Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

[Gotha] Am 10ten May [17]94.
Wir eßen oder trinken, wachen oder schlafen, so sey es alles zur Ehre des Herrn! – Und ich? – Ich spreche oder schweige, so ist es, gegen Sie – immer aus Liebe zum Freund. Soll ich Ihnen unaufhörlich Sorgen und Ungewißheiten mittheilen? Wenigstens will ich mit stillen Herzen schreiben, denn das kan ich jezt. Das leztemal schien mein Gefühl wohl sehr aufgebracht zu seyn – ich schließe es aus Ihrer Antwort Aber was Unwillen dabey war, ist gerecht, und um so leichter vergaß ich ihn; der Verdruß, mich in diese schwierige Lage gesezt zu haben, kan nie Qual der Reue werden – jede Rücksicht auf mich selbst giebt mir Muth und Frieden wieder. Daß ich Unrecht gethan habe, ist sehr gewiß, in so fern ich mich nicht allem Ungemach der Folgen hätte aussezen sollen – das war nicht gut und nicht klug, aber damals riß mich mein verderblicher Wille, mein Unmuth hin – ich hätte eben so gut den Tod getrunken, wenn er nicht bittrer gewesen wäre. An und vor sich habe ich nichts Böses gethan – wenn ich das je glauben könte – nun – dann möcht es auch wahr seyn. Möchten Sie mit der ganzen übrigen Welt mich verdammen, ich werde dies niemals glauben. Aber Sie werden auch nicht so lange Sie nicht Ihre Begriffe über mich ändern. Ich konte fürchten, daß die Menge der Anklagen endlich Ihre gute Meinung ermüdete, zumal wenn sie Ihnen da vorgetragen würden, wo Dein Ohr gern hinhorcht, und Dein Auge Dich das Interreße an Abwesenden vergeßen läßt. Mit Deiner guten Meinung ist dann unsre Freundschaft hin – Du mußt über mich urtheilen, wie ich es selbst thue, oder ich kan Deine Theilnahme und Deinen Rath nicht mehr wollen. Also schien es mir möglich, daß mein böses Geschick mich auch von Dir trennte – ich will abwarten, was es beschloßen hat, und Dir indeßen gut bleiben. Werden wir Dich noch sehn? Gotter erwartet Dich alle Tage. Wir finden, daß Du, um desto gewißer Geld zur Reise hierher zu haben, zuerst zu uns und dann nach Töpliz gehn solst – Wir werden Dir nicht viel kosten, denn wir wollen Dich beherbergen und ernähren, und vielleicht gar die Brunnencur Dir ersparen, indem wir Dein Podagra mit frugaler Bewirthung, und Deine Milzsucht, oder was Du sonst hast, mit liebreicher Rede heilen. Mit den Collisionen zwischen der Heiligen und der Unheiligen wird es sich schon finden – ich bitte Dich, laß Dich dadurch nicht abschrecken. Gieb mir Nachricht von Dir und Deinem Thun, sobald Du dies bekömst. Ich liebe schnelle Antworten, aber mir ist das Schreiben mehr wie je zuwieder. Wenn Meiners und Du in einem Rath übereinkomt, muß er ja wohl richtig seyn – nur daß Er wohl die Schweiz zu schön, und Du zu schlecht für mich findest. Sey nur ruhig, ich will gewiß nicht hingehn. M– wolten mich nach Riga schicken – sie hatten Entwürfe, die recht sehr paßend scheinen – aber dort würde meine zarte Seele verfrieren. Ich bedarf sehr wenig zu meiner Zufriedenheit, aber ein erträgliches Clima ist dazu und für meine Gesundheit nothwendig. Ich hatte Anschläge auf Prag gefaßt, das mir Göschen wiederräth, der noch immer für Berlin stimmt. Unglücklicher weise ist dies der einzige Ort, wo mich meine Schwiegereltern sehr ungern sehn würden. Kenst Du Prag? Ich dachte mir dort reichen Adel, etwas wie eine Universität, Theater, romantische Gegenden. Göschen sagt, der Adel wär verarmt, und Inquisition fände gegen jeden Fremden statt. Noch ist nichts entschieden, und selbst wenn es wäre, müßt ich hier noch warten, bis die Angelegenheiten der väterlichen Erbschaft, in die Arnemann als Käufer des Hauses Unordnungen gebracht hat, geendigt sind, und bis ich weiß, wie es mit meinem Witwengehalt wird. Behalt ich dieses, so brauch ich nicht an Erwerb zu denken, und kan aufs Land gehn, etwa in der Nähe von Dresden. Augustens wegen würde ich eine Stadt vorziehn, denn daß sie einen Dorfprediger heirathete, wär mir doch nicht sehr gelegen. Sie ist ein liebenswürdiges Mädchen – ich möchte Dir vielerley von ihr erzählen, wenn ich mich nicht blos auf das Nothwendigste einschränkte. Ihr Bruder lebt und ist gesund – ich bekomme die besten Nachrichten daher; das ist immer ein Festtag für sie und mich. Ich habe Dir nichts vom Vater gesagt, und doch verdient ers – er hat alles gethan, was in seiner Gewalt stand, um das Schicksaal des Kindes auf die Zukunft zu sichern, und auf den Fall, daß er selbst noch in dem blutigen Abgrund unterginge. Er ist ausgewechselt und seit dem Ende März nicht mehr in Deutschland, wo der Onkel noch zurückbleiben mußte – hoffentlich rettet dieser dadurch sein edles Leben. Der Neffe ist als solcher, und selbst durch die nahe Verwandtschaft mit einem der ersten J[akobiner] in Gefahr. Ich zittre, wenn ich eine Zeitung sehe, schon mehr wie ein bekannter Kopf ist mir entgegen gefallen – und diese! Sein Onkel hat mir auch geschrieben, wie ichs von ihm erwarten konte. Es hat mir viel Freude gemacht von diesen beydes Gutes denken zu dürfen, und sie ganz so zu finden, wie ich sie damals sah.
