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Caroline von Schelling to Johann Diederich Gries

Jena d. 9ten Jun [17]99.
Sie vergeben und vergessen gewiß, daß ich spät antworte um meiner heutigen Begleitung willen. Hier ist etwas für Ihre einsamen Stunden. In diesem Augenblick werden Sie freylich nicht einsam seyn, ich vermuthe Sie in Cassel. Sind Sie nicht da – pends toi, brave Crillon!
Genug der Brief ist für Sie erbeutet. Schelling hat nichts dazu gethan, als daß ers auch gewollt hat. Fichtens Famulus hat ihn abgeschrieben und ich habe gerade einen halben Laubthaler dafür bezahlt. Schade daß ich nicht daran gedacht ihn auf grünen Papier abschreiben zu lassen, damit er mit dem Original noch mehr übereinkäme und nichts von seiner Magie verlohren ging. Es wird denn doch genug übrig bleiben um die Bezauberung an Ihnen zu vollenden, die der Steffens mit seinen Fragmenten des Fragmentes begonnen hat. Von Ihnen erwarte ich zu hören, ob Sie alles gefunden haben, was Sie erwarten, weissagen kan ich nichts darüber. Mir ist der Brief ganz unendlich lieb und interressant gewesen, doch nicht um der Aufschlüsse willen – als welche mich alle nichts angehn, denn ich weis doch, was ich weis. Ausgefüllt scheint mir die Lücke nicht, ausser durch den Sprung, den Sie kennen, den Jacobi selbst den Salto mortale nennt – und so sprang Sapho vom Leukadischen Fels, da sie nicht ohne Liebe leben konnte. Ja – ein Meer ist es, in welches Jacobi sich stürzt, wo anfangs die Wellen dem heißen Gemüthe schmeicheln und der Untergang nahe ist – aber das hoffe ich, ihn nehmen die Götter auf, ehe er den Tod im Abgrunde findet.
Die Worte von Jacobi „ich bin nicht und ich mag nicht seyn, wenn kein Gott ist“ und „das Gute – was ist es? – ich habe keine Antwort, wenn kein Gott ist“ das sind die, wo ich nicht mit ihm fühlen kann, und die auch mein bischen Kopf für gefährlich erkennt. Meinem innersten Glauben ist nichts mehr zuwider, als daß das Gute soll auf einer Bedingung beruhn – in so fern ist das Gute mein Gott, von dem ich eine unmittelbare Erkenntniß habe. Nun frag ich für mich nicht weiter nach einer Persönlichkeit – ich stoße sie auch nicht von mir und lasse sie mir gern erscheinen, besonders wenn ich glücklich bin. Nie ist es mir in der Noth eingefallen meine Gedanken an sie zu richten. – Die Seite, daß der Mensch seine Moralität von einer Überzeugung abhängig macht, die er sich nicht geben kann, die der geweihete selbst nur in geweiheten Stunden hat – die kommt mir ewig verderblich vor. Ich verdamme Jacobi nicht um sie, aber das glaub ich, ohne seine unmittelbare Liebe zum Guten führt sie zur Unwürdigkeit und Knechtschaft. Und die Stütze, die Jacobi im Woldemar verwirft, „traue dem Herzen nicht“ – nur das Herz kann den Menschen aufrecht erhalten unter solcher Gesinnung.
Sie wissen, daß ich über diese Dinge ohne irgend eine Kenntniß des philosophischen oder metaphysischen Wortgebrauchs spreche, ja auch viele Bedürfnisse des spekulirenden Geistes gar nicht kenne, und ich bescheide mich gern, daß nicht alle Gemüther über die Wissenschaft des Unendlichen und Begränzten so genügsam sind als ich.
Wie wenig Sinn ich also eigentlich für Fichtens System, das ich erst durch die lezten Streitigkeiten ein wenig zusammen buchstabirte, habe, können Sie denken. Das Gute um des Guten willen, das begreife ich in ihm, das erhebt meine Seele, und ausserdem bewundre ich an ihm die Höhe des menschlichen Geistes und interressire mich für den Verfechter der Freyheit im Denken – seine persönliche Bravheit abgerechnet.
Es ist sehr schön von Jakobi, daß er so warm in ihm verehrt, wogegen er doch die stärkste Abneigung hat, nur dieß ist für mich das begeisternde im Brief. Erstaunlich hübsch und muthwillig und mir gewaltig einleuchtend ist das Gleichniß vom Strickstrumpf.
Fichte wird wahrscheinlich noch in diesem Monat Jena verlassen, er allein, denn die Frau muß bey dem Knaben bleiben, der nun seit 10 Wochen kränkelt, und so daß er beständige Wartung erfodert. … Wohin F. geht, weiß ich noch nicht. Er ist aber munter. Seine gerichtliche Verantwortungschrift ist erschienen, ich werde Ihren Bruder fragen, ob er sie Ihnen mit beylegen will. Sie ist noch weit mehr dazu gemacht zu wirken als die Appellazion, sie nimt die Sache nicht so feyerlich, und beißender.
Ein sehr angenehmer Besuch ist uns Dohm gewesen. (der – im Vorbeygehn – sich sehr gut für Fichte erklärt hat.) Huber hatte mir schon geschrieben, wenn jene Gräuel in Rastatt ans Tageslicht kämen, und andre Höfe bestimmten, so sey es Dohms ewig preiswürdigen Bemühungen zu verdanken, der mit Heldenmuth die augenblicklichen Maasnahmen betrieben. Wir sprachen ihn nun hier selbst darüber, denn er besuchte uns. Ein wahrhaft verehrungswürdiger Mann, der in Staatsgeschäften sein Haar gebleicht, ohne den Bürgersinn einzubüßen. Er macht einen starken Contrast mit Goethe und Schiller, die über jene Begebenheit wie Emigrirte sprechen. „Wer es gethan habe, sey einerley, nur gut daß es geschehn, denn das Abscheuliche müsse geschehn.“
Bey Goethe ist das eine Art von Verzweiflung darüber, daß die Ruhe, die er liebt, sich ferner und ferner hält.
Was wollen Sie damit, daß ein Dichter den Glauben an Gott braucht? – er braucht nicht einmal den an die Menschen. Die Religion des Dichters ist wieder etwas ganz anders der Glaube nicht, die guten Werke. Was hat denn Goethe für einen eurer Glauben, und er wird doch zur ewigen Herrlichkeit gelangen. Was vortreflich ist, enthält Göttliches, und sollte noch zu läutern seyn, so ist das bald gethan.
Wir halten uns in diesen schlimmen Zeiten enge zusammen. Denken Sie, nicht Schelling allein, auch Paulus essen bey uns und eben hab ich auch Hufland und Loder. Wenn Sie nur da wären! Ihren Bruder sehn wir fast gar nicht; gestern ließen wir ihn bitten, da war er in Dornburg; Heise kam.
Steffens war kürzlich noch in Berlin, erst aus Freyberg wollt er uns schreiben. Hardenberg ist in Weißenfels, und schickte uns seine Schwester als Gesandtin; Geschäfte halten ihn zurück, doch muß er nun bald hier seyn.
Schelling ist aufgeweckt und er läßt sich sogar zu einiger Geschmeidigkeit an.
Schlegel heckt Bosheiten aus. Auguste übt sich in der Luzienschaft gegen Schelling.
Leben Sie recht wohl, besorgen Sie die Einlage. Wir hören ja wohl bald wieder von Ihnen.
Caroline Schlegel.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 9. Juni 1799
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Johann Diederich Gries ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 547‒551.
Language
  • German

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