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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

[Lucka] 15 August 1793.
Es muste mir sehr erwünscht seyn, meinen Entschluß gefaßt und schon seit 8 Tagen ausgeführt zu haben, da ich vorgestern Ihren Brief erhielt. Ich sah ebenfalls ein, daß Göschen so viel wuste, und er und seine Frau so viel errathen konten, daß es sichrer war, mich ihnen zu vertraun. Sie sind mir so thätig und herzlich entgegengekommen, daß ich mich sehr irren müßte, wenn ich ihnen nicht zulezt wie zuerst zu danken hätte. Göschen scheint so redlich, wie er diensteifrig ist, und sie ist gewiß ein gutes, aus Güte wirkendes [?] Weib. Ich bin durch seine Vermittlung in einem kleinen Grabesstillen Landstädtchen 3 Meilen von Leipzig im Altenburgischen gelegen, im Hause eines ältlichen unverheyratheten kränklichen Arztes, der in dem Fach, worin ich ihn brauche, geschickt seyn soll, und mehrmals Kranke bey sich beherbergt. Göschen kante den Mann vorher nicht – er gab mich für seine Stiefschwester, Verwandte zu versöhnen, der Mann noch nicht im Stande eine Heyrath zu erklären u. s. w. Ich überließ ihm die Fabel. Ihre Rathschläge sind so vortreflich, daß sich der Marchese von G[rosse] ihrer freun, und so vernünftig, daß ich sie befolgt haben würde, wenns nicht zu spät gewesen wär, und ich überhaupt anders als in einen Anfall von Muthwillen Lügen an den Mann zu bringen wüßte. Ich habe nichts gesagt, als es müste jezt Geheimniß bleiben, weil ich mich mit meiner Familie entzweyen, sie betrüben, weil die Welt in der Stimmung, in welche sie meine Gefangenhaltung versezt, die Wahrheit selbst nicht gelten laßen und ich eine Pension verlieren würde, die ich noch nicht aufgeben könte. Das ist denn auch sehr wahr. Göschens rathen vielleicht auf jemand, vermuthen vielleicht eine heimliche oder doch zukünftige Ehe – allein ohne mein Zuthun.
Für mein Kind ist gesorgt, wenn ich selbst nicht sollte sorgen können. Der Vater lebt, und verlangt es, aber wenn ich irgend vermag, so soll es mein bleiben. Ich habe nie geglaubt, daß Auguste durch das, was es ihr entziehn könte, verlieren würde – nur die Überzeugung hatte ich, daß die Schande, der Scandal sogar, der in der Lage, worin ich mich befand, eine Entdeckung begleiten mußte, dem Schicksaal des achtjährigen Mädchens eine nachtheilige Wendung geben, und alles, was fern und nahe theil an mir nahm, unvergeßlich bitter kränken mußte. Darum kont ich den Gedanken faßen, den ich selbst für eben so abscheulich als nothwendig innerhalb der Mauren hielt, die mich umschloßen. Ich fühle ganz, wie wenig Sie von mir wißen, wenn Sie mit einer harten Bemerkung eine Schwärmerey niederschlagen zu müßen glauben, die mir meinen Kopf und mein Herz verächtlich machen würden, wenn sie ihrer fähig wären. Meine Pflichten kenne ich, und ich hoffe, ich übe sie jezt in ihrem ganzen Umfang, indem ich gut zu machen trachte, was ich verbrochen habe, und weder Muth noch Geduld noch Freundlichkeit verliere – Sie können mich verwunden, denn ich bin weicher wie gewöhnlich, und Sie hätten mir Gutes thun können, aber meine Faßung bleibt die nehmliche, wenn Sie auch den Ton gegen mich ändern. Ich müste nicht argwöhnisch, sondern blind seyn, wenn ich die Aenderung nicht bemerkte. Nur eine einzige Vermuthung habe ich über die Ursache – der Canzleysekretair Br. hat Ihnen geantwortet und Sie über eine Frau zurechtgewiesen, die er durch pöbelhafte Gerüchte genugsam kent. Sie haben Verdacht gefaßt, weil Sie mit dem Weltlauf bekant sind. Worte, Briefe sind nichts. Das ist auch mein Glaube. Seit 4 oder 5 Jahren sahn wir uns nicht, was kan seitdem aus mir geworden seyn?
So viel ist gewiß, daß wir uns von nun an misverstehn müßen, bis uns der Zufall zusammenführt. Ich glaubte lezthin, Sie vielleicht noch innerhalb der 3 nächsten Monate zu sehn, aber Sie kündigen mir ein langes Verweilen in Berlin an. Was nachher geschehn kan, ist wenigstens zweifelhaft.
Mein Bruder schreibt mir, daß er Voß einen Brief für mich, mit einem Couvert an Sie, zugeschickt hat. Er müste schon angekommen seyn – können Sie sich nicht bey Voß erkundigen? Wenn Sie ihn mir schicken, so nehmen Sie ein Couvert an G., denn seine Leute vermuthen mich in B. und würden sich über einen Brief daher wundern. Die Gothaer glauben mich bey B. auf dem Lande. So viel zur Nachricht, damit Sie mir nicht schaden, was Sie nicht wollen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 15. August 1793
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Lucka · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 306‒308.
Language
  • German

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