Meine hiesigen Freunde bleiben sich ebenfals immer gleich – ich bin herzlich dankbar dafür. Meine Feinde erweichen sich nicht, und ich finde das billig – ich bewundre es sogar, denn es ist doch consequent. Die Wahrheit ist, daß ichs aus der Acht gelaßen habe. Zuweilen amüsiren wir uns unter einander darüber. Manchen habe ich zufällig wieder gesehn, von ganz weitläuftigen Bekanten, und da war man ziemlich artig. Am Ende könten die beyden Schwestern, auf die Du ein so großes Zutrauen gesezt hattest, allein zurückbleiben – auch das Ohngefähr hat uns noch nicht zusammengebracht. Du siehst das anders, und wie könt ich es recht sehn? aber so viel scheint mir doch klar, daß eine Zärtlichkeit, die von einem todten Freunde nicht mit jemand, der ihn gekant und geliebt hat, sich unterhalten will, und doch eine Spieltischconversation draus macht – und eine Diskretion, die gegen Freunde schweigt, aber zu jeden gleichgültigen oder feindlich gesinnten redet, nicht hoch angerechnet werden dürfen. Nicht wahr, bester Freund – und wie hätte ich diese Anmerkung unterdrücken sollen? Komm nur – und rechne nicht auf meine Diskretion, sondern auf meine gutherzigste Nachsicht. Ginge ich eher hier weg, als Du komst, so müßt ich Dir zwar entgegen reisen; allein ich wünsche herzlich Dich einmal auf längere Zeit zu sprechen, also wäre mir es hier am liebsten. Solt ich noch Berlin wählen, so denk ich durchaus nicht an Dich dabey – drum sey nicht zurückhaltend mit Deinem Rath. Ich denke an nichts als was für mich und die beyden Kinder am nüzlichsten ist – mich leitet kein andres Interreße, und kein Mensch auf Erden. Du köntest mir noch lieber seyn, wie Du mir bist, und würdest mir nicht im Hintergrund erscheinen. Kürzlich habt Ihr so wunderbare Verordnungen gegeben, daß ich beynah an meiner Sicherheit bey Euch zweifle. – Wir haben gelesen, was Du für G[öschens] Unternehmung schriebst, und haben es sehr hübsch gefunden – wir befehlen Dir viel zu schreiben, und es uns jedesmal anzuzeigen, denn wir lesen hier nichts als worauf man uns mit der Nase stößt. Bilde Dir übrigens nicht ein, daß mit dem rechtschafnen G–n viel anzufangen ist, was nicht seine Preßen betrift – er hat nicht zu einem guten Tage Zeit, um ihn jemand anders als seinen Handwerkern zu bieten – ich kan mich also wenig auf ihn verlaßen. – Weißt Du, daß Bürger sterben wird – im Elend, in Hunger und Kummer? Er hat die Auszehrung – wenn ihm der alte Dietrich nicht zu eßen gäbe, er hätte nichts, und dazu Schulden und unversorgte Kinder. Armer Mann! Wär ich dort, ich ginge täglich hin, und suchte ihm diese lezten Tage zu versüßen, damit er doch nicht fluchend von der Erde schiede. Schreib ihm doch.
Seit vielen Monaten plagt Louise ihren Mann, daß er seine Vasthi und Esther und seine Muhmen nach Berlin schicken soll, aber seine Indolenz ist nicht zu überwinden. Schrödern hat er sie endlich gesandt. Wenn diese Trägheit Ursachen hat – wenn diese Ursachen ihm Geld kosten und die Trägheit ihn ebenfals darum bringt, wenn das seine Wirtschaft zerrüttet, und Weib und Kinder in Noth bringen kan – dann ist, was Du Geschmacklosigkeit nennst, vielleicht Laster zu nennen, da er so fortgesezt beharrt. Es zerreißt mir oft das Herz, denn er hat so viel Edles.
Lebe wohl – ich will in ihren Garten gehn – wir sind fast täglich zusammen – ich bin überhaupt zu wenig allein, und wenn ich in diese ganze Geselligkeit eingeweiht werden sollte, j’y succomberai. Adieu.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 10. Mai 1794
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Gotha · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 335‒340.
Language
  • German

Weitere Infos ·