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Caroline von Schelling to Johann Diederich Gries

Jena d 27 Dez. [17]99.
Es war mein bester Wille Ihnen zum Weinachten an Sie zu schreiben, aber er ist so geschwind herbey kommen, daß ich es nun mir zum Weinachten thue. Da ich auch so unbillig lange gewartet habe, so ist es nicht mehr als billig, daß ich mir gar nicht mehr anmaße, Ihnen damit ein Vergnügen zu machen, und nur froh bin, wenn Sie dieses ohne Groll lesen wollen. Ich bin in mich gegangen, daß es nicht recht ist nur mit den anwesenden Freunden zu schwatzen, Steffens ist der Busprediger geworden. Seit dem ersten Festage ist er hier und leistet uns in dieser wiederkehrenden harten Kälte Gesellschaft. Wir sind keine Thoren und fahren so viel im Schlitten wie voriges Jahr nie, ich habe vor den Ofen in der großen Stube noch ein zweites kleines Sopha gesetzt, und da würden wir gar nicht wegkommen, wenn unser armer Tiek nicht seit 3 Wochen an Rheumatismen litte und uns so manchen Abend eine Völkerwanderung nöthig machte.
Es ist ganz prächtig, daß mit unsrer Existenz manchmal so plözliche Umwandlungen vorgehn. So sieht unsre winterliche Geselligkeit ganz anders aus als unsre sommerliche. Sie ist wie das, was zurückbleibt, wenn der Wein ins Frieren gekommen ist. (Wer könnte jetzt seine Gleichnisse wo anders hernehmen als von Eis und Feuer?) Wir sehn fast niemand außer uns, die bloßen Bekannten haben sich ziemlich von den Freunden geschieden. Seit Schlegels Bruch mit der ALZ. sehn wir selbst unsre nächsten Nachbarn nicht mehr. – Ich stelle mir vor, lieber Gries, wenn Sie so von uns hören, Sie schlagen jedes mal die Hände über den Kopf zusammen. Es sind allerley wunderbare Dinge vorgegangen. Über das lezte Athenäum haben Sie Ihr besorglich Haupt nicht vergebens geschüttelt, es hat eine Wirkung gehabt, daß wir alle Tage neue Mährchen davon zu hören bekommen, und so im nordlichen Deutschland spricht man vielleicht nur in Göttingen wenig davon. – Wenn ich Ihnen von unsrer Lage Bericht geben will, so muß ich dieß wohl berühren, doch würd es Ihnen und mir langweilig seyn viel davon zu erzählen. Nur wegen der LZ. einige Aufklärung. Der Abschied von derselben hat sich schon seit einen Jahr vorbereitet und nur die persönliche Verbindung mit den Redaktoren hat ihn verzögert. Jetzt waren aber der Beschwerden (in Verbindung mit Schelling und andern) so viel geworden, daß ich es nicht mehr wagte Schlegeln ein bischen um Glimpf zu bitten. Er hatte seiner eignen Würde genug zu thun. Seine Erklärung ist buchstäblich auf die wahre Beschaffenheit der Sache gegründet. Die feige und hinterlistige Antwort der Redaktoren müßte das schon genugsam ins Licht setzen, wenn sich die Leute nicht durch den anscheinend moderaten Ton eines wohllöblichen Instituts verblenden ließen, und es nicht überhaupt an der Zeit wär, die Schlegel zu detestiren. – Schlegel hat seine Erklärung Huflanden mündlich angekündigt, der darauf noch einen Schritt nach seiner Weise that um sie zu verhindern. Er wußte nehmlich, daß Schlegel vor mehr als zwey Jahren eine Rezension geschrieben hat, von der er nicht gern als Verfasser bekamnt seyn wollte, weil er einige Zeit darauf mit dem Rezensirten persönlich bekannt und Freund wurde, und zwar über seine Werke nicht anders denkt, aber die Verbindung ihm doch werth ist. Er schrieb also an Schlegel – sie würden in ihrer Antwort alle seine Rezensionen nahmhaft machen, dies sey die unerlaßliche Bedingung, unter der sie seine Erklärung aufnähmen. Da ihnen nun Schlegel sehr ruhig erwiederte, sie möchten dieses auf ihre Gefahr thun, indem andre Mitarbeiter sehn würden, wie weit sie sich auf den Contrakt mit ihnen verlassen könnten – er habe übrigens die Nennung seiner Rezensionen nicht zu scheun und könnte sie sich wohl selbst vorbehalten haben – so unterliesen sie dieses, wirkten aber in ihre Antwort Andeutungen ein, als ob irgend eine Ursach vorhanden sey, die Schlegel zum Stilleseyn nöthigte. Schlegel wird im nächsten Stück des Athenäums statt aller übrigen Fehde mit der ALZ., durch die er sich jetzt die Zeit nicht verderben will, seine Rezensionen nennen. – Überhaupt wird sich Schlegel in keine Repliken einlassen, aber nach wie vor sein freymüthig Urtheil üben. – Unter die vielen Geschwätze gehört auch, daß der Herzog sich in die Sache gemischt und Schlegeln eben das freymüthige Urtheil untersagt haben soll. An allem diesen ist nichts. Wenn sich auch der Herzog aufhetzen ließe, so würde Goethe es ihm wohl misrathen. Goethe hat sich in diesen Dingen äußerst freundschaftlich bewiesen. Er hat sich mit Rath und That tief in alles eingelassen und stimmt Schlegeln auch völlig bey, was die LZ. betrift. Ehe Schiller Jena verließ, war G. noch 4 Wochen hier, selbst nach Schillers Abreise noch und hat auch versprochen wieder zu kommen. Schiller wohnt diesen Winter in Weimar, wie Sie vielleicht erfahren haben. Sie hat sich sehr langsam von ihren Wochen erholt und war in einen völligen Wahnsinn verfallen, wobey Schiller eine traurige Zeit verlebt hat.
