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Caroline von Schelling to Luise Gotter

Braunschweig d. 28 Jun. [17]95.
Ihr macht mir angst mit Eurem Schweigen – der ganze Monat ist vorübergegangen, ohne daß ich von einem meiner Freunde gehört hätte. Ist das Strafe für meine Sünden der Nachläßigkeit oder eigne Sünde? Hier bekömst Du den Kupferstich endlich, der schon seit 3 Wochen in meiner Commode liegt. … Was hat aber – und hier komm ich zu der Nuzanwendung der vorhergegangnen Zeilen – was hat Gotter für Entschuldigung, Göschen noch nichts geschickt zu haben? Wie kan er sich bey dem Bewustseyn beruhigen, daß Esther in seinem Schreibtisch liegt, da er mit diesem Pfunde wuchern könte? Erlaube mir, mein Kind, daß ich in Deinem Nahmen auf ihn schimpfe, schweig Du ganz still und gieb ihm dies nur in die Hand. Göschen hat mir geschrieben. Er ist so überhäuft mit Autoren, daß, wenn ers nicht bald bekömt, ers wieder nicht vor der nächsten Meße drucken kan. Ich bin bitterböse, denn am Ende werd ich ihm eine Esther schaffen müßen. Liegt es am Abschreiber? Kan es daran liegen? Warum hast Du es denn nicht zum Abschreiben bekommen, denn Du bist ja eine Frau, die eine deutliche Hand schreibt! Der todkranke Schiller ist betriebsamer, denn der unternimt nun doch einen Musenallmanach, und Reinhard und Dietrich werden bankerott mit den ihrigen machen. Wer ihn verlegt, weiß ich nicht; es ist nur ein Brief von Schiller an Schlegel durch meine Hände gegangen, worinn er ihn zur Theilnahme einladet.
Schreib mir doch bald, meine Liebe, mich verlangt sehr zu wißen, was Ihr macht, und ob Gotter in Weimar gewesen, obwohl keine Herzoginn, kein Cammerherr solche Nachläßigkeit entschuldigen oder gutheißen könte. Unsere Kinder plappern hoffentlich mehr mit dem Mäulchen von einander als mit der Feder. Dies ist auch nicht die Lebenszeit zum sizen, sondern zum hüpfen und springen. Ich kan Deine lieben Mädchen versichern, daß ihr Andenken um nichts bey Mutter und Tochter geschwächt ist. Gustel hat noch keinen Ersaz für sie gefunden, niemand der so verständig wie Cäcilie, so wisbegierig wie Julie und so angenehm vorwizig wie Paulinchen wäre. Die kleine Eschenburg ist ein schönes Mädchen, aber weder sehr wohlgezogen, noch sehr geistreich, so viel ich bis jezt an ihr wahrnahm. Gustel ist jezt sehr regelmäßig beschäftigt, von 9 – 10 Clavier, welches sehr gut geht, vorzüglich was das Notenlernen betrift – ihr Kopf ist gelenkiger wie ihre Finger. von 10 – 11 Französisch. von 11–12 Zeichnen. Nach Tisch Schreiben. Gegen Abend unterichtende Lecktur. Es wird eine ruhmwürdige Edukation werden und ich werde Dir à la Genlis Bericht davon abstatten, wobey Du die Rolle der leichtsinnigen Vicomtesse übernehmen mußt (s. Adêle und Theodore) und ich die der ungeheuer vernünftigen Baronne zu meinem Antheil bekomme.
… Zu einem vertraulichen Umgang fand sich sonst noch niemand. Ich begnüge mich auch gern, wenn die Mutter nur einen findet, den sie ein bischen häufiger haben kan. Die Stadt ist zu groß, als daß sich dies sehr bald machte; jeder hat einmal seine angewiesenen Cirkel. Alle vorräthige Gastfreundlichkeit und Gefälligkeit gegen Fremde wird an Ausländern erschöpft; das ist deutsche Art und Sitte. Wirklich, es ist wunderbar: man schimpft auf diese Menschen, weil sie zur Theurung beytragen, aber man unterstüzt, man nimt sie in Gesellschaft auf, läßt alte Bekante durch sie verdrängen, und selten ist es Mitleid oder entschiednes Wohlgefallen, um des willen man so viel für sie thut; die Blödigkeit unsrer Nation unterwirft uns nur so leicht einem fremden Einfluß – wir laßen uns fortreißen durch die dreistere Selbstschäzung einer jeden andern; man braucht uns nicht einmal zu bezaubern und zu überreden, um den Herrn über uns zu spielen. Es hat mir immer hart und engherzig geschienen, diese armen Flüchtlinge allenthalben zu verjagen, und doch deucht mich, wenn ich das Wesen hier so mit ansehe, ich würde als Fürst die Parthie ergriffen haben, welche Euch vor ihrem Besuch schüzt. Das sag ich keineswegs als Gegnerin ihrer Meinungen, sondern als Deutsche. Die guten Leute haben sich seit gestern mit Crepp bewickelt, um den hoffentlich sanften Tod des kleinen Unglücklichen zu betrauern, der nun nicht länger beklagenswerth ist.
Sobald die Mutter nur erst recht zufrieden ist, werde ich es vollkommen seyn, und dazu gehört nur noch ein wenig mehr Zeit. Wir haben eigentlich über nichts zu klagen, als über die Theurung, über die jedermann klagt. Zu lachen haben wir über die Ebert, wie und warum würde sich nur mündlich gut ausnehmen. Mich begreift sie nicht, weil ich zuweilen, wenn die andern ausgehn, zu Haus bleibe. Sie läuft tagtäglich mit einem blutjungen Bedienten hinter sich, mit dem sie alle Woche ein paarmal vor dem Gericht ist, und ihn doch nicht abschaft. Mich wundert, daß Jerusalems sie so dulden, da ist sie sehr viel. Adieu, Liebe. Grüße an alles. In ein paar Tagen geheich zu Trapps nach Wolfenbüttel. Ich verzweifle, wenn Du nicht bald schreibst.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 28. Juni 1795
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Luise Gotter
  • Place of Dispatch: Braunschweig · ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 360‒363.
Language
  • German

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