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Therese Huber to Caroline von Schelling

[Neuchâtel] den 25 Febr. 1794.
Dein Brief vom 28 December, glaub ich, ist uns erst am 21 Febr. in die Hände gekommen; wir begreifen diesen Aufschub nicht. Jezt wirst Du wißen, wie traurig und unverhoft sich unser Schicksal verändert, wie schrecklich der Tod Bande zerrißen hat, die zu knüpfen so manchen fürchterlichen Kampf, so manches bittere Opfer gekostet haben. Er ruht nun im Grabe der gute, unglückliche Mann – dieses Gemisch der edelsten Eigenschaften, deren Uebermaß ihn zu Fehlern verleiteten, die sein Leben vergifteten. Er hat nie meine Liebe beseßen, nie meine Sinne, aber von unsrer Verbindung an meine wehmütige Zärtlichkeit, meine bange Sorgfalt. Sein Glück war zu meiner Ruhe nothwendig, – er war nie glücklich, und ich kannte nie Ruhe und Frieden. Ich hätte mich, und meine Liebe für Huber, seinen Glücke aufgeopfert, aber meine Liebe vertilgen konnte ich nicht – so kam der Augenblick der Erklärung – das ist nicht deutlich – hätte Forster als vernünftiger älterer Mann, als Ehemann und Freund mir gerathen und befohlen Huber nie mehr zu sehen, mich entfernt – ich hätte mich nie wiedersezt – aber zu edelmüthig dazu, zu wenig fühlend, daß ich ihn nie lieben konnte, wiedersezte er sich diesen einzigen Mittel, er wollte mein Gefühl modifiziren, und sezte mich allen Gefahren aus – Er war zu edel und zu schwach – O er war unsäglich elend, und ich war – Was ich fühlte diesen Mann oft haßen zu müßen, ihn immer zu betrügen, ihn der immer der erste Gegenstand meiner zärtlichen Sorge und Zärtlichkeit war. Ich habe nie beten können, seit ich dencken lernte, aber in der Lebensangst meiner, leider bey verlezter Pflicht, alles überflügelnder Liebe, und den nie ablaßenden Wunsch ihm wohlzuthun hab ich oft aus Unsinn gebetet, er möchte mein Bruder sein – Wie ich heyrathete, war ich unschuldiger als ein Kind. Ich ward erst vier Wochen nach meiner Hochzeit Frau, weil die Natur uns nicht zu Mann und Frau bestimmt hatte. Ich weinte in seinen Armen und fluchte der Natur, die diese Qual zur Wollust geschaffen hatte – endlich gewöhnte ich mich daran – in Polen machte ich ihn glücklich, aber Liebe genügte ihm nicht, obschon er dort glauben muste, ich liebte ihn, den meine Briefe an Meyer, die er sah, störten ihn nicht, so schwärmerisch sie waren. Nun kamen wir zurück, und er wurde elend, den nun sah er, ich hatte ihn nie geliebt. Damals bot ich ihn an, bat, flehte mich von Meyer zu trennen. Er wollte nicht, er wollte, ich sollte ihn lieben und Meyers Freundinn sein – Meyer hätte mich unbedingt besizen können, aber diesen Räthselhaften Menschen mochte nichts daran liegen, er wollte mich verderben, er gab mir elende Bücher zu lesen, er suchte mein Gefühl zu zernichten – und verließ uns. Forster hatte damals meine Seele empört – er wuste, ich liebe einen Andern – er war der Vertraute meiner Unklugheit – er hätte mich einen stillen Lebensweg führen können und bestürmte mich mit Sinnlichkeit. Nun fiel ich in Verzweiflung. Ich war allen Gefühl abgestorben, und verfolgte jede Spur desselben mit fanatischer Bitterkeit. Nur Forsters Wohlstand, sein Hauswesen war meine Absicht – ihn muste ich immer, immer gut sein – er war mir theuer und werth in jeder Rücksicht, wo ich nicht sein Weib war, aber wo ich seine Sinne berührte, muste ich mit den Zähnen knirschen. Ich sah mich endlich vor eine Hündinn an, die das Männchen niederwirft – ich sah es wie die Erniedrigung der Menschheit an – ich hatte einen Grad menschenhaßender, alles Gefühl verabscheuender Bitterkeit, die seinen guten Herzen wohl meistens entging. Nun