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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

[Lucka] 9. Dec. [17]93.
Lieber M., ich hoffe Sie sind doch nicht ohne einige Besorgniß geblieben, wie es mir möchte ergangen seyn. Es ist alles glücklich, sehr glücklich vorüber – ich bin voll Dank und Freude – sagen Sie mir nun gegen wen und worüber. So zahm sind die Menschen, daß wenn das Schicksaal ihnen recht gräslich mitgespielt hat, sie bey der ersten Erholung sich gleich einen Götzen errichten möchten, um ihm Dankopfer darzubringen. Ich will aber auch mein frohes Gefühl nicht durch solche Reflexionen entweihen. Mir ist sehr wohl. Mein Leben ist mir wieder so lieb. Die glückliche ehrenvolle Mutter kan kein reineres Entzücken fühlen, wenn sie sich ihrer Familie gerettet und sie nun vermehrt sieht, als ich, da mein Kind gebohren war und ich mich gleich wohl genug befand, um doch die Erhaltung meiner Kräfte wahren [?] zu dürfen. Ich habe jedesmal aufs kläglichste gelitten, und diesmal war der erste Anschein gar übel, die Augenblicke selbst gewaltsam, aber schnell geendet – und jezt sind die ersten Wochen vorbey, ohne die mindeste Spur von Zufällen, die ich so sehr fürchtete. Ist das nicht wunderbar und Gnade des Himmels, who did temper the mind! Das Kind ist ausgezeichnet groß, stark, gesund – ruhig wie ein Lamm, und das ich Dir das beste zulezt verkunde – kein Mädgen. Meine erste Frage war das, sagt der Arzt. Der Zufall hatte wenig Tage vorher einen hier etablirt, der mit vortrefliche Dienste geleistet hat. Die zweite Frage soll gewesen seyn, ob er schwarze Augen hätte. Bey der Gelegenheit müßen Sie wißen, daß er mir nicht ähnlich sieht, außer etwa im Mund und Kinn – übrigens kan er mir nie ausgetauscht werden. Beßer hätte ich es nun auch nicht wünschen können, als ichs mit seinen Pflegeeltern getroffen habe. Die Leute sind dem Jungen wahrhaftig gut. Weiß ich aber, ob diese Nachrichten von dem Kind der Glut und Nacht Sie interreßiren? Und nun also! – Gut, ich hab es auch beßer gehabt, wie ich verdiene; eine sorgfältigere und liebevollere Wartung ist mir in ehemaligen Tagen nicht geworden wie jezt. O lieber M., wenn es nur dabey bleibt, daß ich meine nächsten Verwandten nicht kränke und ärgre – (noch steht alles gut) – wie gut ists, daß ich den Ausgang abgewartet habe, und wenn ich die Folge vor mir sehe – kan ich den Ursprung bereun? Eben diese brachte mich in die verzweiflungsvolle Lage, und sie ists nun, warum ich mir verzeihe. Gustel hat eine unmäsige Freude über das Kind, als müste es nur so seyn. Wer hier Schuld finden will, darf nicht in unsre Nähe kommen, nicht in dies Stübchen – hier herscht unschuldiges Vergessen alles Unrechts und aller Sünden.
Gotter hat mich wieder in sein Haus geladen – ich werde im Januar wohl hingehn, und dann wollen wir weiter sehn.
Ein paar Tage, nachdem ich Sie gesehn hatte, kam ein Brief von Theresen an, ein Manifest der Selbstherscherin der Reußen an die Republik Pohlen. Sie berichtet mir, daß sie nun seit 12 Jahren an der Existenz meines Herzens gezweifelt, und mir ein bloßes Kunstgefühl zugetraut hätte _ das soll ihr Unrecht gegen mich erklären. Haben Sie darum gewußt? Mir komt das wie ein rechter Kunstgedanke vor. Auch wären wir Rivalinnen gewesen von Kindsbeinen an. Es will hervorleuchten, als hätte sie mich mehr für die ihrige gehalten, als ich jemals selbst mich dafür hielt, und weiß der Himmel, daß es nie Einfluß auf meine Beurtheilung und meine Liebe hatte. – Ferner hätte sie immer gar viel Böses von mir gehört. Das will nun freylich etwas sagen. Ich hab ihr geantwortet, für eine Frau von Verstand hätt ich mich mein Leben lang erbärmlich betragen, und wär also nach ihrer Vorstellung so geist wie herzlos. Eines andern sie zu überführen möchte zu spät seyn. Sie will mich wieder – was ist das nun? Ich könt Ihnen mehr aus dem Brief sagen, aber ich thu es nicht, denn Sie würden Anlaß zum Spott finden, und wir könten ihr beide Unrecht thun, was ich nicht mag.
Ich weiß durch Minchen Bertuch, daß seit dem Mai Amalie nicht mehr mit Theresen in Verbindung ist, und ein Brief, den sie jener damals schrieb, A. sehr choquirt hat, vielleicht auch mit Unrecht. Leben Sie wohl – ich habe viel geschrieben für die unbequeme Lage, in der ich mich befinde. Antworten Sie mir gleich.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 9. Dezember 1793
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Lucka · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 313‒316.
Language
  • German

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