immer von ihm. Endlich mach ich mich am 30sten mit Meta und der alten Mutter auf den Weg, um über Mannheim nach Gotha zu gehn, wo Gotter schon seit langer Zeit mein Absteigequartier bereitet hatte. Wir musten umkehren, weil die Preußen schon das Land im Besiz hatten – wir vertrauen uns einem Mann an, um nun grade zu nach Frankfurt zu reisen, der einer von den Leuten ist, die im Geruch der Rechtschaffenheit stehn, aber aus Furchtsamkeit aller möglichen Schurkenstreiche fähig sind – das war dumm, da ich ihn bey dieser Gelegenheit zum erstenmal sah – aber wie kont ich an Verrath denken, da mirs nicht einfiel, mich für verdächtig zu halten? Sobald man uns auf unsre ominösen Nahmen hin anhält, überliefert uns dieser Mensch, um seine Loyalität zu retten – immer ohne Ahndung des schrecklichen Ausgangs bleiben wir 3 Tage in Frankfurt und halten heilig den auferlegten Stadtarrest, indem er ins Hauptquartier geht, auf welche Expedition erst Bewachung im Hause, und dann ein Transport nach Königstein folgt. Ich erzähle Dir nur kurz, ohne die Empfindungen zu schildern, in die Du Dich noch wirst versezen können, so hartherzig Du seyn magst. Ich bin ja niemals eine unnatürliche Heldin, nur immer ein Weib gewesen – ohne zu erliegen fühlt ich alles – weich machte mich nur der Anblick meines Kindes. Nach einem Verhaft von mehreren Wochen erfahren wir, daß man uns als Geißeln gegen Mainzer nüzen will, die nach Frankreich geführt wurden – man erwartete, wir würden in der Verzweiflung alles thun, um eine Auswechslung zu bewürken, und sie durch Forster und W[edekind] zu stand bringen können. Wir haben uns bis diesen Augenblick standhaft dagegen gesezt, und der Schritt wär auch nothwendig fruchtlos — häufige und dringende Verwendungen habens endlich dahin gebracht, daß man uns hier Orts Arrest gegeben hat, statt des ungesunden, fürchterlichen, unverdienten Gefängnißes in Königstein – Wie man diese Sache zu endigen denkt, weiß ich nicht – wir haben uns jezt an unsre Regierung gewandt – was ich da erlangen kan, ist wenigstens der Beweis nicht als Geißel dienen zu können – dann kan man mich noch mit falschen Anzeigen chikaniren – hätte man mit Untersuchung angefangen, so könt ich schon ganz erlößt seyn – allein man hat vorher gestraft – um eine Erbittrung zu befriedigen, die ich mit Forster theilen muß – wenn etwa nichts zu erweisen wär. Noch hab ich kein Faktum erfahren, daß man mir schuld giebt, nichts wie allgemeine schändliche und absurde Gerüchte.
Mir kan nicht genügen an dieser bedingten Freyheit – ich muß bald vom Schauplaz abtreten können, wenn ich nicht zu Grund gehen soll. Wolte Gott, Sie wären in der Nähe, und ich könte Sie sprechen. – Ueber meine Schuld und Unschuld kan ich Ihnen nur das sagen, daß ich seit dem Jänner für alles politische Interreße taub und todt war – im Anfang schwärmte ich herzlich, und Forsters Meinung zog natürlich die meine mit sich fort – aber nie bin ich öffentliche noch geheime Proselytenmacherin gewesen, und in meinem Leben nicht aristokratisch zurückhaltender in meinem Umgang, als bey dieser demokratischen Zeit. Von allem, deßen man mich beschuldigt, ist nichts wahr. Bey der strengsten Untersuchung kan nur eine Unvorsichtigkeit gegen mich zeugen, von der ich noch nicht in Erfahrung bringen konte, ob man sie weiß, und die grade nur Mangel an Klugheit ist.