Das lustigste bey jener Angelegenheit ist nun die Rezension des Athenäum in der LZ. Wer hätte sich solches träumen lassen? Sie ist von Huber, wie Sie wohl dem Styl, aber nicht der übrigen Wahrscheinlichkeit nach hätten errathen können. Hubern hat die alte demangeaison des Heimlichen Gerichts überfallen – er hat seit 6 Jahren nichts von der Literatur vernommen – nun kommt ihm das Athenäum in die Hände, worüber er ganz erstaunt und über solche Kühnheit und Paradoxie in heiligen Unwillen geräth. Seinem Charakter nach glaubt er sich nun von Gott berufen diesen Unwesen zu steuern. Gleich nachher aber fällt ihm auf, daß er doch in einiger Verbindung mit Schlegel steht und dieser Ausfall also gleichsam ein bösliches Ansehn gewinnen könnte. Ehe also die Rezension noch abgedruckt war, kam ein Brief von ihm, worinn er sich grosmüthig dazu bekennt, die Schlegel ermahnt von ihrem verkehrten Wege abzulassen, Schlegeln bittet die Hand aufs Herz des alten Wieland wegen zu legen – übrigens bekennt, er stände weit unter den Schlegels, was Kenntnisse und dergleiche gemeine Vorzüge beträf, aber sein Charakter eben, und die Unpartheylichkeit, die hätten ihn zu diesem Schritt vermocht.
Schlegel war eben verreißt, wie dieses Sendschreiben kam. Er holte Augusten von Dessau ab. Ich eröfnete es und nahm mir auch die Freyheit gleich auf der Stelle es als seine alte Bekantin zu beantworten, da gar wohl bekant ist, daß Herr Huber nicht ein einziges Erforderniß besaß, das Athenäum nur zu rezensiren, indem er nicht den geringsten Begriff von den Dingen hat, die das Athenäum enthält als Philosophie, Kunst, Alterthumskunde usw. (Es war von den Redaktoren schon deswegen höchst ungeschickt es ihm zu geben.) Auch ist in der Rezension auch wirklich ja gar nicht vom Inhalt die Rede. – Wie Schlegel zu Haus kam, hat er sehr gelacht und war gleich entschlossen Hubern laufen zu lassen wie die andern auch. Wie denn die Albernheit aber auch zugleich ein Stück Schlechtigkeit begehn muß, so hat er nun den Hyperboreischen Esel als Rache für meinen Brief auch in der ALZ. angezeigt. Sie werden sehn, wie, und die Lucinde steht uns noch bevor. Schlegel hatte ihm bis jetzt gar nicht geantwortet, aber nun hat er sich den Spaß eben heute gemacht, und es ist schade, daß Sie nicht ein wenig herkommen können um sich daran – wie an einen noch lustigern Produkt des heutigen Tages – zu ergötzen, nehmlich einen Wettgesang drey beliebter Dichter, die Sie sich ausdenken mögen. Ich lege Ihnen hier etwas anders bey, über das Sie sich das Haar sträuben lassen mögen. Der Merkel hatte, durch Bötticher angestiftet, in Berlin das Gerücht mit dem Herzog geflissentlich ausgebreitet, so daß Schlegel genöthigt war ihm ein förmliches dementi zu geben. Nun machten Tiek und Wilhelm an einen unvergeßlichen frölichen Abend dieses geschwänzte Spottsonnet zusammen, ließen es zierlich drucken, und so wurde es nach Berlin spedirt, aber nicht etwa Merkeln zugeschickt. Der Zufall benahm sich besser – es kommt jemand an eine table d’hote, wo Merkel ist, den er nicht kennt, und ließt dieses Sonnet vor, worauf Merkel das Ende der Mahlzeit nicht abwartet. Ich hoffe, Sie werden es für ein Meisterstück in dieser Gattung halten, wenn Sie auch sonst des Muthwillens zu viel finden sollten. – Um am Tanz Freude zu finden muß man mitten auf dem Plaz stehn und sich durch die rasche Musik fortreißen lassen. Wenigstens hätten Sie zusehn müssen, wie dieses Sonnet gemacht wurde – nur die Götter haben so zu Homers Zeiten gelacht.
