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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

[Leipzig] 30. Juli 1793.
Sie wißen nicht, welch eine Wirkung Ihr Brief vom 26. Juli auf mich haben muste, vielleicht ahnden Sie es um etwas deutlicher seit meinem lezten. Ihr Rath raubt mir die einzige Zuflucht, die ich mir bestimt dachte. Ich habe mich gehütet Ihnen in der ersten Stunde zu antworten, nicht als wäre eine unwillige Bewegung gegen Sie in mir gewesen – aber ich fürchtete mich meiner ganzen Bestürzung zu überlaßen und Sie damit zu bestürmen. Ich will ruhig seyn, so viel ich vermag – bedenken Sie nur, daß ich von allen Seiten angegriffen bin, von denen ein Weib leiden kan. Von einer Kleinigkeit, von einer Thorheit, über die ein Mann, der die Welt kent, die Achseln zuckt, ist hier nicht die Rede – so wenig wie von einer unedlen herabwürdigenden That – sondern von einem Unglück, über welches ich mir in einer Rücksicht bittre Vorwürfe zu machen habe, das ich aber zu sehr büße, als daß fremde mich rühren könten. Von Ihnen erwartete ich, daß Sie es ansehn würden, wie ich selbst, da ich mich nicht mit Entschuldigungen verzärtele, allein der Rettung werth halte. – Ich habe vergeßen, was ich meinem Kinde schuldig war – ich habe in einer gespannten Lage meines Gemüths aus leichtsinniger Kühnheit mich hingegeben, und die Folgen rächen sich in dem Nahmen, gegen den ich sündigte. Jezt übersehn Sie die Leiden der vergangnen Monate. Als ich Mainz verließ, war ich unbekant mit meiner Lage, und entdeckte sie in – [Königstein], damals kont ich doch noch mehr Muth haben wie jezt – ich hatte mir eine bestimmte Zeit gesezt; wurde ich innerhalb dieser nicht gerettet, so hätte ich zu leben aufgehört, denn meinem armen Kinde war es ja beßer ganz Waise zu seyn, als eine entehrte Mutter zu haben. Die Mittel dazu waren durch die Hülfe eines Freundes, den ich von der Nothwendigkeit überzeugt hatte, in meinen Händen – sie sollten mir nur im äußersten Fall dienen – ich würde also erst Flucht versucht haben – um mir im Leben oder im Sterben beyzustehn kam er zu mir – wenig Tage nachher wurde ich frey, und er begleitete mich hierher. Weiter kont er nicht, weil sein Dienst ihn zurück forderte – ich wollte nicht jenes Land zu meinem Zufluchtsort wählen, weil mich die Theurung und das Clima schreckten. In Berlin dachte ich Hülfe jeder Art, Geheimniß und einen Mann zu finden, deßen Kopf den meinigen in Zeiten beschäftigt hätte, wo ich mich nicht mit ihm allein trauen kan – einen Mann, auf deßen menschliches Gefühl und Rechtschaffenheit ich rechnen konte. Zugleich hätte dieser Aufenthalt meinen Verwandten mehr Beruhigung wie einer außerhalb Deutschland gewährt, und an politischem Schuz zweifelte ich nicht – oder glaubte vielmehr daran nicht weiter denken zu dürfen, weil der König sich meiner bestimmt angenommen hat, weil Menschen, auf deren Wort er es that, mir den Rath gaben, am ersten nach Berlin zu gehen, weil, wenn ich auf meinem Namen da erscheinen wollte, ich die schüzendsten Empfelungsschreiben hätte bekommen können, weil mein Bruder als freywilliger Arzt in preußischen Diensten steht, und hoffentlich ordentlich angesezt wird – und endlich der Paß des Commendanten in Frankfurt mich vors erste auch in Berlin sicher stellen muste. Ich muß Ihnen sagen, dürfte ich meinen Nahmen führen, so würden mich alle diese Umstände noch gegen Ihren Rath bestimmen, dem ich jezt wohl folgen muß, wenn Sie dabey beharren. Vielleicht ändert sich aber Ihre Ansicht, ich will Ihre Antwort hier abwarten. – Ist denn Berlin nicht groß genug um ein Weib zu verbergen? Ich will von der Idee abgehn auf dem Lande zu seyn. – Läßt sich denn nicht ein Zimmer haben, wo sich eine Frau mit einem Kinde einmiethet, etwas Aufwartung von den Leuten im Haus hat, und übrigens unbemerkt wie tausend andre existirt! Was man von mir sähe, würde keinen Verdacht gegen mich erregen, und mein Ansehn auch nicht. Außer Ihnen besuchte mich