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Caroline von Schelling to Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Gotha d. 30. [-31.] Aug. [17]94.
Du hast mich nicht beleidigt, ich bin Dir nicht bös und ich hatte auch Lust Dir zu schreiben, aber ich schwieg, um Dich Deine Brunnencur in Frieden vollenden zu laßen, denn anfangs hatte ich eine Menge anzüglicher Dinge für Dich auf der Zunge, und ich hoffte, mein Muthwillen würde Dich geärgert haben. Dann wollte ich Dir auch Gewißheit geben, die allerlezte gewißeste Gewißheit, und Dich nicht länger von Süden nach Norden u. s. w. herumziehn, oder Dir die Müh machen, noch mehrere Länder, und Republiken vorzüglich, herunter zu machen, daß man keinen Bißen Brod darinn eßen möchte. Nicht als wenn ich es nicht gern läse – Du bist ein unendlich geistvoller unterhaltender Smelfungus! Amerika würde Dir noch schönes Spiel gegeben haben, aber Frankreich würde doch Dein Triumph gewesen seyn, denn welchen Wiz hätte es bedurft, die Ufer der Garonne ihres Reizes zu berauben, oder jenen Gegenden, wo man nicht vor Hize verschmachtet, und in der Neujahrsnacht doch ein sanfter Gewitterregen auf den Blättern der Orangebäume rauscht, ihren beglückenden Einfluß auf eine feine Organisation abzusprechen. Zu allerlezt – hab ich auch deswegen geschwiegen, um Dich zu prüfen – es ist, glaub ich, das erstemal, daß Du einen zweyten Brief an mich wendest. Die Begebenheiten, die mir indeß wiederfahren sind, kan ich nicht unter der Rubrik dieser Ursachen erwähnen, denn mir kan nichts begegnen, was mich Dich vergeßen und vernachläßigen ließe.
Morgen früh, ehe dieser Brief abgeht, werd ich wißen, wo ich in 6 oder 8 Wochen seyn werde – das heißt, ob ich um die Zeit schon in Dresden seyn kan. Es stößt sich an die Summe baares Geld, die ich zur ersten Einrichtung brauche – und welche meine Mutter, die von dem Käufer des väterlichen Hauses unerträglich hingehalten wird, nicht auszahlen konte. Sie versucht sie jezt anderswo zu erhalten, und ich hoffe, die morgende Post wird mir günstige Antwort bringen.
Daß Holland vielleicht ein franz. Departement werden konte, weil der unvergleichliche Mack in den Ruhestand übergegangen ist, und der unverschämte Pichegru alle seine Plane auf den Punkt ausgeführt hat, wäre freylich eine große Anlockung für mich gewesen, allein ich haße allen und jeden Nebel. Es ist bey Dresden geblieben, alles wohl überlegt. Deine Jungfrau aus dem Dschinnistan, die ich die Jungfrau mit dem Bart zu nennen pflege, und was ihr anhängt, war das einzige, was mir dort entgegen seyn konte – damit sie mirs nicht sind, brauch ich sie nur zu ignoriren – denn freylich, Deine Menschenkentniß, Du Weltkundiger, ist zu hoch für mich, um mich drauf zu verlaßen, und der Dame Gutes zuzutraun, die gegen ihr 30stes Jahr von einem Menschen von 19 oder 20 sich Versprechungen geben läßt, und im 40sten den Bruch derselben so feindseelig aufnimt. Deine Nachrichten, Deine Ansichten sind von ehedem – die meinigen von heute. Gut – wenn es beßer ist – gut, wenn ich nie mehr davon erfahre wie jezt.
Dagegen hat die Schwester den Revers mir nicht abgefordert, den ich, wie Du sagst, und ich auch denke, leicht geben könte. Sie hat alles gethan, was bey ihr stand – nach einem Brief ihres Bruders, der ihr meine Absichten schrieb, hat sie mir zuerst geschrieben, mir ihre Dienste angeboten, und wenn ichs nicht vergeße, will ich das erste Blatt ihres zweiten Briefs hier einlegen. Wenn ich den Winter über schon dort seyn kan, so fang ich mit der Stadt an und gehe im Sommer erst aufs Land. Aber schwerlich werd ich vor Ende des Octobers reisen können – das war die nehmliche Zeit, wo Du vor dem Jahr auf der Meße warst. Hast Du mir nun nicht vergebens geschmeichelt, so können wir uns noch sehn, und dann doch wohl in Dresden, denn in Leipzig möcht ich nicht gern verweilen – ich bin meiner nicht sicher genug, daß ich gewiß die Thorheit nicht beginge, meinen Sohn sehn zu wollen, was mich verrathen würde. Ich muß da vorüber eilen. Beßer als ich wirst Du beurtheilen können, ob es möglich wär, Dich in L. zu treffen, und Du mein Begleiter bis Dr. würdest. Vielleicht bringt mich G[otter] bis L. Wenn mans erfährt, so wär es wohl nicht schicklich – muß man es denn wißen? Ich habe mir vorgenommen Dich künftig immer um Rath zu fragen, wenn ich etwas Unschickliches unternehmen will, ich kenne die Moral und Anstandsgeseze der Tugendhaften – ich möchte auch gern die reine Moral der Gottlosen erforschen. Die Deinige scheint streng – denn so viel ich sehe, hat sie mich von nun an zum heiligen Feuer verdammt – nein – nicht um darinn verbrannt zu werden, sondern um es zu unterhalten, versteht sich. So deut ich wenigstens eine Stelle Deines Briefs, wo Du Hofnungen erwähnst, über die unwiederruflich entschieden wäre. Wie könt ich Dir wiedersprechen? Allein ich möchte Deine Meinung ganz erfahren über diesen Theil meiner Zukunft. Hoffentlich raisonnir ich bald als Grosmutter darüber – denn schon erlaub ich Dir nicht mehr meine Tochter zu umarmen, außer durch mich – am Ende eines Briefs. Sie ist ein liebenswürdiges, holdes, schüchternes Geschöpf. Wenn Gotter ihr sagt, bring mir ein Glas Waßer, Fräulein Isabelle, so erröthet sie von einem sanften Wiederschein, als wenn ein rosenfarbner Schleyer sie umwallte. Es ist schade, daß sie dabey ist, wenn wir zusammen nach Dresden fahren, sonst könt ich Dir viel von ihrer himmlischen Einfalt, ihrer Lebensweisheit, von allem, was sie weiß und nicht weiß, erzählen. Sie ist gewiß ein sehr interreßantes Wesen und ich glaube, sie erhält grade die Bildung, welche dieser Stoff bedarf.
