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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Gotha d. 7 Jun. 1794.
Ich schreibe schon wieder – aus keiner andern Ursache, als weil ich Dir viel zu sagen habe. Auch ich bin nicht die personnifizirte Gerechtigkeit und am allerwenigsten die, welche vom Kaiser Carl V. her meinen Nahmen trägt, wie ich von meinem Schwiegervater weiß. Aber dagegen wacht auch alles, was in dieser Tugend Leidenschaft ist, in mir auf, wenn es drauf ankömt, ein Urtheil zu mildern. Schäme Dich, mir so von Theresen zu sprechen, und wiße, daß Deine diesmaligen Voraussezungen grundfalsch sind. Th. ist weder in Paris noch hat Merlin sie je gesehn. M. kante Forster für einen ehrlichen Mann, und hat so für ihn geredet, da man sich durch irgend einen ehemaligen Mainzer oder vielleicht Huber selbst schriftlich an ihn wandte. H. hat mir von Neuchatel aus im May geschrieben, und sie schon früher, bald nach Forsters Tod. Ich habe nicht die Absicht, Deine Meinung zu bekehren, aber Du solst nicht schmähen. Das ist so häslich an Euch, daß Ihr mit Füßen treten könt, was Ihr geliebt, vielleicht geehrt habt. Du magst ein Recht haben Theresen zu verabscheuen, so gut wie ich: gleichgültig gegen sie geworden zu seyn, in so fern man das gegen jemand seyn kan, in dem man ein so großes Genie zum Guten erkennt – allein Du hast bey weiten nicht Recht in allem, was Du ihr zutraust, und sobald es so unartige Dinge sind, solst Du mir nichts von ihr sagen. Ich habe Dir nicht erzählen mögen, daß ich zuweilen von diesen Menschen erfahre, weil es Dich blos auf die Befürchtung leitet, daß sie einen Einfluß über mich wieder erlangen, der mir nicht gut ist. Wenn ich Dich sprechen könte, lieber Freund, Du würdest einsehn, daß ich diese große Schwachheit meines Lebens abgelegt habe – aber ich kan das Gefühl nicht ablegen, welches es mir unmöglich macht, Haß und Bitterkeit an die Stelle derselben zu sezen. Therese hat mir so unendlich viel Böses gethan, wovon ich fast täglich neue Spuren entdecke, daß es niederträchtig seyn würde sie zu lieben – ich wüßte auch nicht, wie ich das anfangen sollte – eben so wenig als wie zu glauben, daß sie zu nichts von dem mehr fähig sey, wozu sie gebohren war.
Und nun will ich Dir aus Rache von einem Deiner Freunde etwas erzählen. Er hat einen Brief geschrieben, der ihn so darstellt, daß ich ihm lieber einen Mord verziehe als diesen Brief. Gotter hat Schrödern seine Muhmen und die stolze Vasthi geschickt, und für beyde 10 Louis. gefordert. Schröder schickt sie zurück, weil sein Publikum nur einige alte Poßenspiele liebte, die längst im Besiz wären belacht zu werden – weil es ein heroisch komisches Schauspiel, ein biblisches Sujet, in Alexandrinern, weder fühlen, faßen noch verstehn könte. – Das möchte denn gut seyn, obwohl ein Mann wie Schröder, der gleich drauf seine ruhige Herschaft über Publikum und Schauspieler rühmt, dazu gemacht seyn sollte, fühlen, faßen und verstehn zu lehren. Aber nun komt eine ruhmrädige Affiche von seiner Situation – „ich bewohne ein Haus in der paradiesischsten Gegend von Hamburg, genieße darinn aller Annehmlichkeiten, die hoher Wohlstand verschaffen kan – ich habe die größte Wahrscheinlichkeit, diesen nach dem Frieden noch vermehrt zu sehn – mein Haus ist der Sammelplaz der besten fremden und einheimischen Köpfe“ – kurz so, daß auch der Ununterrichteste fragen möchte – und Du, dems so wohl geht, wie kanst Du eine Kleinigkeit erspaaren wollen und einen Freund desapointiren, der Dir vermuthlich ehemals genug Gefälligkeiten erwiesen – allein noch mehr, wie kanst Du Dich zugleich gegen ihn so breit machen? Aufgeblasen und hartherzig – so erscheint er, und ich dächte, die Rolle des Haimon müßte ihm vortreflich kleiden. Gotter hat es auch ganz so empfunden. Mir thuts noch in anderm Betracht Leid, denn G. könte das Geld brauchen.