niemand – das geschähe nicht täglich – und möchte man davon denken, was man wollte. Für das weitere hätte ich nun Nachrichten von Ihnen gehoft. Gäb es Anstalten, so gut, wie die in Göttingen jezt ist, so hätte ich diese genüzt, und vorher dafür gesorgt, das arme Geschöpf gleich bey einer guten Bauerfrau unterbringen zu können. Wenn meine zerrüttete Gesundheit unterlag, so brachten Sie Augusten nach Gotha, und richteten meine übrigen Aufträge aus. Wenn ich es überlebte, so verließ ich dann Berlin um dahin zu gehn, wohin ich anfangs wollte – denn indessen waren alle Verhandlungen [Lücke] betreffend vermuthlich geendigt, und ich brauchte mich um meiner Sicherheit wegen nicht weiter zu verbergen, wie ich es jezt glauben mache, und als Vorwand die einzige Unvorsichtigkeit, die ich wirklich in politischem Betracht beging, angegeben habe. Was hab ich zu thun, wenn das alles fehlschlägt? Gotter kent mich – er ist diskrett – ich habe seine und seiner ganzen Familie Theilnehmung in einem Grade, die meine herzlichste Dankbarkeit auffordert, aber kan ich mich ihm ganz vertraun? Er rieht mir hier den Aufenthalt auf dem Lande ab, denn in der Nähe dieser Stadt ist das Land im Sommer ärger wie die Stadt – man erregt dort mehr Neugierde. Die Befehle sind übrigens so streng, daß man Mauvillon, weil er Mirabeaus Freund war, nicht dulden will, ob er gleich Officier in Diensten des Herzogs von Braunschweig ist. – Bis zur Meße, noch zwei Monat, kan ich in diesem Haus nicht bleiben – man müste mich längst entdeckt haben, wenn man mich je vorher gesehn hätte. Bleiben Sie dabey mir Berlin zu misrathen, so miß ich darauf dringen, daß Göschen mir auf dem Lande einen Aufenthalt verschaft – ich muß ihm etwa daßelbe sagn, was ich meiner Mutter vorwandte, und Sie holen mich dann nach Erledigung Ihres Engagemens ab, um, wo wirs dann für gut finden, bis zu Ende Nov. oder Anfang Dec. zu bleiben. Sie sehn, daß ich kein Mistrauen gegen Sie gefaßt habe, und thaten Unrecht sich so stark dagegen zu verwahren. Die Ueberzeugung hab ich einmal, daß Sie ein ehrlicher Mann sind, der eine ernste Sache ernst behandeln kan. Es kan seyn, daß ich daßelbe Zutraun hätte, wenn Sie es auch weniger verdienten, denn Argwohn kan mein Talent nicht seyn, so lange ich aus der Erfahrung meines Herzens weiß, daß Redlichkeit eine mögliche Sache ist. Soll ich jederman für weniger gut halten wie mich selbst? – Ich zweifle nicht daran, daß Sie einen kleinen Embarras überwinden werden um mir zu helfen. Mehr fordre ich nicht – es könte mir nicht einfallen, das Opfer eines gegebenen Worts zu begehren, und ich würde mich überhaupt scheuen Ihnen irgend etwas zu verdanken, wenn Sie mir das mindeste zu verdanken haben könten. Vielleicht ist es diese Denkart, diese unauslöschlich nothwendige Handelsweise, die in diesem Augenblick mich alles Schuzes beraubt. Mag es seyn! – Wie ich, von jederman verlaßen, mir allein nicht einmal die Möglichkeit zu sterben hätte verschaffen können, vertraute ich mich einem Mann, den ich von mir gestoßen, aufgeopfert, gekränkt, dem ich keinen Lohn mehr bieten konte, wie es wohl in der Natur meines Vertrauens lag – und er betrog mich nicht. Das sanftere Gefühl, das seine gränzenlos edle Güte in mir wieder aufweckte, ließ mich für die Hofnung aufleben, die Prüfungen, die ich nun nicht mehr gewaltsam endigen kan – dazu ists zu spät – würden erträglich vorübergehn. Daß aber mein Muth nicht dadurch erstickt ist, fühl ich heute, wo ich von neuem wahrnehme, daß die Vernachläßigung einer heiligen Pflicht jeden meiner Schritte mit Mühseeligkeit bezeichnen wird. Ich zürne nicht mit Ihnen – ich verzweifle nicht. Sie werden thun was Sie können – Können Sie nichts, so wird die Hülflosigkeit selbst Rettungsmittel werden.
[Schluß fehlt.]
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 30. Juli 1793
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 302‒306.
Language
  • German

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