fingen wir uns zu lieben an, Huber und ich – den eh Forster nach England ging, hatten wir nie in irgend einen Verhältniß gestanden – der Zufall entdekte unsern Herzen, wie nahe sie waren, und Forsters häusliche Ruhe war dahin. Er wird Dir ja wohl viel erzählt haben – Er war unendlich edel, gut, menschlich – aber vor den Unglück, was ihn traf, konnte ihn nichts hüten – lieben konnte ich ihn nicht, und lieben – nun zum erstenmal aus Herz und Sinnen und Verstand – lieben muste das liebevollste Herz, daß jezt nicht mit dem Ungestüm erster Jugend, aber der unabänderlichen Innigkeit eines gebildeten Gefühles liebte. Was er gelitten hat, weis ich – mein blutendes Herz hat es mir drey Jahre gesagt – mein Leben nahte sich dem Grabe vor Schmerz – mein George trank den Tod an meiner Brust, weil ich im Kummer lebte – Und wie konnte sich seine mißverstehende Güte zu den Schritte entschließen, den meine glühende Liebe nicht zu fordern vermochte. Hätte er mich von Ferdinand trennen wollen, ich hätte mich nie wiedersezt – ich habe es ihm dreymal angeboten, aber sein Herz war zu weich. – Im Nov. sahen wir ihn – wir wären nun glücklich gewesen. Wahrheit und Liebe vereinte uns. Er sah uns ihm mit den denkbarsten Vertraun entgegen kommen, er sah uns glücklich, vereint, liebend – kein Betrug, keine Lüge, aber der kindlichste Wetteifer ihm wohlzuthun, ihm zu danken. Er wuste aus meinen Munde meine ganze Schuld. Könnte ich Dir seine Briefe seit den Entschluß zu unsrer Trennung zeigen! Wärst Du Zeuge unsres Beysammenseins gewesen – Wir hoften dieses Jahr nach Frankreich zu gehen und in seiner Nähe zu leben, – er fühlte sich beraubt, er fühlte ein großes Opfer gebracht zu haben, aber er fühlte sich belohnt. Zu aller Achtung für seinen Karakter, zu aller langgewohnten Zärtlichkeit, zu aller Wehmuth langbegangner Schuld, kam nun in meinen Herzen das kindlichste Vertraun, der innigste Dank. Sieh Du – Du wirst es verstehen – er war uns, was den Christen ihr Gott ist – wir musten um seinetwillen fromm und glücklich sein, das durch ihn erkaufte Leben muste uns heilig sein. O wahrlich, wahrlich, wir hätten ihn beglückt, und er starb.
In Deinen Brief ist manches unversöhnliche, das mein trübes Herz nicht versteht, aber in mir ist nichts, was mich abhält vor Dir, die Du Ihn kanntest, meinen unaussprechlichen Schmerz auszuschütten. Die Zeit wird ihn lindern – ich mache ihn mir nicht zur Pflicht, aber jezt ist die Scene seines einsamen Todes der Grund, auf dem jede Farbe der Gegenwart sich trübt, und die Zukunft umsonst ihren Pinsel ansezt – ich höre seine Stimme zum leztenmal seine Kinder rufen, sehe seine armen brechenden Augen keinen Freundesblick begegnen und sehe, wie er nun im Grabe nicht mehr leidet und kämpft. O gäb es einen Weg von der Geisterwelt zu uns, er wär ihn schon längst gegangen – er hätte seine Hand in der stillen Nacht schon oft auf meine verweinten Augen gelegt – ich kann mich nicht mehr freun. Ich freute mich auf sein Glück, und er ist todt. Und er war so gut! Und doch konnte er nie glücklich sein, und nie glücklich machen – aber viele frohe Stunden konnte er haben, und die hätte ich ihm gegeben und Ferdinand. Meine Einbildungskraft sieht ihn – in allen – allen.
Alles weint um ihn – Welch ein Schicksal war seines! Gute Nacht, Gute Nacht, du Müder – O Karoline, wie wenig wuste er, was Liebe war – ich liebte ihn so redlich – aber sein Weib konnte ich nie sein.
Ich habe da vieles gesagt, daß Dir nicht nuzt, aber Dir doch zeigen muß, daß Du mir nicht fremd bist, den ich gab Dir mein Heiligthum, meinen Jammer – die Zeit wird ihn lindern. Huber war ganz so edel wie bey allem, was er that.