… Er hat nun die Muhmen an Engel geschickt. Wenn sie besezt werden können, so müßen sie Glück machen, ohngeachtet nach Deiner Beschreibung man nur Kozebuesche Stücke liebt. Vasthi und Esther sollen gedruckt werden. Nichts von Racine! Vielmehr hat Göthens Fastnachtspiel die erste Idee dazu gegeben. Es ist ein Gemisch von Gefühl und Parodie, Charakteristik und theatralischem Pomp. Gotter nennts selbst genialisch. Die Verse sind sehr schön – aber ich versichre Dich, daß ich nach einer Vorlesung von G. mich nicht getraue über den Werth des Ganzen zu urtheilen. Er besticht so sehr mit der Musik und dem Ausdruck seiner Deklamation, daß ich mir fast nur Töne wiederhole, wenn er fertig ist. – Die Geisterinsel ist seit zwey Jahren in den Händen des Freyh. von Dittersdorf in Schlesien, und auf viele Briefe erfolgt keine Antwort. Hr. von Einsiedel hat G. so eben einen Wiener, einen ganz neuen Compositeur, von dem Hayden entzückt seyn soll, vorgeschlagen.
Ach wir haben so viel Projekte! Alles dies wird nehmlich gut angebracht und bezahlt, und im Herbst begleiten mich Gotters nach – Dresden; in Weimar, in Leipzig, in Dresden werden die neue Oper und Schauspiele gegeben, und Gotter und ich, wir können uns, jeder in seiner Art, vor Berühmtheit nicht retten. Louise will deswegen auch lieber nicht mit, aber wir haben ihr versprochen, daß sie Dich in Dresden finden soll. – Im Ernst, lieber Freund, Du nenst Dr. und seit mehr als 6 Wochen steh ich in Traktaten darüber. Deine Einwendung ist ungültig, denn ich weiß genau, wie theuer es in Dr. ist; dies braucht mich nicht abzuschrecken. Ich fürchte nur noch, zu sehr dort bekant zu seyn, und ich fürchte vorzüglich Ein Haus – das von Körner. Kenst Du den? Diese beurtheilen und haßen mich wie Theresen, diese wissen von Leipzig aus mehr mit Sicherheit als gut ist, da sich die Damen vielleicht ein verdienstliches Geschäft daraus machen werden, jedermann diese Sicherheit mitzutheilen, wenn ich erst dort bin. Ich will sie nicht gewinnen, aber es kan ihnen nicht unbekant bleiben, wenn ich auch nur in die Gegend komme. (Denn eigentlich ist meine Absicht ganz in der Nähe aufs Land zu gehn). Ich hätte eine weibliche Bekante dort, eine Schwester von Schlegel, die es ihnen nimmer verschwiege. Du gehst jezt nach Dresden – Du kanst mir sehr reell dienen, wenn Du den Boden an meiner Statt erkennen wilst. Du schriebst mir von Bekanten, die Du dort hast – Körners gehören darunter, wie ich mir eben errinre – nenne mir die übrigen. Sprich bey diesen K., wo Du die Rede so leicht auf mich bringen kanst, von mir, wie Du denkst – sag, daß Du wünschtest, ich möchte in Dresden wohnen, weil in Gotha keine Ressourcen wären, für den, der sich nicht in die ganze Geselligkeit des Orts stürzen könne – und sag mir, wie mans aufnahm – ob so, daß ich ein Aufsehn befürchten müßte, welches in politische Verdrieslichkeiten ausarten könnte, denn wie streng man in Sachsen ist, scheinst Du nicht zu wißen.
