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Caroline von Schelling to Ludwig Ferdinand Huber

[Jena] d. 24. [-27.] Nov. [17]99.
Gestern kam die Rezension des Athenäum wirklich und wahrhaftig, und weil es eben Sontag ist und ich noch allein bin, und es gleichfals wohl seyn könnte, daß dieß das leztemal wär, wo ich offenweg mit Ihnen redete, so enthält sich Ihre alte Bekanntin desselbigen nicht. Ich bin erstaunt, tout à fait erstaunt und erfreut worden. Das haben Sie geschrieben, Huber? Nun weiß ich wenigstens, wo Sie die Idee von acharnement her haben, denn, mein Gott, Sie haben ja nie gegen den Revoluzionsallmanach mit so viel acharnement geeifert. Sie haben es ja recht persönlich angreifen wollen. Nicht genug, daß Sie das Journal verdammen, auch der Umschlag und der arme Buchhändler, der freylich mag gedacht haben eine Pfiffigkeit zu begehn, wird hereingezogen. Ich betheure Ihnen auf Ehre, daß die Anzeige von der Fortsetzung vom Buchhändler herrührt und die Schlegel selbst nicht zufrieden damit waren, Sie sich also dieser Erwähnung durchaus zu schämen haben, und sie als eine höchst unsittliche Übereilung betrachten müssen. Sie versichern in Ihrem Brief an Schlegel, Sie würden nichts bereun, das ist auch erhaben, indessen will ich doch nicht dafür stehn, daß Sie nicht ordentlich gegen die Schlegel auch einmal weichmühtig werden wie gegen den Präsidenten von Kotzebue. Gehört dazu eine persönliche Bekanntschaft mit, worauf sich jener so steifte, so ist es freylich wahr, die existirt gar nicht zwischen Schlegel und Ihnen, aber eingebildet haben Sie sich doch lebhaft, die beyden jungen Männer vor sich zu sehn. Arglos ist übrigens Schlegel auch, und hätte sich solches wahrlich nicht versehn. Nie würde er, ohngeachtet Ihr Styl Sie bezeichnet, darauf gekommen seyn, daß diese tückische Anzeigen von Ihnen herrührten. Und das haben Sie wirklich so ohne Nahmen lassen wollen? Was konnte Schlegels lezter Brief an Sie, der, so viel ich weiß, gar nichts spezielles enthielt, darin für eine Änderung hervorbringen, daß Sie es nun jetzt erst als eine „schändliche Heucheley“ ansehn? Vorher haben Sie ihn eben so gut gekannt, vorher haben Sie ihn geachtet, wie Sie ja selber sagen (hätten Sie es nicht gethan, so wäre die Schuld auf Ihrer Seite), vorher habt ihr euch über Gegenstände geschrieben, an denen Sie seine Denkart hätten ermessen können, und Schlegel ist stets, durch meine Vorneigung für Sie, freundlich bis zur Partheylichkeit gegen Sie gewesen und hätte Ihnen gern allen möglichen Vorschub geleistet, wie er unter andern die Anzeige der Klio, die Sie einmal wünschten, und mehreres wie für einen Freund betrieben hat. Wenn er kommt und ich ihm diese Herrlichkeiten vorlege – wie wird er aus den Wolken fallen und glauben, er wär noch schwindlicht von den bösen Wegen. Vor seiner Wehmuth können Sie indessen sicher seyn, er braucht sich auch nicht erst einen Muthwillen zu machen, um über Ihre „Grundsäze“, die den Schriftsteller von der Person so glücklich trennen, hinwegzugehn, der ist schon ganz fertig, denn er besitzt tout de bon eine ganze Menge Muthwillen. Und hier hat er gutes Spiel, denn worüber ich mich, wie eben gesagt, erfreute, wird ihn doch auch ergötzen, nehmlich, daß die Rezension – nicht besser ist. In der That hätten Sie auch aus andern als den ganz gemeinen loyalen Gründen, daß man einen guten Bekannten und rechtlichen Menschen nicht hinterrücks anfällt, die aber von Ihren Grundsätzen übertäubt worden sind – die Rezension nicht übernehmen sollen; Sie musten selbst wissen, daß es Ihnen an Kenntnissen fehlte – was niemand entehrt. Schlegel, dem dieses bekannt war, hatte darum nie als Rezensenten auf Sie gedacht, da ihm die ALZ. einmal sagte, selbst einen vorzuschlagen. In jener Zeitschrift, die sehr zufällig als Zeitschrift erschien, woran Sie sich doch so besonders hängen, ist von Philosophie, Kunst, sowohl bildender als Kunst überhaupt und dem Alterthum die Rede. Sie wissen viel besser, wie ich es Ihnen sagen könnte, daß Sie dieses alles nur sehr oberflächlich kennen, Philosophie ganz und gar nicht, die Kunst sehr verworren – selbst die Poesie ist Ihnen nie als freye Kunst erschienen. Einer Bekanntschaft mit dem Alterthum können Sie sich keineswegs rühmen, die Schlegels beyde in so hohen Grade haben – es ist mir noch errinnerlich, daß Sie das Griechische völlig vernachläßigt hatten, blos als Sprache genommen – und Sie schreiben oft in Ihrer eignen Sprache so, daß man zweifeln könnte, ob Sie die Härten und das Hammerwerk richtig zu beurtheilen im Stande wären. Also da dieses alles fehlte, warum vollbrachten Sie denn die Arbeit? Darüber giebt Ihr Brief Licht – wo die Kentnisse mangelten, sollte es der Karakter thun, mit der Charakterstärke, die Sie Schlegel bitten vorwalten zu lassen, wollten Sie die Schlegels bezwingen, die Ihren Unwillen rege gemacht