Ich habe viele Menschen wieder gesehn – meine Mutter war hier mit Louisen und Lottens Kind, das ein Engel ist – es sieht Vater und Mutter gleich, nicht Lotten allein. Die Augen sind himmlisch – von einem dunkeln Blau. Sie ist sehr lebhaft, die Kleine. Wenn sie nur nicht verdorben wird, ehe sie gut werden kan. Meine Mutter behält sie vors erste noch. – Ich habe nur auf den Rath der Mutter ein Herz gefaßt, sie nach Göttingen zu begleiten. Man hat mich viel beßer empfangen, wie ich erwartete. – Die Böhmersche Familie war sehr gut, sogar Philippine. Die beyden Meiners unendlich freundschaftlich – und so alle Uebrigen, Schlözers, Feders u. Meiners hat mir eine Empfelung an Müller in Leipzig wegen meines Aufenthalts in Sachsen versprochen. Ich gewann viel durch die Reise – die Böhmers sahen Gustel wieder, und ich – gewinne auch, wenn man mich sieht. Man kan auch nun nicht mehr sagen, daß ich mit B.s entzweit bin. Hier bleiben die Leute sich ziemlich gleich – doch hab ich manchen einzelnen wieder erobert, und vielleicht bleibt am Ende niemand übrig, den ich nicht gesprochen hätte, als – die beyden Schwestern. Du würdest Amalie in Carlsbad gefunden haben, sie ist noch nicht zurück. Warum gehst Du auch nicht zur wahren Heilsquelle?
Noch eins hat mir unaussprechliche Freude – gemacht – mein Onkel, oder meines Sohnes Grosonkel, ging hier durch. Die zurückgebliebenen franz. Geißeln wurden von Wesel nach Erfurt geführt. Ich habe den vortreflichen Mann wieder gesehn – Du würdest ihn selbst anbeten, wenn Du ihn kenntest. Ich habe nie für seinen Neffen so viel Zärtlichkeit gehabt wie für ihn. Wir sprachen uns bey Mad. Schläger, so hatten wirs vorher verabredet – er blieb von früh bis Abend. Das war endlich einmal ein günstiger Zufall.
Wenn ich Dich wiedersehe, so ist es unser vernünftiger Wille. Laß es den Deinigen bleiben. Bis dahin spar ich mir noch auf, Dich recht auszulachen, und Dir zur Belohnung, daß Du mirs mit guter Art erlaubst, vieles zu sagen, worüber Du lachen wirst. Du lachst doch noch? Ach wenn Du es nicht mehr köntest, wie würdest Du Dich schämen müßen vor meinen unüberwindlichen Leichtsinn, der nichts anders ist, als meine unermüdliche Güte.
Ich habe kürzlich bey Minchen ein Souper gehabt mit der Bibliothek der schönen Wissenschaften, Manso aus Breslau an der Spize. Mündlich mehr davon. Du hast recht gegen. Sch[legel?] und G[öschen?] in dem, was Du mir über sie sagst, und Du nun vermuthlich vergeßen hast. Deine Burg ist uns nie zugekommen, wir haben aber eine Kunst der Liebe gelesen, von der wir fest überzeugt sind, daß Du Verfaßer davon bist. Daher alle Deine bisherigen Heimlichkeiten, daß Du nie bist, wo man Dich vermuthet, und wohl auch nicht hingehst, wo Du Dich anmeldest. Ich will nur sehn, ob Du zu mir reisest! Gute Nacht.
31. Aug.
Ich habe noch keine Gewißheit – ich gebe sie Dir, sobald ich sie erhalte. Es kostet meine ganze Geduld, daß ich warten muß. Gotters grüßen und lieben Dich.
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  • Schelling, Caroline von  Kommunikationsstörung  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  Freundschaft  bekräftigen  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  Begegnung  erhoffen  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  charakterisieren  Stock, Dorothea
  • Schelling, Caroline von  wertschätzen  Ernst, Charlotte
  • Schelling, Caroline von  Begegnung  planen  Ernst, Charlotte
  • Schelling, Caroline von  charakterisieren  Böhmer, Auguste
  • Schelling, Caroline von  wertschätzen  Oyré, François Ignace d'
  • Schelling, Caroline von  Autorschaftsattribution  Manso, Johann Caspar Friedrich; Schubert, Johann David: Die Kunst zu lieben
  • Gotter, Friedrich Wilhelm   grüßen lassen  Schelling, Caroline von
  • Gotter, Luise  grüßen lassen  Schelling, Caroline von
  • Gotter, Luise  grüßen  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
  • Gotter, Friedrich Wilhelm   grüßen  Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm
Metadata Concerning Header
  • Date: 30. bis 31. August 1794
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer ·
  • Place of Dispatch: Gotha · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 347‒352.
Language
  • German

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