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Caroline von Schelling to Ludwig Ferdinand Huber

[Jena] den 22 Nov. [17]99.
Schlegel ist diesen Morgen auf mehrere Tage verreißt, um Augusten wieder zu hohlen, die wir seit 8 Wochen nicht bey uns gehabt haben. Ihr Brief kam vor einigen Stunden, ich brach ihn auf, weil ich Ihre Hand erkannte und also wußte, daß ichs durfte. Nun lassen Sie mich ihn auch vorläufig beantworten, und zwar eben, damit die Antwort nur Ihren Brief gelte, denn die Rezensionen sind bis heut noch nicht erschienen, vielleicht kommen sie morgen.
Ich glaube, Therese hatte Recht. Sie mußten entweder den Antrag nicht annehmen, oder Schlegel sagen, daß Sie ihn übernehmen, da Ihr Urtheil so stand. Denn, mein lieber Huber, Sie wußten genug vom Geist oder Ungeist der Literatur Zeitung und vom jetzigen hiesigen Geist, um einzusehen, daß sie diesen grade damit in die Hände arbeiten. Persönlichkeiten abgerechnet, waren Sie das der Sache schuldig, die Sie doch hoffentlich im Ganzen mit Schlegel gemein haben, oder ich müßte nichts mehr von Ihnen wissen. Die Art tadlen, das verwechselt der gemeine Haufe mit der Sache, und in der LZ. schreibt man nur für den gemeinen Haufen. S. hat Ihnen dazu mehrmals bestimmt gesagt, wie er über dieses Institut dachte, daß er so durchaus kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Sie werden aus einen der lezten Blätter desselben sehen, daß er sich darüber, und zwar durch die jämmerliche Handlungsweise der Redaktoren getrieben, nun öffentlich erklärt hat; redlich haben Sie also dieser unredlichen clique in diesem entscheidenden Moment beygestanden. sie muß Ihnen unendlich verbunden seyn. Glauben Sie mir, mein Freund! Ihre freye Unbefangenheit des Urtheils und Geschmacks übersieht dieses Gewebe nicht; eben darum haben Sie sich damals schon bewegen lassen, Kotzebues Elendigkeit durch Ihre gutherzige Zurücknehmung Vorschub zu thun. Sie haben den ersten Schritt gethan, um diesen mit der LZ. zu verbinden, die denn nun auch, wenigstens Schütz und er, in der genauesten Coalition stehen. So hat Schlegels literarisches Benehmen schon mehrmals die auffallende Wirkung gehabt, die miserablen nahe zusammen zu drängen. Denn eben gegen ihn haben diese sich nun verbündet. Schütz hat in seinem Hause, wo Mad. Schütz halbverrückt die Minna v. Barnhelm spielte, einen Prolog im Geschmack des Kotzebueschen Stücks aufführen lassen. eben so sehen Sie nun den alten Nicolai gnädiger an, und da Sie über alles, was dieser seit Jahren geschrieben, sich zu reden schämten, zeigen Sie nun auf einmal dies Buch an, das gegen die Schlegel gerichtet ist. Es bildet sich jetzt ein allgemeiner Kampf des Guten und Schlechten, Sie kennen revoluzionäre Zeiten, und sollten an der Weise nicht krittlen. Was Sie wollen, nennt man im Politischen halbe Maaßregeln, ich gestehe, ich halte Sie, auch im politischen, für zu friedliebend, zu genau abwägend, darum haben Sie eine größere Wirkung verfehlt, die Ihnen sonst gewiß zu Gebote stand. Was ich hierüber meyne, ist gewiß nicht Liebe zum Streit. An meinen Vorstellungen, ja an meinen dringenden Bitten, hat es nicht gelegen, daß nicht die Hälfte des Anzeigers im Athenäum unterdrückt wurde. Ich habe zulezt der männlichen Gewalt nachgegeben, ich habe geschwiegen, wie ich das eben in politischen Angelegenheiten auch thun würde, im Glauben, daß, aller unsrer Vernunft zum Trotz, die Männer dieses doch besser verstehen. Jetzt da es geschehen ist, kommt es mir nothwendig vor, und wenn sich die ganze Welt dagegen auflehnte, wie es ja auch geschieht. Denn sehen Sie, mein Freund, ich kenne Schlegel – ich bin wie von meinem Leben davon überzeugt, daß nicht der Schatten eines persönlichen acharnements in ihm ist. Hat er sich denn nicht alle diese Feinde erst gemacht? Die Plattheit, die Nullität, die Unpoesie ist ihm in den Tod zuwieder. Verfolgt man die Sache, so geht es dann auch gegen die Person. Ist nicht Wielands Poesie Wielands Person? Es ist nur thörichte Weisheit beide hinterher noch trennen zu wollen. Am Privatleben eines solchen Menschen wird sich Schlegel nie vergreifen, das geht dann aus Pasquill, er selbst wird sich wahrscheinlich dergleichen gefallen lassen müssen, man wird alle Waffen gegen ihn aufbieten. Ich kenne niemand, der das ruhiger zu ertragen im Stande wäre. Sein ganzer Geist ist vorwärts gerichtet, der Wiederstand kann nur ihn mehr beflügeln. Glauben Sie doch nicht, daß er sich ernstlich mit diesen Teufeleyen abgiebt. Er lebt in ganz andern Planen. Dieses amusement wird eine Weile dauern, ist es denn vorüber, so bleibt es nicht ohne Wirkung, es ist gut gewesen, weil es zum Fortkommen gehörte. – Auch wird er sich nicht dabey aufopfern, da er noch andre als kritische Mittel in seiner Gewalt hat, um durchzudringen. Sie kennen Schlegel nicht, wenn Sie ihn an Männlichkeit mahnen, er ist Mann: frey und selbständig, wie je einer war, dazu hat ihn die Zeit gebildet. Was er zu Ihrem Brief und der Rezension sagen wird, weiß ich, was er Ihnen sagen wird, nicht; für alle Bitterkeit aber stehe ich Ihnen und versichre Sie im voraus, daß die nicht Statt finden wird, im Fall er selbst etwa nicht antworten sollte. „Die Hand aufs Herz“ und an den Kopf gelegt, würde er Ihnen erzählen, daß er im innersten Gemüth so schlecht von Wieland denkt, und ihn in einem solchen Grade für unsittlich hält, als er es noch nie öffentlich ausgesprochen hat. Und dieses auszusprechen, unter seinem eignen Namen, ist also für ihn wenigstens eben so billig und gerecht, als es für Sie ist Ihre Misbilligung am Athenäum und der Lucinde in der ALZ. unter den Schutz der Autorität [Anonymität?] auszudrücken.