hatten. Dazu glaubten Sie sich berufen, statt eines schlechteren etwa, das edle Organ des gesammten Unwillens vom heiligen Volke von Athen zu werden. Wie heiß werden Ihnen auch Böttiger, Kotzebue, die ALZ., Nicolai u. u. samt allen Gegnern Fichtens und alles, was Höfen und Fürsten anhängt, dafür danken. – Der Almanach-Reichardt selber könnte sich wieder geneigt fühlen sich Ihnen anzuschließen. Eben darin liegt der Irthum, daß Sie das Bemühn der Schlegel blos als Factions Sache ansehn – ständen Sie näher, so würden Sie die Größe der Massen besser erkennen. Ich habe Ihnen das schon gesagt, es ist ein allgemeiner Kampf. Die Minorität ist allerdings so eingeschränkt wie die Majorität ausgebreitet – ständen die Schlegels aber auch eine Weile ganz allein, was sie doch nicht thun, so würde mir nicht bange. Ich habe Ihnen neulich nur leichtsinnig hin über Ihre Factionenscheue gesprochen – die Wahrheit ist: das Große soll nie Faction seyn, aber man bringt es nicht ohne diese, wenigstens ohne den Anschein davon zu Stande. Das konten Sie einsehn, und Ihr öffentliches Hinweisen auf Faction ist nicht anders und sieht, wie manche andre Züge, eben so lediglich dazu da, das Publikum noch mehr aufzuwiegeln (statt daß Sie, um im Charakter zu bleiben, es ja hätten zu befänftigen suchen sollen) als Kotzebues Jakobinerwinke. Wären Sie als ein simpler Rezensent verfahren, so hätten Sie sich nicht blos an diese Ihre Voraussetzungen, und das so persönlich, gehalten. Worauf jene sich irgend gründen konnten, macht nur einen so kleinen Theil des Athenäum aus. Sie hätten den sonstigen Inhalt ordentlich dargelegt, über den Sie nur gelegentlich hinwegschlüpfen, man begreift freylich warum. – Ja ich weiß nicht, wie Sie Kotzebues Comödie, und besonders die Aufführung „höchst schändlich“ nennen können – die ist doch ganz offen als eine honette Rache betrieben, derweil Ihre moralische Heldenthat nur zufällig ans Licht kam. In so fern Sie Würde mehr haben, sind Sie auch den Schlegels weit, weit unwürdiger begegnet. Daß ich Sie demohngeachtet nicht einen Augenblick für wirklich tückisch und hinterlistig halte, können Sie mir zutraun. Sie haben mich gewaltig irre gemacht, aber nicht von der Seite Ihres reinsten Willens – es ist blos, daß Sie ein wenig ungeschickt in der Qualität einer rächenden Gottheit dazwischen getreten sind, und sich nicht einbilden können, daß andre, die sich gar nicht auf ihren Charakter berufen, auch einen haben, mit dem es keineswegs ein Spaß ist.
Das graue Haupt des alten Wieland ist besonders recht pathetisch und wird das Mitgefühl in Aufruhr setzen. Wie ist Ihnen das nur auf einmal so gekommen? ich habe Sie gar anders reden hören, und wenn ich nicht irre, haben Sie sogar ganz leise anders geschrieben. Das graue Haupt und wohlerworbne Lorbern müssen sich zuvor selbst ehren. Dieser Wieland, der als Jüngling wie ein altes Weib sprach, schimpft nun als alter Mann wie ein ungezogner Junge auf alles, was um ihn herum groß ist und er nicht versteht – auf die Revolution, auf die Philosophie usw. Sie würden sich wohl gar selbst daran ärgern. Immer habt Ihr den Lessing bey der Hand – hat Lessing wohl anders von Wieland gesprochen? Denken Sie an das Trauerspiel von der Joh. Gray usw.
Ich mag nicht tiefer in den Text kommen – ich weiß blutwenig von der Literargeschichte – sehe nur, was jetzt vorgeht – habe mein Tag Wieland nicht respektirt – er schien mir die Sittlichkeit schlecht zu verstehn und die Sinnlichkeit oben drein. Wie es die Schlegels betreiben, das weiß ich, und daß sie dabey vor sich selber und so Gott will auch einmal vor der Welt bestehn können, und somit wird Ihr Strafgericht schon seine gewiesenen Wege gehn. Das der Lucinde steht uns noch bevor. Möge der Himmel und das Publikum Ihnen alles zu Gute kommen lassen! – Noch das Wort im Ernst, alles, was in mir für Sie und Therese spricht, kann Ihnen nicht verzeihn, daß Sie ein Verständniß, was sich in der Folge noch so schön hätte bilden können, da selbst unser persönliches Zusammentreffen allen Aussichten nach in den nächsten Sommer fiel, so übereilt zerstört haben. Das war recht dumm von Ihnen, lieber Huber. Leben Sie wohl. Lebe wohl, Therese.
d. 27 Nov.
Schlegel kam gestern Abend zurück und hat kaum noch Zeit gehabt sich das alles recht anzusehn. Er läßt Sie grüßen, wie es ihm jetzt vorkomt, ist weiter nichts zu erwiedern nöthig. Sollte er es noch anders befinden, so müßt es freylich nur öffentlich und mit Nennung Ihres Nahmens geschehn, und dann würd er es Ihnen vorher zu wissen thun.
Metadata Concerning Header
  • Date: 24. November 1799
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Ludwig Ferdinand Huber ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Stuttgart · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 582‒587.
Language
  • German

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