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Caroline von Schelling to Luise Gotter

Braunschweig d. 16 Aprill [17]95.
Es ist mir auf alle Weise nicht leicht geworden von Euch wegzukommen, meine liebe gute Louise; die Reise war äußerst beschwerlich; doch sind wir nun da, Gefahren und Stöße sind vergeßen, und ob gleich noch an keine Ruhe, keine Gemächlichkeit zu denken ist, so sind wir doch alle wohl und munter genug um uns mit der Hofnung zu begnügen. Eine halbe Stunde von Gotha fing der Kutscher schon an nach dem Mühlhäuser Weg zu fragen, den er nur bis Dingen kante, das man zur Seite liegen läßt, wo er mit großen Wohlgefallen still hielt, um mir zu sagen, daß das sein Geburtsort, und der Acker neben uns Dingische Flur wäre. Mir wurde sehr bange, daß ihm seine Anhänglichkeit an dieses kleine Fleckchen Erde nicht erlaubt haben möchte, seine Wege Kentniße zu erweitern, und ich wohl nur bis Dingen kommen würde, aber wir trafen gegen 8 Uhr mit einen ungestümen Regenguß in Mühlhausen ein. Hier eröfnete er mir, daß er über Göttingen zu fahren gewillet sey, wogegen ich mich heftig sezte, weil mir das noch viel Embarras und Sprechens gemacht haben würde. Der Wirth half mir ihn bereden, daß wir am andern Morgen Quer feldein gingen. Ich bereute es nachher, daß ich nicht so viel Liebe für meinen Geburtsort hatte wie der Kutscher, denn wir fanden hier die schlimmsten Wege, die mir noch vorgekommen sind. In einem hohlen tief ausgefahrnen engen Wege, der einen ansehnlichen Berg herunter führte, blieben die Pferde wirklich stecken. Kaum hatten wir Plaz um auszusteigen, und fanden kaum Grund, um zu Fuß vorauf zu gehn. Ein Jägerbursch kam dem Fuhrmann zu Hülfe, wir standen unten am Berg wohl eine halbe Stunde, ehe wir nur die Stimme des Kutschers wieder vernehmen konten. Gusteln war sehr angst sie weinte über die Pferde, denn sie konte sich nicht denken, daß sie wieder aufstehn würden. Doch ging es und wir hielten Mittag zu Stadt Worbes im Mainzer Gebiet – wobey nur die Pferde satt wurden. In Giebelhausen [Gieboldehausen] übernachteten wir, wo ich Gusteln Chocoladesuppe machte, damit sie Muth bekäme in einer abscheulichen Stube, mit beschmuzten Boden, die nichts enthielt als ein Bett von Stroh und einen hölzernen Schemel, die Nacht hinzubringen. Am Morgen des dritten Tages kamen wir ins Angesicht des Harzes und fuhren nach Catelnburg, unter den Fenstern einer wohlbekannten Wohnung vorbey. Die Chaussée war schlechter wie der Weg, den wir verlaßen hatten; nun kam aber noch eine Strecke Landes, wo wir aus einem Loch ins andre fielen, und alle Kärner mit Vorspann uns begegneten. Unser Fuhrmann, der im Hohlwege fast heulte vor Ungeduld und zu dem Einen Pferde sagte: ach ständest Du doch in Deinem Stalle! denn es war ein bischen alt und gefühllos und Weibezahl hatte sein Versprechen gute Pferde zu geben nur halb gehalten, der Fuhrmann also hatte gute Laune mit uns gewonnen, und lachte mehr als er fluchte. Wir kamen auch hier glücklich durch und ruhten in Eisfeld aus. Dann fanden wir beßre Wege, nur wolte der Alte nicht mehr fort, und es wurde beschloßen ihm in Seesen eine Brandweinkaltschaale geben zu laßen, wie jenem Bräutigam, der ein Schneider war, am Hochzeittage. In Seesen hieß es, es hätte eben eine Chaise mit Miethpferden das Stationsgeld verfahren, ein Postillon sezte ihr nach. Wir bildeten uns aufs gewißeste ein, es wäre die Mutter, und der Kutscher jug nun, auf der schönen Braunschweiger Chaussée mit dem toll und vollen Pferde – in den Adern des Andern tobte das Feuer der Jugend – bis nach Lutter. Gustel sagte: mir jackert das Herz, und es ging auch wirklich gleichen Schritt mit den Pferden – aber wir fanden die Grosmutter noch nicht. Sie kam erst eine halbe Stunde nach uns und versicherte, wir könten keinen ärgern Weg gehabt haben wie sie. Auch war sie sehr fatiguirt, aber sonst ruhig, ob sie Lottchen gleich krank verlaßen hatte. Es gab nun viel zu schwazen, unter andern erzählten sie mir gleich von einem Diebstahl der in den lezten Tagen ihres Aufenthalts in Göttingen das Schlözerische Haus, wo sie logirten, sehr beschäfligt hatte. Der gröste Theil eines Münzcabinets, etwa 1000 rh. an Werth, war Schlözern gestohlen worden, in der Nacht, durch künstliche Öfnung der Thüren. Durch die Intelligenz von Mad. Schlözer, durch ihre Betriebsamkeit und die ihrer Leute, ist der Thäter entdeckt, der ein Schlößer ist und bey dem zugleich noch mehr kürzlich gestohlne Sachen gefunden wurden. Man hat sogar einen Verdacht, daß er, der die Schlüßel der öffentlichen Gebäude eine Zeitlang zu besorgen hatte, die Silberstuffe auch genommen [haben] mag. Er hat Helfer und Mitwißer gehabt, die alle schon festgesezt sind. Dies war eine Episode; es ist gut, daß die Diebsgeschichte nicht unmittelbar zur Reisebeschreibung gehört. In Lutter wurde Extrapost genommen, mit dem Mädchen und allen Päckereyen beladen. Wir fanden den Weg bis kurz vor Braunschweig äußerst angenehm – hier wird die Gegend ein wenig zu flach; die Stadt selbst ist nichts weniger wie finster. Gustel hat, wie ich sehe, die Wohnung schon ein wenig herunter gemacht, aber es sind bereits Mahler und Tapezierer beschäftigt, um sie inwendig so licht, wie ihre äußere Lage ist, zu machen … Gestern bin ich ausgegangen um Tapeten einzukaufen; ich kam weit herum, es gefiel mir gar nicht übel. Wir haben noch niemand gesehn als die Bekannte aus dem Kloster, mit der eben meine Mutter und die Andern spazieren gegangen sind, ich blieb zu Haus um dies niederzuschreiben. Für den Sontag sind wir ins Kloster geladen und ich werde wahrscheinlich schon alsdann die Mlle. Jerusalems sehn. Der Herzog muß noch nicht wißen, daß ich hier bin, denn er hat mir nicht andeuten laßen sein Land zu räumen. Auch ist ja Friede; Gestern Mittag ist der Courier hier angekommen. – Von meinen Bruder brachte man mir einen Brief mit, worinn er sich erbot mich aus Gotha abzuholen. Wir hoffen nun ihn bald zu sehn.
Fräulein Isabellens Thränen waren anfangs nicht zu stillen; sie schlief darüber ein, und ging nun zu übler Laune und dann in Zärtlichkeit gegen ihre Puppe über. Bey jedem Begegniß sagte sie: das will ich an Gotters schreiben; sie hat ihre kleinen Freundinnen so getreu, wie diese vermuthlich sie, von Morgen bis in den Abend, aus dem Bett, ins Bett begleitet, und ich habe ihr bey ihren Rückerinnerungen von dem, was wir verließen, mit vollen Herzen Gesellschaft geleistet …
Es ist ein Schauspiel hier – eine Tillische Gesellschaft. Wir werden bald hingehn. Heut wird gespielt, Allzu scharf macht schartig. Gustel sagte, das hätte sie schon gesehn.
In dem Packet war – Nichts. Nichts als ein Duzend – Briefe von Theresen von mir selbst eingesiegelt.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 16. April 1795
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Luise Gotter
  • Place of Dispatch: Braunschweig · ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 353‒357.
Language
  • German

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