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Caroline von Schelling to Luise Gotter

Braunschweig d. 20 May [17]95.
Hab ich Dir wirklich nun so lange nicht geschrieben, daß mir noch der Empfang der Kisten zu melden übrig bleibt? Glaube mir, liebe Louise, ich muß nicht gekont haben, sonst wär es geschehn. Meine Stube wurde tapeziert, ein Cabinet daran gemahlt; in der Kälte hatte ich keinen Fleck, wo ich mich hinbegeben konte, als das gemeinsame Sprachzimmer, und ich kan meine Schöpfungen nicht wie Dein Mann unter dem Dialog von Tanten, Niècen und Müttern hervorbringen. Auch bin ich nicht wohl gewesen, und in der That bin ich es noch nicht. Ich hustete gern, wenn ich vor Schmerz könte – ich habe ein wenig Blut ausgeworfen, und zum Beweis, daß es wohl arg ist, muß ich anführen, daß ich heute, wo sich alles in der Bustagspredigt des Abt Bartels befindet, zu Haus geblieben bin. Mad. Ebert wird mir das nicht wohl nehmen; sie hat uns ihren Kirchstuhl überlaßen und wundert sich sehr, daß wir nicht sonntäglich Gebrauch davon machen. Im Pfingstfest soll mich auch nichts abhalten, denn den zweiten Theil von W. Meister hab ich schon gelesen. Bey Mad. Ebert, wo wir neulich einen Nachmittag zubrachten, liegen englische, französische und deutsche Predigtbücher, mehr wie jemals auf Mamsell Lorchens Arbeitstisch. Es kan ihr doch die christliche Milde nicht ganz geben, welche mein liebes Lorchen beseelen würde, hätte sie auch nie eine Predigt gelesen. Die Ebert schien sehr gedrückt – ihre Umstände mögen eher derangirt wie geordnet seyn. Sie verläßt das weitläuftige Gebäude mit den hohen Zimmern ungern, was ich nicht begreife, denn mein Geist hat sich immer in Dehmuth gefallen. Die jüngste Jerusalem hat ein recht hübsches Gedicht oder Lied auf Eberts Tod gemacht, wozu dieser Monat, den er so sehr zu feyern pflegte, eine nähere Veranlaßung gab. Vielleicht bekomm ich es noch von ihr selbst. – Die Zeilen, welche Du mir schicktest, und die ich mir ein Vergnügen machte, wenigstens durch Tradition auszubreiten, fand ich in dem hiesigen Intelligenzblatt, wohin sie durch Feronce gekommen seyn müßen, der aber auch wohl Gotters Nahmen dazu hätte sezen können.
Das Schauspiel ist nicht sehr begeisternd; ich sah ein unbedeutendes Stück von Jünger und Scheinverdienst. Die Frau Geheime Secretarinn spielte gleich Anfangs so, daß sich niemand über ihren Fall im 5ten Ackt zu wundern brauchte. Der alte Amiens hielt das Stück. Einige andre waren erträglich, und Heinrich hielt sich recht gut, nur war er schon ein wenig zu stämmig. Applaudirt wird hier überhaupt fast gar nicht, aber hinter meinem Stuhl flüsterte man sich doch vielfältige Huldigungen der Iflandischen Geschicklichkeit zu. Das Haus ist dunkel und bunt, und schlecht erleuchtet. Den fonds der Gesellschaft machen einige Hubers, Müllers, Rögglen, Nößelt. Sie gehn jezt nach Wolfenbüttel und kommen erst zur Meße wieder. Daß Schröder förmlich niedergelegt hat, und künftig auf einem Gut im Holsteinischen die ersten Köpfe um sich versammeln will, werdet Ihr wißen.
Mit meinem Umgang wird sichs wohl machen, aber für das arme Fräulein Isabella zeigt sich noch kein Schein, auch nur in etwas ihre kleinen unvergeßlichen Freundinnen zu ersezen. Die Eschenburg, die sehr freundschaftlich war, hat ein Mädchen von Augustens Alter, es war aber nicht zu Haus, wie wir sie leztens besuchten, und sie versicherte mir, ihre Kleine wäre so unheilbar blöde, daß sie sie nicht neben Gustel stellen möchte. Doch sagte er, er wolle sie selbst einmal bringen. Gustel gefiel ihm so sehr, daß er sie mit einem englischen Kupferstich eines jungen Johannis verglich, und ihn sogar herbeyholte um mich zu überzeugen. Er ist recht gut – er lobt mein Kind und schickt mir seine ganze Bibliothek. Dein Mann ist also nur halb so gut. Sein Brief hat Eschenburgen gefreut, so wie die Hofnung bald etwas gedruckt von ihm zu lesen. Ist es bald so weit? Ich bitte mir ein Exemplar aus, und will auch gewiß meine Stickseide nicht hinein wickeln, doch steh ich nicht dafür, daß ichs nicht Eschenburgen wieder schenke. – Gustel bekomt ihre Lecktüre aus Campens Händen; Du kanst Dir nicht vorstellen, wie sehr es sie entzückte, mit dorthin, wo wir ein sehr artiges Souper hatten, eingeladen zu werden. Wir gehn oft nach Campens Garten spazieren… Das Clavier wird sie nun viel beschäftigen. Sie hat recht ernstlichen Unterricht und ein gutes Instrument bekommen, und ich verzweifle nicht daran, daß sie mir mit der Zeit die Romanze und: Kenst du das Land wo die Citronen blühn? vorsingen kan. Kenst Du das Land auch schon? Hats Gotter gelesen? Ich wünsche ihm Glück zu dem Vergnügen, was ihm auch der 2te Theil gewähren wird, gegen den die Welt sich gewiß noch heftiger wie gegen den ersten auflehnt, denn nun wird sies bestätigt finden, daß sich unser Freund in schlechter Gesellschaft umhertreibt und zu nichts Beßerem taugt. Nun wird sie sich noch tiefer unter die erste Erwartung von der Vollkommenheit eines neuen Göthischen Romans, den sie in ihrem Gemüth entworfen, herabzusteigen genöthigt sehn. Wer vermag ihre schweren Ideale zu erfüllen? Denk an mich, Louise, wenn es heißt – „es ist der Charakter der Deutschen, daß sie schwer über Allem werden und Alles schwer über ihnen“. Wird Dein Mann bald nach Weimar gehn? Ich habe auch des stummen Freundes Journal, das Zeitarchiv, gelesen? Die Erzählungen darinn sind hoffentlich nicht von ihm, dagegen aber gewiß die Litteraturartikel. Ein andrer mag sie beurtheilen – ich finde nur, daß so zierlich seine Feder geschnitten seyn mag, sie doch auch eine unverläugbare Schweere hat. Noch bin ich nicht geneigt gewesen zu versuchen, ob sie gegen mich nicht oben drein ein schweres Gewißen verrathen würde.
… Lebe wohl, meine Gute.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 20. Mai 1795
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Luise Gotter
  • Place of Dispatch: Braunschweig · ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 357‒360.
Language
  • German

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