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Caroline von Schelling to Luise Gotter

Jena d. 5 Oct. 1799.
Meine liebe beste und immer gleichgeliebte Freundin – das bist Du, und wenn ich Jahre lang schweigen müste. Gemußt hab ich nehmlich, das kan Dir die Seidler sagen, sie weiß, wie es bey mir zugegangen ist. Ich habe tausend Freuden davon gehabt, aber freylich seit einem vollen Vierteljahr keinen Augenblick Ruhe. Es hat mich auch wirklich angegriffen, und so wie die Freunde weggegangen sind, hat die Medicin herhalten müssen, und es wird mir alles sehr sauer. Wie ich Deine Hand sah, legt ich den Brief ganz still hin und war betrübt, denn ich hatte Dir schreiben wollen, gewollt mit aller Macht und doch nicht gekont. Ja seit dem Empfang sind 8 Tage wieder hingegangen, wo das ganze Haus von oben bis unten umgekehrt wurde, eine große Wäsche gehalten, Vorhänge aufgesteckt bis zum lahm werden. Auch Augustens Hülfe fehlt mir jetzt, wie Du wissen wirst, sie ist in Dessau bey den guten Tischbeins, ihr Herz ist freylich doch bey der Mutter zurückgeblieben. Die Tischbeins theilen die Sehnsucht nach Jena mit ihr, wo es auch während ihrer Anwesenheit allerliebst war. Welche gesellige fröliche musikalische Tage haben wir verlebt! Ich hatte die Freude, meiner Mutter den Aufenthalt recht angenehm zu machen.
Zuerst kamen Tiek aus Berlin (ein sehr liebenswürdiger junger Mann) und Hardenberg, die waren 14 Tage bey uns, und dann fanden sich die Braunschweiger ein, Mutter, Schwester, Schwager, ein Kind und Mädchen. Luise hat einen Engel von Kinde, eine so liebliche impertinente Neugier muß noch nie auf einem Gesicht gewohnt haben. Sie selbst ist nicht so blühend und gesund wie sonst, die beyden Kinder haben ihr viel genommen, besonders der Schmerz um das eine, der sie um das andre über alles Maaß hinaus ängstlich macht. Acht Tage nachher fand sich die Tischbein mit einem Knaben von ein paar Jahren und ebenfals einem Mädchen ein. Ihre beyden Töchter waren in Weimar bey Bertuchs und kamen nur dann und wann herüber bis nach der Braunschweiger Abreise, wo auch diese ganz bey mir wohnten. Ich hatte es so einzurichten gesucht, daß alles ordentlich zuging. Freylich die drey Mädchen Caroline, Betty und Auguste haben argen Lärm verführt und ihre Stube war schlecht aufgeräumt, aber auch welche Wonne den frölichen Geschöpfen zuzusehn. Betty ist ein Kleinod, sie muß jedermann entzücken; nicht das herrliche musikalische Talent, und die durchaus originelle Wendung ihres ganzen Wesens sind es allein, es ist eine solche Güte und Unbefangenheit in ihr, daß man die Mutter um sie beneiden muß. Carolinens Stimme hat sich mit großer Gewalt entwickelt, wir haben ein paar Concerte gehabt, die herrlich waren, wo sie und Betty Arien und Auguste mit ihnen Duetts und Trios, und die Mutter mit den beyden Töchtern Chöre sangen. Wie sehr hätte ich gewünscht, daß alle hieran Theil nehmen möchten, die ich liebte, daß ich euch nur auf kurze Zeit herüber hätte zaubern können. Du must mir selbst die Begeisterung wohl anmerken.