Du mußt mir auf mein Wort glauben – es ist sehr möglich, daß es das lezte ist, was ich zu Dir rede.
Huber schreibt mir noch, von Therese kein Zeichen des Lebens und der Theilnahme. Ich verachte es, jemand mein Unglück schuld zu geben, – sonst könt ich fragen – wer hat mich nach Mainz gelockt? warum blieb ich dort? – Ich denke an Therese nicht. Forster schrieb ich – er konte vielleicht noch nicht antworten. Aber mögen sie doch alle sich nur mit sich beschäftigen.
Meine Existenz in Deutschland ist hin. Es giebt keinen Mann, von dem ich noch abhängig wär, oder ihn genug liebte um ihn schonen zu wollen. Tatter hätte mich durch etwas mehr männlichen Muth und ein entscheidendes Wort retten können – der einzige Mann, deßen Schuz ich je begehrte, versagte ihn mir. Meine sehr entschiedne instinktmäßige Neigung zur Unabhängigkeit ließ mirs nie zu, meine Gewalt über irgend einen andern nuzen zu wollen. Tatter wird sich quälen – warum konte er nur das für mich? Er wolte nicht glücklich seyn – und für mich verfloß die Zeit auch, wo Entbehrung Genuß ist. Hätte Tatter im December, wie ich ihm ängstlich über meine Zukunft schrieb, gesagt – verlaße Mainz, so hätt ich ihm gehorcht – statt deßen heißts – ich bin in Verzweiflung nichts für Dich thun zu können. Meine Geduld brach, mein Herz wurde frey, und in dieser Lage, bey solcher Bestimmungslosigkeit meinte ich nichts Beßers thun zu können, als einem Freund trübe Stunden erleichtern, und mich übrigens zu zerstreun. – Seit dem Jan. hab ich Tatter nicht geschrieben und werde es auch nicht wieder – außer in einem Fall.
Ich bin nun isolirt in der Welt, aber noch Mutter, und als solche will ich mich zu erhalten und zu retten suchen. Was mich beunruhigt und zuweilen die Frölichkeit meines Muthes schwächt, ist der Zustand meiner Gesundheit – und die Leiden meiner Mutter. In derselben Woche, wo ich meine Freyheit verlor, büßte Lotte ihr Leben im Kindbett ein. Die Mutter jammert, aber Lotten ist so beßer – sie war glücklich, da sie starb, und sie hätte noch viel Unheil erfahren können, wenn sie länger gelebt hätte.
Von meiner Zukunft muß ich schweigen, weil ich nicht alles, was die Gegenwart betrift, dem Papier anvertraun kan. Schreiben Sie mir sogleich, wie lange Sie noch in Berlin bleiben. Sie können sich darauf verlaßen, daß Sies mit Sicherheit dürfen, und mir liegt an der Antwort. Machen Sie einen Umschlag an Hrn. Franz Wenner, in der Varrentrapp und Wennerschen Buchhandlung in Frankfurt. Ich bekam Ihren Brief vom 9ten März vor ein paar Tagen durch Huber, dem ihn Amalie geschickt hatte.
Lebe wohl. Was Du von mir hören magst, jezt da ich einem gehäßigen Publikum schmälich überantwortet bin – und was für Entschlüße ich ergreifen möge – denk, ich sey dieselbe Frau geblieben, die Du immer in mir kantest, geschaffen um nicht über die Gränzen stiller Häuslichkeit hinweg zu gehn, aber durch ein unbegreifliches Schicksaal aus meiner Sphäre gerißen, ohne die Tugenden derselben eingebüßt zu haben, ohne Abendtheurerin geworden zu seyn. Nochmals lebe wohl.
Nachschrift des „Übersenders“ schließend: Carolinens Befreyung wäre so ein Stückchen für einen Ritter Eures Gleichen gewesen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 15. Juni 1793
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Kronberg im Taunus ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 293‒299.
Language
  • German

Weitere Infos ·