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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Gotha d. 16ten März [17]94.
Armer Freund, ich las von Anfang an in Ihrem Brief, was am Ende stand; es war mir, als wenn ich Sie hier und da Wehe! schreyen hörte. Lesen Sie dies, wenn Sie keine Schmerzen haben, denn Sie werden sich andrer, als die das Podagra giebt, nicht dabey erwehren können. Wenigstens glaub ich es so – aber vielleicht frag ich auch da zu sehr mein Herz. So viel ist sicher, es giebt nichts unbequemers als Theil an mir zu nehmen – doch –
mag mich noch so sehr das Schicksaal haßen,
betest Du wohl seine Sprüche nach?
Kanst Du mir gränzenloses Unglück verzeihn? Sie haben eine viel zu sanguinische Vorstellung von meiner Lage, und kennen den hiesigen Boden ganz und gar nicht. Ich kante ihn auch nicht, sonst hätte ich mir diesen Aufenthalt, ob er gleich nicht ganz unfruchtbar ist – denn hätten mich meine Freunde nicht gesehn, so dachten sie mit der Zeit auch wohl von mir wie die Welt – aber ich hätte mir ihn doch erspart. Ich muß es durchaus für entschieden halten, daß sich nichts ändern kan. Mit welchem Gewebe von Abscheulichkeiten bin ich umstrickt gewesen – und die Schuld, die ich wirklich habe, dient dazu, Glauben an eine jede zu erwecken, die ich nie haben konte. Allein dies brauchte nicht einmal zu seyn, wie es ist – ich würde doch nichts über ein allgemeines und schon mehrmals hartnäckig befolgtes System gewinnen. Man hat hier von jeher ein strenges Richteramt geübt. Sie errinnern sich der Auguste Schneider – sie wurde gemieden, verdammt troz der sonst so geläufigen Politik, die sie hätte schonen sollen. Da sie tod war, hätte man sie gern aus ihrem stillen Grabe hervorgerufen, weil ihr Daseyn den Regenten menschlicher gemacht hatte. Es giebt noch mehrere Beyspiele dieser Art, wo aufs auffallendste die Tugend gerächt worden ist. Ich spreche nicht mit Bitterkeit, lieber M., mich däucht, ich hätte selbst gegen jene unbarmherzige Tugend kein Vorurtheil, obwohl Sie meinen, daß wir alle an Vorurtheilen hängen. – Gegen mich haben sie alle ihre drohende Hand erhoben – was ich that, ist verdammenswerth vor jedermann – was ich nicht that und es vor mir seyn würde, das wird von mir geglaubt, weil die unglücklichste Verkettung es wahrscheinlich macht. Dazu ists Politik, nichts Gutes von mir zu denken. Die Worte, die ich Ihnen sagte, und die ich in einen Ihrer Briefe wiederfinde – meine Existenz in Deutschland ist hin, ich bin einem gehäßigen Publikum schmälich überantwortet – die sind wahr – und beynah alles ist wahr geworden, was ich damals voraussah, als ich überlegte, ob es beßer sey zu sterben oder zu leben. – Daß ich lebe – ist mir lieb – denn Sie wißen, was mich bindet – Liebe und Güte können in meinem Herzen nicht sterben, also auch nicht die Freude. Nur unter bekante Menschen hätt ich nicht wieder gehn sollen – warum soll ich mich quälen laßen? Meine Phantasie wird sich nicht mit der Meinung beschäftigen, welche ich so unbekümmert hindan gesezt habe, wenn ich nur der unmittelbaren Wirkung entgehn kan. – Sie scheinen nicht zu übersehn, lieber M., wie viel man mit Gewißheit von mir wißen muß – denken Sie an die Leute, in deren Gesellschaft ich in Königstein war, denken Sie die ganze Niedrigkeit derselben. Nehmen Sie, wie früh ich schon verunglimpft worden bin von Frankfurt aus, lang vorher eh ich Mainz verließ – würden Sie nicht selbst irre werden? Nehmen Sie dann für einige Personen an, wie sehr Therese von jeher mir entgegen war – (was ich erst jezt in seinem ganzen Umfang erfahre) – mit welcher – wie soll ichs nennen? war es Kunst? – hat jeder Zufall sie begünstigt – mit welchen Erfolg sie mich immer, da wo sie wirken konte, ins nachtheiligste Licht stellte – kurz, ich bin von jeder Seite verlohren – bürgerlich tod, dem edlen Betragen meiner Freunde ohngeachtet. – Sie bilden sich ein, ich hätte Unrecht gehabt einige Besuche nicht zu machen – ich konte sie nicht machen. Von dem Augenblick an, da es hieß, daß ich kommen würde, hütete man sich aufs sorgfältigste meinen Nahmen zu nennen, und jene beyden am auffallendsten. Es war mein fester Vorsaz zu niemand zu gehn – aber freylich an ein so markirtes Ausweichen dacht ich nicht, weil ich zu sehr daran dachte, daß ichs nicht verdiente. Indeß – ehe Sie mir schrieben, hatte ich Amalien durch (die Chanoinesse, Tochter von Mad. S.) Louise Schlaeger (die einzige, welche um jedes Ereigniß weiß, deren Herz mich fühlt und also nicht verwirft) die Einlage geschickt. Hier haben Sie auch die Antwort, zu deren Erklärung ich hinzusezen muß, daß ich, eben weil Louise mir erzählte, daß sich von Theresen Amaliens abgeneigtes Urtheil herschrieb – ihr noch mit ein paar Worten sagte: wie sehr Therese sich in diesem Stück schuldig gegen mich bekant hätte – welche sich so schloßen: „es wär niedrig sich um eine allgemeine Umstimmung der Meinung zu bewerben – sie ist zu meinem Frieden unwesentlich – aber Ihnen möcht ich manches erklären können.“ Lieber Freund, ich wünsche Ihnen Geduld dies zu lesen – kan sie Ihnen aber nicht ersparen, damit Sie irgendwo in einem Fall, wo Sie mir dienen könten, oder wenn Sie es anders erführen, als es ist, orientirt sind. – Wenn ich in Absicht auf Therese fehlte, so war es darin, daß ich nicht gerecht gegen mich selbst war. Wer weiß das beßer als Sie? Ja in diesem Augenblick bin ich – verblendet, oder noch – billig genug, um Ihre Äußerungen für zu hart zu halten. Über Amaliens Antwort hab ich nichts weiter zu sagen.