Drey Wochen sinds nun, daß uns auch diese verlassen. Damals hatte ich jeden Mittag ein 15-18 Personen zu speisen. Meine Köchin ist gut, ich aufmerksam, und so ging alles aufs beste. Mein Schwager war auch unvermuthet von Berlin angekommen zu unsrer großen Freude. Auguste ging aus Freundschaft und Musikliebhaberey mit nach Dessau. Nun hat es sich so gemacht, daß demohngeachtet keine Leere eintrat und der Besuche kein Ende wurden. So erwart ich übermorgen eine Schwägerin aus Göttingen, die Hoppenstedts. Du wirst in Gotha von ihnen hören. Wenn ich nicht irre, ist eine Tochter der Glockenbringk dabey. Unten in die Stube zieht eine Frau aus Berlin, eine Tochter von Mendelsohn, eine sehr wackre Frau, die ich täglich erwarte, und die auch bey uns essen wird. Auch Tiek aus Berlin zieht mit seiner Frau auf den Winter nach Jena und sie wollen bey uns den Tisch haben. Ein Theil meiner bisherigen Gesellschaft hat sich heut unter gegenseitigen Wehklagen von uns getrennt, Paulus nehmlich.
Da hast Du einen trocknen Abriß meines geschäftigen Lebens. Und nun laß uns noch von andern Geschäften sprechen. Iffland hat jetzt eben nichts von sich hören lassen, allein ich mahne ihn sogleich dringend um sein Versprechen gegen Dich. Er kann es aus der Acht lassen, aber gewiß nicht brechen. Den 10ten Okt. wird Schlegels Hamlet in Berlin aufgeführt. Wir sollten hin, aber dies wurde mir doch auf alle Weise zu viel.
Jetzt hab ich Dir noch etwas vorzutragen, das Augusten betrift. Ich kann mich nicht überwinden sie hier confirmiren, nehmlich ihr hier den dazu nöthigen Unterricht geben zu lassen. Die Prediger sind so beschaffen, daß ein Kind von Augustens Nachdenken sich nothwendig oft beleidigt finden müste, und auch diese kurze Qual möcht ich ihr ersparen. Es war also meine Idee sie Dir und Löfflern für die Zeit anzuvertrauen. Nun wünscht ich, daß Du mit Löfflern sprächst. Ich weiß nicht, wie eure Einrichtungen beschaffen sind, und ob er es wohl überhaupt thut. Das glaub ich mich zu erinneren, wenn sie bey Dir wohnt, müste sie vom Oberhofprediger confirmirt werden; denke aber, dieß ließe sich so vermitteln, daß man angäbe, als wäre sie bey Deinen Eltern. Vielleicht ist dies auch bey Fremden nicht nöthig zu beobachten. Schreibe mir nur, ob mein Plan ausführbar ist. Ich will nichts als den einfachsten Unterricht, der mit 6 Wochen vollkommen vollendet werden könnte, und würde mich, wenn Hr. Löffler sonst nur geneigt ist in meine Wünsche einzugehn, schon mit ihm hierüber verständigen. Gieb mir doch hierauf je eher je lieber Bescheid. Was macht Löffler? Siehst Du ihn zuweilen?
Die Seidler hat mir immer alles, was sie erfuhr, von Gotha erzählen müssen. Nach unsrer guten Cécile habe ich oft gefragt, und ohngefähr gehört, was Du mir schreibst. Daß ich sie bald einmal recht gesund und frisch umarmen könte! Wenn das mit Auguste ausgeführt wird, seh ich euch im Frühjahr. Grüße mein liebes Minchen. Ihr Verlangen hat sie nicht nach Jena gezogen, sie ist wie gebannt in den Kreis der gothaischen Freunde. Wie hübsch, wenn sie in dieser lezten Zeit mit uns hätte leben und weben und das Land durchziehn können – denn wir haben keine Burg 3 Meilen in die Runde unbesucht gelassen. …
Ich bitte Dich, Beste, geh eigends zu Mad. Schläger und erzähl ihr ein wenig von mir – ich kann diesmal nicht mehr schreiben. Ist sie leidlich wohl? Sag ihr, es gehe uns ganz ausgelassen gut. Wir lebten in schöner Geselligkeit, und das Frühjahr bringe gewiß wieder Reisen herbey. [Besorgungen.]
Empfiehl mich Deinen Hausgenossen. Die Kinder drücke ich so wie Dich mit alter Liebe an mein Herz. Vergieb mein Schweigen und liebe
Deine Caroline.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 5. Oktober 1799
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Luise Gotter ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 559‒563.
Language
  • German

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