Daneben hat Schlegel einige sehr herrliche Gedichte erschaffen, unter andern ein langes in Stanzen, der Bund der Kirche mit den Künsten, was uns alle nebst dem alten Meister als ein Meisterstück entzückt hat. Tiek hat ein Trauerspiel Genovefa gemacht, worinn er alles verdunkelt, was er bis jetzt dichtete. Sie haben es auf Ostern zu erwarten. Für die Zeit verspricht Ihnen Schlegel auch die Sammlung seiner Gedichte, die bey Cotta herauskommt.
Sie waren sehr begierig auf das überflüssige Taschenbuch. Nun was läßt sich mehr davon sagen, als daß es überflüssig ist? – Schillers Allmanach ist mir auch ziemlich geschwind wieder aus dem Gedächtniß gekommen. Die Glocke hat uns an einen schönen Mittag mit Lachen vom Tisch weg fast unter den Tisch gebracht. Die ließe sich herrlich parodiren.
Auguste ist seit 5 Wochen wieder hier und Tischbeins in Dresden. Mit Augusten ist kürzlich eine große Catastrophe vorgefallen, die Steffens besonders amüsirt hat. Sie ist eine junge artige allerliebste Christin geworden. Man hat ihr in aller Eil die gehörigen Dogmen beygebracht; der Geistliche hat sie examinirt, confirmirt, und ihre Lippen haben den Leib des Herrn berührt. Sie läßt Sie als einen Mitchristen grüßen. Ihre Stimme muß sehr geschont werden, aber in der Musik hat sie zugenommen, und übt sich auch mehr wie sonst. Die musikalische ist die einzige Seite, von der wir den Umgang der Nachbarin vermissen können. Übrigens ist die Aufhebung des Umgangs nicht unsre Schuld, das heißt nicht meine Schuld. Da sich die Hufeland um literarische Sachen gar nicht bekümmert, so glaubte ich, wir könnten nach wie vor von Moden, Bällen und Familienangelegenheiten sprechen – auch sie schien dieß anfangs zu wollen, bis es ihnen plözlich anders einfiel, und sie Krämpfe bekam, wie ich einmal ihr unerwartet ohne Arges hinüberlief. Ich konnte nichts weiter thun und gestehe auch, daß es mich manches Zeitverlustes überhebt, sie nicht mehr zu sehn, und mir besonders für Auguste lieb ist, die ihre Zeit dort nicht blos verlor, sondern verdarb. Steffens ist gar nicht hingegangen. Loders und alle andern sehe ich noch zuweilen.
Die Weinachtsbescheerung ist recht brillant gewesen – wir haben uns alle untereinander mit artigen Kleinigkeiten und artigen Versen beschenkt, Steffens kam eben dazu an. Da ich weiß, daß Schellings Poesie bey dieser Gelegenheit Sie am meisten interressiren wird, so schreibe ich Ihnen die Stanze ab, mit der er eine grüne elastische Schärpe für Auguste begleitete.
Laß dieses Band den holden Leib umfangen
Elastisch, wie was über ihm sich regt;
Indeß manch Herz voll Bangen und Verlangen
Dir insgeheim und still entgegenschlägt,
Färbt doch nur Einer dir die zarten Wangen,
Den fern von dir des Schicksals Fittig trägt;
Laß nie der Hofnung süßes Grün ersterben
Und, wers verdient, das Himmelreich erwerben.
(Der Entfernte sollte Steffens seyn, und es war uns also ein großer Spaß, wie ihn des Schicksals Fittig just dazu herführte.)
Ich will Ihnen auch die Zeilen nicht vorenthalten, in die ein paar Armbänder für mich gewickelt waren – Sie hätten sie ja doch gelesen, wenn Sie hier gewesen wären.
Nach goldnen Äpfeln in silbernen Schalen,
Wie man uns thut die Weisheit mahlen,
Kann wahrlich mir das Herz nicht hangen,
Wornach ich weit mehr könt’ verlangen
Sind silberne Arme mit goldnen Spangen.
Hier haben Sie nun meinen recht historischen Brief. Diese Menge Stoffs mußt ich erst aus dem Wege räumen um zu einem raisonnirenden zu gelangen.
Noch eins – Jacobi hat sich doch sehr schlecht bey dem Abdruck seines Briefes an Fichte genommen – in der Vorrede hat er entkräftet was drinne kräftiges für Fichte steht, der auch sehr unzufrieden ist und an einer Antwort arbeitet. Er ist jetzt hier, geht aber bald mit seiner Frau nach Berlin zurück.
Alles grüßt Sie. Schlegel behält sich das Schreiben vor. Auch Schelling spricht davon, und zwar als wenn er es wirklich thun wollte und würde. Leben Sie recht sehr wohl.
Caroline S.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 27. Dezember 1799
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Johann Diederich Gries ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Göttingen · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 587‒594.
Language
  • German

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