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Caroline von Schelling to Luise Gotter

Jena den 25ten Dec [17]96.
Grade zu rechter Zeit traf gestern Dein Päckchen noch ein, liebste Seele, und Auguste und ich danken Dir herzlich für die gütige und gute Besorgung. … Täglich und stündlich denk ich an Euch, und wäre Weimar nicht weiter von Gotha wie von hier, so hätte ich nicht geruht, bis ich von dort aus zu Euch gekommen wäre. Sey nicht ganz sicher vor einem solchen Ueberfall. Wenn ich mir ihn selbst nur als möglich vorstelle, so ists bald geschehn. Meistens scheint es mir freylich gar nicht thunlich meine 4 Wände zu verlassen. Auch nach Weimar reißte ich nicht sowohl, als daß die Pferde mit mir davon reißten. Nachher war ich es freylich ganz zufrieden – ohngeachtet ich wieder den Cammerherrn von Einsiedel nicht kennen gelernt. Was mag das Verhängniß dabey für schlaue Absichten haben! Am ersten Abend waren wir im Schauspiel. Wir hatten gar nicht gewußt, was gegeben werden würde, zum Glück war es nichts uninterreßanters als eine Oper, die heimliche Heyrath, italiänische Musik, von Cimarosa, die ich in Braunschweig von den Italiänern und immer sehr gern gehört hatte. Mit dem aller Welts Cicerone, dem theuren Bötticher, und seiner lieben Frau, die eben so süß und so feyerlich ist, und die Augen bis zum Weißen verkehrt, die Hände faltet und schön! schön! ruft, gingen wir hin, und Mlle. Schröder saß vor mir. Ich merkte, daß sie sich bey meinen Nachbarn nach dem fremden Gesicht erkundigte, und erkundigte mich auch, mit einer Ahndung, daß sie es seyn könte. Da präsentirte man uns einander. Nun ging ich am 2ten Morgen drauf um 11 Uhr zu ihr, nachdem ich es ihr früh wißen laßen. Schlegel ging mit und wollte Einsiedel besuchen; der hatte eben ausgehn müßen. Abends um 5, wie wir von Göthe zurückkamen und gleich wegfahren wollten, ließ sich Einsiedel ansagen und war vielleicht schon unterwegs, aber wir auch unterwegs in den Wagen, und das ist nun die traurige Geschichte, wie sich Menschen verfehlen! Nachdem bey der Schröder die erste Steifigkeit gelenkig geredet worden war, hat sie uns, und Schlegeln noch besonders für sich, doch recht wohl gefallen. Ich habe sie sehr nach Jena eingeladen, und wenn Ihr im Sommer kommt, so wollen wir sehn, ob sie sich nicht einen Tag herüber verfügt. – Frau von Kalb habe ich auch gesehn, aber Ihr mögt sagen was Ihr wollt, sie kan am jüngsten Gericht als eine ächte Adliche bestehn, und wird so erfunden werden. Über Mangel an Artigkeit hab ich gar nicht zu klagen – allein ihr Geist – und Geist hat sie – ist doch in eine etwas schiefe verrenkte Form gegoßen. – Wer mich entzückt und fast verliebt gemacht hat, das ist Herder. Wir hatten einen Thee dort, zu welchen Wieland beschieden worden war, den ich in einer außerordentlich guten Laune gesehn haben soll, und es ist wahr, er sagte lustige Sachen, unter andern schimpfte er gegen die Schweine, deren Schöpfung er dem lieben Gott nie verzeihn könte – und die er in dem höchsten Anfall von Unwillen darüber Antigrazien nannte – dann über die Xenien – und über Fr. von Berlepsch, Genlis, Staal usw. Aber von mir hat er nachher gutes gesagt, ob er gleich einen argen Schnupfen von dem Abend gekriegt hatte. Er hätte auch den Hals brechen können, weil es just so glatt wurde, als sich „die ältesten Menschen“ (ists nicht so der rechte Styl?) nicht errinren konten. Madam Herder habe ich mir kleiner, sanfter, weiblicher gedacht. Aber für die fehlgeschlagne Erwartung hat mich der Mann belohnt. Der Curländische Aczent stiehlt einen schon das Herz, und nun die Leichtigkeit und Würde zugleich in seinem ganzen Wesen, die geistreiche Anmuth in allem, was er sagt – er sagt kein Wort, das man nicht gern hörte – so hat mir denn seit langer Zeit kein Mensch gefallen, und es scheint mir sogar, daß ich mich im Eifer sehr verwirrt darüber ausgedrückt habe. Den Mittag drauf waren wir bey Göthe, und Herder auch, wo ich bey ihm und Knebeln saß, allein ich hatte den Kopf immer nur nach Einer Seite. Göthe gab ein allerliebstes Diner, sehr nett, ohne Überladung, legte alles selbst vor, und so gewandt, daß er