Voß in Berlin hat sich mit einer höchst überraschenden Großmut betragen, alle Schuldscheine sind vernichtet. Forsters sämtliche Werke sollen in der Folge herausgegeben werden, jezt sein Nachlaß, und wahrscheinlich so bald wie möglich seine Korrespondenz zum besten der Kinder. Ob die Nation etwas für diese thun wird, ist noch nicht entschieden. In Paris ließ der gute F. nur Schulden, so daß ich vielleicht nicht einmal seine Uhr zum Andenken rette. – Er starb an einen Schlagfluß, zu einer Zeit, wo er sich auf der Beßerung glaubte. – O diese Bilder!
Ende Aprils verheirathen wir uns und gehen nach Zürich – alle unsre Plane sind zerstört durch seinen Tod und ich kann keine neue machen. Woher alles Geld zur Reise, zur Einrichtung kommen soll, weis Gott – Ferdinands Kindersinn blikt froh in die Zukunft, ich hänge an seinen heitern Auge und fühle Kraft zu allen, und so lang ich in seiner Gegenwart bin, ist mirs gut, wir sehen uns aber täglich höchstens nur drey Stunden, da er nicht mit uns wohnt, und viel arbeitet und auch Leute sieht.
Ich habe unglaublich gearbeitet – Gottlob daß ichs kann.
Die Kinder sind gesund und ihres verlohrnen Vaters, ihres Versorgers werth. Kläre ist sehr liebenswürdig und glücklich; Röse gleicht Ihm.
Karoline, wozu bestimmte uns beide das Schicksal? seit 15 Jahren was erfuhren, erlitten wir?
Liese ist noch bey mir – sie ist mir und uns allen unendlich zugethan.
Du lebst und Dein Kind. Gott sey Dank. Anfangs schokirte mich Deine Gegenwart in Gotha, die mir Marianne schrieb, eh Dein Brief vom Dez. kam, ich war unzufrieden; Deine Gründe befriedigen mich völlig, überhaupt Dein ganzer Brief; daß mein unendlich zerfleischtes Herz Dich hart findet und Dir jezt nur mit einer kindlichen Weichheit antworten kann, wirst Du verstehen. Ich wünsche Dir Frieden, wo Du auch seist, und verlange nach Dir, obschon ich mich vor dem, was in Dir anders ist, mich fürchte. Ich wünsche mir nichts als ein stilles Leben unter Hubers Augen. Meine Jugend ist hin, meine Gesundheit wankt, meine Hoffnungen – liegen in seinen einsamen Grabe – ich lebe nur durch Liebe – der Wunsch ihm, dieses beste menschliche Wesen – denn etwas menschlich guteres wie Hubern kannt ich nichts; ihm zu leben ist alles – mein einzig heftiges Gefühl ist Frankreichs Freyheit – Menschen sind mir jezt fast nichts, – aber das führt zu weit –
Du wirst mir schreiben, wenn Dein Schicksal fortschreitet. Höre eine Bitte, die Dich nicht beleidigen muß, sie ist treu. Ich weis nicht, ob Du jezt nicht liebst, oder was Dir jezt Liebe ersezt, aber kommst Du mit Männern in Verhältniße, so hüte Dich, daß Du nicht gemißbraucht wirst und Dich hintansezest. Gieb Dich aus Liebe, aber nicht aus Ueberdruß, Spannung, Verzweiflung. – Kannst Du aber die Männer entbehren, so ist es gut für Dich, bis Du wieder eine Bahn gefunden hast. Tatter must Du verlernen – Schlegel konnte Dich retten, aber doch nicht führen kann er Dich? Die bloßen gesellschaftlichen Verhältniße sind Dir gefährlich – ich bitte, weil ich nicht weis, wo Du Dich schadloß halten sollst, und ich Deinen Frieden wünschte. Schreibe mir, wenn Du etwas vornimmst, oder Hubern, denn Du thust Dir vielleicht nicht wohl, wenn Du mir schreibst, und das will ich nicht.
Laß die Menschen treiben – auch Böhmern, wenn er loß kommen sollte – Du kannst Dich gegen ihren Gift nicht vertheidigen, sie rasen gegen Dich. – Hast Du über Deinen Aufenthalt in Königstein und die dahin gehörigen Begebenheiten etwas aufgeschrieben? sende es mir doch! ich möchte gern mehr davon wißen – Du bist nun frey, und wenn es Dir nicht zu viel Gram macht, so sag mir, wie Dus dort triebst.
Lebe wohl! Ich umarme Gustel – und den Knaben. Ich bitte Dich, wie ists möglich Gustel wegen Deiner Lage zu verständigen?
[Letzte Seite, ein Viertel beschrieben, abgerissen.]
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 25. Februar 1794
  • Sender: Therese Huber ·
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Neuchâtel ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 324‒330.
Language
  • German

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