Es wäre sehr reizend für mich – diese Gegend – nach jenen Rhein Ufern, die schönste von Deutschland, in der Stadt Künste, Gallerien, Bibliotheken, Theater! Außer Körners weiß niemand von mir. – Göschen kan ich nicht weiter fragen. G. kan von der politischen Seite nichts mehr thun, ohne sich zu schaden – von andern brauch ich ihn nicht. Auch ist ers gewiß satt sich mit mir abzugeben. Er hat mir so große Dienste geleistet, daß ich Zeitlebens mit inniger Dankbarkeit daran denke. Ganz diskret ist er nicht gewesen – dies ist keine Ursache undankbar zu werden, aber nein, ihn nicht mehr in meine Angelegenheiten zu ziehn. – Wenn dies nicht gelingt, so ist mein Entschluß gefaßt, Deutschland zu verlaßen. Mit allen den andern Vorschlägen ist es nichts – an allen den Orten z. B., die Du nenst, kan ich nie das thun, was ich thun will und muß – meinen Sohn zu mir nehmen in ein bis zwey Jahren. Der Krieg hat die Orte nicht blos bis zum Frieden für mich und andre verhert, auf die Du sonst wohl rechnetest, am Rhein und in der Pfalz. Kurz ich stehe jezt vor einer Wahl stille. Ist es mit Dresden möglich, so werd ich mich freun – ist es nicht, so nehm ich meine Kinder – und leb dann wohl, lieber Freund – dann suchst Du mich im October zu spät hier auf. Außerdem könten wir uns unter wegens treffen, wenn Du von Berlin hierher und ich von hier nach Dr. gehe. – Es ist mir lieb, daß ich wenigstens so weit entschieden bin. Thu Dein Möglichstes, um in Dresden die lezten Bestimmungsgründe für mich aufzusuchen. Der jüngere Schlegel, der jezt auch dort ist, den wirst Du wohl nicht aufsuchen wollen? Il m’a toujours paru que vous avés une dent contre les Schlegel. Pour moi – j’ai un tendre pour eux. Au moins je ne puis leur nier de l’influence sur mon sort, car si je ne vais pas a Dresde, j’irai en Hollande – et ceci c’est une chose si bien résolue, qu’il y auroit lieu à delibérer, si on ne devroit pas prendre d’abord ce parti, qui leveroit tout embarras et couperoit touts les noeuds de ma situation embrouillée. Ich beichte Dir deutsch und französisch alles was ich auf der Seele habe – Du wickelst Dich in Geheimniß. Es ist nicht anders, Du bist ein geheimer Emissar – den kein Mensch geschickt hat und der zu niemand geht. – Apropos, Gotter trank lezthin Thee bey mir und wir sprachen von der Schazischen Recension Deiner Gedichte, die nicht verhindert, daß ich diese Gedichte nicht wunderbar lieb habe, und mich eben etwas drin anzieht, was sie vermuthlich andern ungenießbar macht, nehmlich solchen Schäzen – wir kamen auf das impromptu: la divinité qui s’amuse etc. G. legte sich ins Fenster, brummte ein wenig, wandte sich um und sagte wie folget:
Die Göttin, die mit Einem Blick vermag,
Das heimlichste Geheimniß mir zu stehlen,
Würd ich, wär ich Apoll, mir nicht zur Muse wählen;
Zur Thetis wählt ich sie, und endigte den Tag.
Eine Variante:
Die Göttin, der ich mien Geheimnis zu verhehlen
So wenig wie mein Herz ihr zu entziehen vermag rc.
Und mußt Du nicht gestehn, daß ers beßer getroffen hat als der wäßrige Anakreon und mein harter Freund, der sonst den Zauber der Sprache, Zeuge sey das Schifferlied, wohl in seiner Gewalt hat?
Mit Bürger, das ist völlig so arg – ich weiß es von Dietrich. Die Finanzräthe glauben dergl. nicht gern, das inkommodirt sie. Er hat nichts zu eßen, als was ihm seine Freunde schicken, und ist von der übelsten Laune. Lebe wohl. Wenns nicht eher ist, so schreib doch gleich aus Dresden.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 7. Juni 1794
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
  • Place of Dispatch: Gotha · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 340‒346.
Language
  • German

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