Ihre psychologischen Bemerkungen über Friedrich sind wirklich eben so ungegründet. Das ist ja doch wohl psychologisch einen der Affectation, der Sucht nach Originalität zu beschuldigen. Er weiß gar nicht anders, als daß man so wunderbar ist, wie er den Menschen erscheint. Er wundert sich kindisch über unsern Wiederspruch und Kopfschütteln. Friedrich ist ein tiefsinniger, oft tiefgrübelnder, innerlich großer Mensch, der äußerlich ein Thor einhergeht. Selbst die künstliche Absichtlichkeit seiner Composizionen behandelt er mit kindlicher Zuversicht und Unbewußtheit. Er ist in Allem aufrichtig, bis in den tiefsten Grund der Seele hinein. Und da sprecht ihr nun so leichthin von Affectation, und daß der Mensch verkehrt sey, oder vielmehr sich verkehrt machen wolle – und Sie sollten doch bedenken, daß es von je der außerordentlichen Menschen Schmach gewesen ist, so auszusehen. Lucinde hätte nach meiner Meynung nicht gedruckt werden müssen, nehmlich in der Gegenwart nicht. In 50 Jahren da könt ich es leiden, daß sie vor 50 Jahren gedruckt worden wäre. Wozu hatten Sie aber nöthig sie zu rezensiren, das, dächte ich, hätte noch weit weniger geschehen müßen, zumal da sie noch nicht fertig ist.
Denken Sie nicht, daß diese Männer sich unter einander schmeicheln, und etwas weis machen: sie kennen sich, sie sagen sich ihre Wahrheiten, aber sie haben ein Ziel – und das haben sie sehr fest in den Augen. Ich könnte mir sehr den Triumpf wünschen Sie persönlich unter uns zu sehen. Es würde lebhafte prächtige beredte Disputen geben. – Was sprechen Sie von Faction? Keine Revoluzion ohne Faction, das wissen Sie, oder sind Sie plözlich so modéré geworden? Zu den Klagen gegen die LZ. und Schlegels Erklärung schließen sich Fichte und Schellings Sache und Klage unmittelbar an. Das alles wird noch viel lauter werden, und die LZ. fürchtet sich bitterlich. Sie haben das ihnen mögliche gethan, um S. Erklärung zu verhindern, die sie nun so nach Hufelandscher Art fein und hinterlistig, auch etwas langweilig beantwortet haben. Und glauben Sie denn, daß in die Sache der schlechten Schriftsteller nicht auch die hohen Häupter gemischt werden? Es ist alles geschehen, um den Herzog aufzuwiegeln, und was der nicht that, oder nicht thun konnte, wurde ihm angelogen. Und alle dies Volk wird sich nun ausgelassen über Ihre Rezeusion freuen et vous avés bien merité de la patrie! Die Redaktoren fügen sicher noch die Anmerkung hinzu, daß sie von einem Freund Schlegels sey.
Schlegel dachte Sie in aller Unschuld zu bitten, Sie möchten um der guten Sache und andrer Projekte willen nicht mehr für die ALZ. arbeiten, besonders ihnen den W. Meister nicht liefern. Er dachte sich mit Ihnen einzuverständigen. Das scheint mir nun freylich nicht mehr an seiner Stelle. Nie wird er sichs zum kleinsten Verdienst anrechnen Ihrem Willen Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, und in diesem Sinn Ihr Freund zu bleiben, wie ers bisher war, aber wie soll er es mehr werden können? Den Eifer habe ich ihm nun vorweg genommen auf alle Fälle. Die Partheylichkeit werden Sie natürlich finden, doch erinnern Sie sich, daß mich Fichtens Sache auch warm gemacht hat. Auch ist der Eifer überhaupt in mir erregt, durch die erneute Theilnehmung an den französischen Begebenheiten, besonders seit Buonaparte Consul ist. Adieu …
NB. Der Literarische Anzeiger ist zwey kleine Sachen ausgenommen ganz von W. Schlegel, also macht er freylich nicht blos halb mit.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 22. November 1799
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Ludwig Ferdinand Huber ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Stuttgart · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 577‒582.
Language
  • German

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