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Caroline von Schelling to Luise Gotter

Braunschweig d. 24 Nov. 1800.
Vergieb mir, meine Freundinn, daß ich euch noch nicht einen einzigen Gruß zurückgesendet habe. Du würdest mir freylich leichter verzeihn, als Dich beruhigen, wenn Du wüßtest, wie ich verhindert worden bin, durch so mancherley Leibes und Seelenzustände. Unsres Reiseplans erinnerst Du Dich wohl noch. Wir kamen mit Mühseeligkeit nach Göttingen, denn euer Kutscher und euer mareschino haben nicht das mindeste Feuer. Sonst ist alles lieb und gut an euch, und ich habe einen recht sanften und wohlthätigen Eindruck mit hinweggenommen. Besonders haben mir Deine Kinder mehr Freude wie jemals gemacht. – In Goettingen blieb ich drittehalb Tage, die mir sehr schwer wurden, ich litt auch schon an Verkältungsschmerzen. Eine kleine Zerstreuung gewährte mir des Neapolitaner Tischbeins Bekanntschaft, der uns viel merkwürdiges drollich erzählt hat, und auch gezeigt. Nun ließ ich Schlegel dort und fuhr hieher, froh endlich einiger Ruhe zu genießen, die mein Körper sehr bedurfte. Denn kaum war ich im Stande unsrer Abrede gemäß, Schlegeln nach Söder, dem Gut des Hrn. von Brabeck, von dem wir eine Einladung in Göttingen vorfanden, entgegen zu kommen. Ich bekam die Nacht vorher einen heftigen Durchfall, doch war mein Verlangen einmal wieder herrliche Kunstwerke zu sehn groß genug, um mich dennoch mit Wiedemann auf den Weg zu machen. Gegen Abend erreichten wir den Landsitz und fanden Schlegel schon, der von Hannover aus hingekommen war. Wir wurden sehr günstig empfangen von Hrn. und Frau von Brabeck und bey ihnen einlogirt, ich war aber den Abend immer einer Ohnmacht nahe. Die Nacht stellte mich einigermaßen her, und ich konte die zwey nächsten Tage mit hellern Augen alles das Schöne genießen. Die Gemäldesammlung ist vortreflich, er hat Sachen von der höchsten Schönheit und eigentlich gar nichts mittelmäßiges. Die Einrichtung des Hauses ist in einem sehr reinen Geschmack und eine heitre Fassung gleichsam für die Kleinode der Kunst, welche er besitzt. Wir brachten die Zeit wie in einen Feenschlosse hin, und wie außer der Welt von Schmerzen, in der ich meine Heymath habe. – Vielleicht kannst Du Dir eine Beschreibung von Söder verschaffen, entweder französisch Soeder par Roland oder die Übersetzung. Die Erwartung, die durch sie bei uns erregt war, ist wirklich übertroffen worden, ungeachtet jenes Werk ganz lobpreisend ist. Man müßte und brauchte viel sparsamer zu preisen und könte doch eine reizendere Vorstellung, gewiß eine geistreichere von diesem Aufenthalt entwerfen.
Kaum war ich wieder hier, so mußt sich auch büßen, ich bekam erst einen leichten Anfall, und vor 14 Tagen einen viel ernsthafteren, wo gewiß wieder gleich ein Nervenfieber da gewesen wär, wenn man mich so behandelt hätte wie im Frühjahr. Unter diesen Umständen ist Schlegel bey mir geblieben, und die Zeit seines Weggehns ist auch noch nicht bestimmt. Ich kann das Haus nicht verlassen, kaum das Zimmer. Einige Versuche in das französische Schauspiel zu gehn (das heißt zu fahren), das sich hier aus einigen Mitgliedern des Hamburger französischen Theaters gebildet hat, waren mir Anfangs gleich übel bekommen, und ich habe also auch diese kleine Zerstreuung aufgegeben. Außer Campens und Viewegs und einigen Freunden meiner Schwester habe ich niemand von den alten Bekannten besuchen können und mögen. Du kanst leicht denken, daß ich mich übrigens in der liebreichsten mütterlichen und schwesterlichen Pflege befinde. Die Kinder von Luisen sind erfreuliche Geschöpfe, der Knabe besonders sehr schön und stark. Die Grosmutter lebt durch sie recht in der Gegenwart, und hat wohl nicht so heftig empfunden, was ich verlohren habe. Sie fühlt es wenigstens mehr als mein Unglück als wie den Verlust des himmlischen Wesens selbst. Von euch weiß ich, daß ihr nicht allein über mich, sondern mit mir trauert, und gern, gern werde ich immer zu euch zurückkehren, denn ihr werdet sie nicht vergessen. Ich habe noch immer das große Bild nicht von Tischbeins, auch die Zeichnung ließ ich in Goettingen und sehne mich unbeschreiblich danach.
Schlegel hat hier den Kotzebutzbau fertig gemacht. Zu 14 Tagen wird er gedruckt seyn und ich schicke Dir ein Exemplar. – Hiebey erinnre ich mich Deines Wunsches wegen Goeschen. Liebe Freundin, wolltest Du nicht selbst an ihn schreiben, Du weißt ja die Feder wohl zu führen, und mir würde es ein recht schwerer Brief werden, weil ich, so wie ich mit Goeschens bin, nicht von mir schweigen kann, und ihnen doch so lange nichts von mir gesagt habe. Auch giltst Du gewiß so viel und mehr bei ihm als wir, da er die Parthey gegen Schlegel mit großen Eifer ergriffen hat. Schlägt er Dirs ab, so hätte er es sicher auch mir abgeschlagen. Thue das nun gleich, damit man etwa nachher andre Maasregeln noch ergreift.
[Besorgung.] Mutter Schläger grüße herzlich. – Ich fand Briefe von meinem Bruder Philipp, die mich aufs dringendste nach Harburg einladen, er wollte mich von Zelle abholen und mir nachher auch Hamburg zeigen, aber ich kann jetzt nicht daran denken. Sollte ich aber nach Zelle kommen, so besuche ich auch die Chanoinesse in Wienhausen. Grüße alle die Deinigen. Schlegel denkt mit großer Zuneigung an Julien und mit herzlicher Freundschaft an euch alle.
Deine Caroline.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 24. November 1800
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Luise Gotter
  • Place of Dispatch: Braunschweig · ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 2. Leipzig 1913, S. 16‒19.
Language
  • German

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