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Caroline von Schelling to Auguste Böhmer

[Jena] 21 Oct. [17]99.
Mein liebes Mädchen, wie kommt es, daß ich seit 3 oder 4 Postagen nichts von Dir erhalte? Du ängstigst mich sehr. Ich habe Dir außer dem lezten jedesmal geschrieben. Einen Brief gab ich Schlegel nach Leipzig mit, damit er früher kommen sollte, der wird aber wohl dadurch später gekommen seyn? Meine liebe Seele, bist Du nicht wohl? bist Du betrübt? Wer weiß, ob Hufelands nicht doch noch über Dessau gehn und Du mit ihnen wiederkommst! Sie haben noch immer nicht aus Berlin geschrieben, und ich weiß nun gar nicht, wie es steht in der Welt – ich weiß nicht, was mein Kind macht. Meinst Du etwa, weil ich Dich noch dort lassen wollte, ich hätte Dich nicht lieb? Glaub nur, Du bist Deiner Mutter das theuerste, was sie hat, und das wirst Du schon noch fernerhin gewahr werden.
Ganz aus der Fassung setzt mich Euer allseitiges Stillschweigen.
Von Dresden hab ich einen traurigen Brief, Utteline hat ein faules Nervenfieber und war am 13ten noch nicht außer Gefahr.
Am Donnerstag kamen Tieks. Sie sind durch Dessau gekommen, und glaubten Dich mit der Tischbein in Dresden, so daß sie Dich nicht gesucht haben und nur wahrscheinlich mit Dir in der Comödie waren, in den Arkadiern. Häßlich ist die Tiek nicht. Hätte sie Anmuth und Leben, und etwas mehr am Leibe als einen Sack, so könte sie für hübsch gelten. Das kleine Tiekchen ist recht sehr hübsch und blühend geworden. Es macht sich übrigens alles recht gut zusammen. Den ersten Abend hat Schlegel gleich den König Richard und gestern Tiek ein Stück von Holberg vorgelesen. Das soll alles noch einmal gelesen werden, wenn Du kommst. Hast Du denn auch von dem Spuk in Leipzig gehört? Daran würde sich Kuhn jämmerlich ergötzen. Kotzebue hat ein Stück gegen die Schlegel gemacht und während der Messe aufführen lassen. Eine Rolle drin ist aus den Fragmenten im Athenäum ausgeschrieben, und soll so den Friedrich vorstellen, der zulezt ins Tollhaus geschickt wird. Übrigens platterdings kein Witz darin außer der Schlegels ihr eigner. Es hat großen Lärm im Parterr gegeben pro und contra – das pro hat natürlich bey den Leipzigern die Oberhand behalten, hinterher hat Müller aber die weitre Aufführung verbieten lassen. Das Stück heißt der hyperboreische Esel oder die Bildung unsrer Zeit. Du kanst leicht denken, wie sich Schlegel tout de bon daran ergötzt hat. Es ist Dir ein Tausendspaß. – Schillers Musencalender ist auch da, das Gedicht von der Imhof eben weiter nicht viel als ein Rudel Hexameter, aber über ein Gedicht von Schiller, das Lied von der Glocke, sind wir gestern Mittag fast von den Stühlen gefallen vor Lachen, es ist a la Voss, a la Tiek, à la Teufel, wenigstens um des Teufels zu werden.
Herzenskind, fehlt Dir etwas? …
Schellings Bruder ist seit gestern da, aber noch nicht hier gewesen, denn er ist vom Postwagen gefallen und noch stupide. Er soll größer seyn wie Sch. und erst 16 Jahr. Niethammers sind auch wieder zurück, nicht überentzückt von Schwaben. Von Schellings Schwester hat sie mir aber eine sehr vortheilhafte Beschreibung gemacht. Mammeselle Niethammer ist mitgekommen, und wird den hiesigen Schönen, wenigstens allen Blondinen, starken Eintrag thun.
Die Veit fährt fort eine trefliche Frau zu seyn, und Friedrich zu kräumen. Die Schillern hat eine Tochter. Die Melish auch, und denke Dir, erst vor ein paar Tagen kam sie nieder. Er schickte einen Expressen. Daß die Schiller schwanger, hast Du wohl nicht einmal gewußt? Gott segne Dich, Du weißt vieles noch nicht. Lernst Du denn doch wenigstens singen?
Dein verzweifelndes Mütterchen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 21. Oktober 1799
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Auguste Böhmer ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Dessau · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 568‒570.
Language
  • German

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