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Caroline von Schelling to Auguste Böhmer

[Jena] d. 28 Oct. Montag [1799].
Liebes Kind, nun ich Dich nicht gleich wieder bekommen kann, fängt die Sehnsucht auch an, mir in die Seele zu treten. Gestern kamen Hufelands wieder, mit denen hättest Du nun auf keinen Fall kommen können, also darfst Du mir doch die Schuld nicht mehr geben, daß ich Dich fern von uns verschmachten lasse, und ich habe sie mir auch nicht mehr selber beyzumessen. Schicksal! Schicksal! mein Engel und das Gemeine – nehmlich das Gemeine, daß man nicht fliegen kan – enfin alles wie es in dem Wallenstein steht, die Sterne, der Hufschlag der Pferde usw. Doch die Zeit wird kommen, und Du sollst einen herrlichen Weinachten hier feyern. Mit dem Husten das ist schlimm, spiele nur recht viel und thue Deine Ohren auf, um recht zu hören, was die andern spielen und singen, damit Dir ein innres Verständniß der Musik aufgehe. Laß keine Operette ungehört vorbeygehn. Was es kostet, will ich denn schon bezahlen. Deinen Muff schick ich Dir durch die Schwester der Fromman, Mad. Bohn, die über Dessau zurückreisen. Auch der Fromman Tante, Mad. Hanbury, ist da mit vielen Kindern, kurz eine ganze Hamburgerey bey ihnen aufgeschlagen. Der Hofrath Hufeland ist zurück nebst Frau und Kindern. Lauserey das alles! Buonaparte ist in Paris. O Kind, bedenke, es geht alles wieder gut. Die Russen sind aus der Schweiz vertrieben – die Russen und Engländer müssen in Holland schmälich capituliren, die Franzosen dringen in Schwaben vor. Und nun komt der Buonaparte noch. Freue Dich ja auch, sonst glaub ich, daß Du blos tändelst und keine gescheiten Gedanken hegst.
Die Tiek misfällt mir im Grunde doch, ich mag es nur nicht aufkommen lassen. Er ist sehr amüsant, und wir sind viel beysammen. Was die Menschen vor Zeugs aushecken, das glaubst Du nicht. Ich werde Dir ein Sonnet auf den Merkel schicken, der in Berlin geklatscht hat, der Herzog habe den Schlegels wegen des Athenäum Verweise geben lassen usw. Da haben sich Wilhelm und Tiek lezt Abends hingesetzt und ihn mit einem verruchten Sonnet beschenkt. Es war ein Fest mit anzusehn, wie beyder braune Augen gegeneinander Funken sprühten und mit welcher ausgelassenen Lustigkeit diese gerechte malice begangen wurde. Die Veit und ich lagen fast auf der Erde dabey. Die Veit kann recht lachen, was sie Dir wohl bestens empfelen wird. Der Merkel ist ein geliefertes Ungeheuer. Davon erholt er sich nicht. Ein Mordlerm wird übrigens von allen Seiten losgehn. Schütz und Wilhelm haben artige Billette gewechselt, Schelling rückt der A. L. Zeitung mit voller Kraft auf den Leib. Doch diese Händel gehn Dich nichts an, die Russen und Buonaparte aber viel. …
Wenn doch Tischbein recht früh, im November schon käme und Dein Bild noch fertig machte.
Die Schillern ist an einem Nervenfieber im Wochenbett so krank, daß der Arzt sie schon aufgegeben hat.
Grosmutter hat wieder geschrieben. Ich bin stark willens Dich hier confirmiren zu lassen mit der Luise Seidler.
Also dick wirst Du, mein schlankes Kind, o das ist häßlich, da muß ich Dich nur dort lassen, damit Du Dich mager grämst. …
Schellings Bruder ist groß und stark und spricht dick und breit schwäbisch, Ähnlichkeit mit dem Bruder, aber doch nichts von dem geistreichen Trotz im Gesicht. Er ißt nicht bey uns, Schelling meint, so einem Bengel müßte es nicht gleich so übermäßig gut werden. …
Hab ich Dir geschrieben, daß Charlottens Kind todtkrank war, so wiße hiemit, daß es auch wieder beßer ist.
Ich werde das nächstemal der lieben Tischbein schreiben, heut ists unmöglich.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 28. Oktober 1799
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Auguste Böhmer ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Dessau · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 571‒573.
Language
  • German

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