Mein Entschluß ist, auszuharren, aber doch nur so lange, bis ich einen sichern Ort gefunden habe, und das wird freylich Berlin wohl nicht seyn. Die Idee von Erwerb wird mich auch nicht dabey bestimmen. Ich will vergeßen und vergeßen werden. Hätte ich eine Hütte in einer freundlichen Gegend – ich verstünde so gut allein zu leben mit meinen Kindern – hier tief in der Brust wohnt ein Frieden, den kein Geschick vernichten konte. Wenn ich zuweilen im einsamen Zimmer mit Auguste über einer emsigen Beschäftigung mich vergeßen habe, und komme darauf zurück, welche Welt mich umgiebt, so frag ich – bist du es, der man wohl kein einzig gutes Gefühl mehr zutraut – Du? vor der die Reinen schaudern? Wärst Du nicht geschaffen zum stillsten häuslichen Glück, wenn es Dir das Schicksaal erlaubt hätte – Du kanst es ja noch genießen – die Stunden der heitersten Ruhe gewanst du oft der Verzweiflung ab.
Du fühlst, mein Freund, daß ich nicht verzweifle – keine menschliche Macht kan mich je dahin bringen weniger gut zu seyn. Der Weg, den ich gehe, wird – vielleicht nie die Verläumdung zum Schweigen bringen, aber das schwöre ich mir und jedem, der mich liebt, nie soll er sie rechtfertigen.
Ich habe Eines gethan, um mich bey der Wahl näher bestimmen zu können – ich habe an Meiners und seine Frau geschrieben – sie kennen Deutschland und die Deutsche Schweiz – sie müßen meine Situation übersehn, und werden hoffentlich mir rathen wollen. – Was sprichst Du von guten Ruf? Soll ich retten wollen, was nicht zu retten ist, und darüber das kostbarere verlieren? Soll ich mich Eindrücken aussezen, die bey aller Standhaftigkeit meine Ruhe stören müßen – meine Gesundheit untergraben und das Gute, was ich noch thun kan, mir erschweeren? Noch hab ich immer meine arme Gustel froh machen können – sie sieht oft meine bittren Thränen, die dann erst fließen, wenn ich mich jemand mittheile im Gespräch oder im Schreiben – aber sie sieht mich auch wieder lächeln. Zu ihrer Warnung wird sie sich einst der Thränen errinren – und des Lächelns, um die Mutter zu lieben, die gegen sie fehlte, und ihr trauriges Andenken zu segnen.
Was ich Dir hier sage bedarfst Du zwar so wenig wie irgend etwas, was man Dir erzählen könte – aber ich bedarf es, obwohl ich Deiner nicht so gewiß bin wie mein selbst. Ich habe so sehr selten eine Lindrung erfahren, die ich nicht einzig aus meiner eignen Seele genommen hätte – ich würde nicht staunen, wenn auch Du, der Du die blinde Wuth des Ohngefährs kenst, dennoch ihr erlägst, und ihr Werkzeug würdest, mich noch von einer Seite zu verwunden, von der ich nicht fühllos bin. Ja! Das Unglück kan selbst die in ihm verschwisterten zum Scheiden zwingen – Bleib mein Freund, so lange wie Du kanst. – Laß Dichs nicht stören, wenn ich Dir wiederspreche – ich dulde auch Deinen, weniger sanften, Wiederspruch. Wie kanst Du meinen, daß Forster je ein Mann geworden wäre? Und Männer, die nicht Männer sind, machen, auch des vorzüglichsten Weibes Unglück. So hat F. Theresens Unthaten befördert. Errinre Dich der Veranlaßung meines Untergangs, von der ich Dir imer nicht genug gesagt habe – wozu bey der Vergangenheit verweilen?
Ich habe noch nicht gelesen was Du für Göschen schriebst; man ist hier übel dran von Seiten der Lektür. Du kenst Gotters Unthätigkeit – ich mag nicht zu Ettinger schicken, und die übrigen Geister, Hr. Schaz, Dein Feind, u. s. w. gehören nicht zu meiner Bekantschaft. G. hats selbst noch nicht dahin gebracht, die Erlösung zu lesen, da er doch nach allem trachtet, was von Dir komt – Vater und Kinder haben noch Freunde – wir sprechen unter uns mit einer Liebe von Dir, die Du vielleicht nicht einmal mehr in Dein Herz aufzunehmen verstehst. Weist Du doch, daß jemand in Homer Allegorie gesehn hat, warum nicht ich in Deinem Mährchen, von dem ich beßer denke, als ich nun Lust habe zu äußern.
Dietrich war hier sich eine Frau zu erkiesen, und die hat er in Mlle. Friedheim gefunden. Der Hofr. Michaelis in Marburg heirathet eine Fr. von Malsburg – seit 6 Jahren seine Freundinn. – Du antwortest mir, wenn Du gesund bist, und mir eine Freude machen möchtest. Die Einlagen bewahr in Deinem Archiv.
Wir grüßen Dich.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 16. März 1794
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Gotha · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 330‒335.
Language
  • German

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