immer dazwischen noch Zeit fand, uns irgend ein schönes Bild mit Worten hinzustellen (er beschrieb zB. ein Bild von Fueßli aus dem Sommernachtstraum, wo die Elfenköniginn Zetteln mit dem Eselskopf liebkoset) oder sonst hübsche Sachen zu sagen. Beym süßen Wein zum Desert sagte ihm Schlegel grade ein Epigrammn vor, das Klopstock kürzlich auf ihn gemacht, weil Göthe die deutsche Sprache verachtet hat, und darauf stießen wir alle an, jedoch nicht Klopstock zum Hohn; im Gegentheil, Göthe sprach so brav, wie sichs geziemt, von ihm. Gern wär ich noch länger dageblieben, um bey Göthe nicht allein zu hören, sondern auch zu sehn, und daneben freylich auch zu hören, aber das miß auf den Sommer verspart bleiben. Was ich sah, paßte alles zum Besitzer – seine Umgebungen hat er sich mit dem künstlerischen Sinn geordnet, den er in alles bringt, nur nicht in seine dermalige Liebschaft, wenn die Verbindung mit der Vulpius (die ich flüchtig in der Comödie sah) so zu nennen ist. Ich sprach noch heute mit der Schillern davon, warum er sich nur nicht eine schöne Italiänerinn mitgebracht hat? Jezt thut es ihm freylich auch wohl nur weh die Vulpius zu verstoßen, und nicht wohl sie zu behalten. – Du siehst, daß wir unsre Zeit in Weimar recht gut zugebracht haben. Sollten wir einmal wieder hingehn, so will ich doch Schlegel bitten, daß er sich der Herzogin Amalie bekant machen läßt, und Einsiedel soll uns alsdenn gewiß nicht entgehn. Knebel ist seitdem hier bey uns gewesen – ein ehrlich Gemüth von einem Edelmann! – Wenn wir – oder auch ich allein – im Gasthof waren, so leistete uns Falk Gesellschaft, der Satiren schreiber, das gutmüthigste Kind von der Welt, der sich jezt in Weimar aufhält und von den Weimeranern lieb haben läßt, die immer jemand des Schlages haben müßen. Im Frühjahr war es Jean Paul Richter, in deßen Büchern Gotter gewiß nicht Eine Seite läse.
Ich höre, daß man die Beylage in der Hamburger Zeitung bey Euch vortreflich gefunden hat. Sie ist auch wirklich gar so übel nicht, aber es müßte freylich noch anders kommen, bis die Xenienmacher Auweh! sagen könnten. Ich glaubte Trapp darinnen zu erkennen, aber nun wißen wir, daß Ebeling in Hamburg der Verfaßer ist, und die erste Muthmaßung hatte mich auch schon deswegen wieder verdünkt, weil Trapp nie Stollbergs Parthei, überhaupt nicht die eines Grafen und Christen genommen hätte, auch meinen Schlegel nicht mit seinem Bruder verwechselt. Von diesem lezten steht mit seinem Nahmen im Journal Deutschland ein Aufsatz über Göthe, der ihn allenfals als Panegiristen gelten lassen könte, obwohl eine vollkomne Freymüthigkeit darinn herrscht. Hingegen mein Schlegel hat nie etwas über Göthe besonders geschrieben, ob er ihn gleich im Innersten seiner Seele lieb und werth hat. Die heftigste Antwort steht im 10ten Stück Deutschland und rührt von Reichard her. Man muß sehn, was darauf erfolgt. In der Recension des Allmanachs ebendaselbst sind nur einige unglückliche Verstöße begangen, nehmlich man hat alles auf Schiller gemünzt, und die Epigramme auf Reichard rühren von Göthe her, so hat auch Göthe das Epigramm gemacht, das sonst sehr witzig Schillern als ein naives Epigramm zugeschrieben wird. – Diese lezten Nachrichten amüsiren wohl Gotter oder Jacobs, wenn auch Dich nicht, liebste Louise.
Fr. von Berlepsch war eben aus Weimar abgereißt nach Dresden, um Mounier aufzusuchen, den berühmten Exdeputirten. Man behauptet, sie will ihn heyrathen.
Zum Schluß hat mein Mann eine Bitte an Deinen Mann. Ob er ihm wohl durch Rousseau die 5 lezten Jahrgänge der schönen Bibliothek zukommen laßen will, die hier nicht aufzutreiben sind, da sie bey Schütz gleich ins Burgverließ kommen. Er kennt sie fast gar nicht und bedarf sie zu einigen allgemeinen Notizen. Indeßen sagt es Jacobs nicht, sonst möchte der sich feindseeliges dabey denken. Vergiß es nur nicht, meine Beste. …
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 25. Dezember 1796
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Luise Gotter
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 408‒413.
Language
  • German

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