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Caroline von Schelling to Julie Gotter

[Berlin] 24 Aprill [1802].
Glaube nicht, liebes Julchen, daß ich nicht mehr meiner getreuen Gefährtin gedenke, weil ich noch nicht schrieb, aber Du würdest mich entschuldigen, wenn Du wüstest, wie sehr meine körperliche Schwäche hier gegen die größern Anstrengungen und den Mangel an Ruhe ankämpft. Fast ist das Wagstück zu groß für mich gewesen, und ich sehne mich herzlich nach meiner stillen Existenz zurück. Nun kommt noch dazu, daß auch die hiesigen Freunde in Sorgen und Noth sind; innerhalb dieser lezten 8 Tage sind die beyden alten Tieks gestorben, die Mutter zuerst, der Vater hielt sich bis über das Begräbniß hin, dann legte er sich an der nehmlichen Krankheit nieder und starb in der lezten Nacht. Diese Erschütterungen setzen die Bernhardi (welche eine vortrefliche Frau ist) in Gefahr, sie ist schwanger, ist überhaupt sehr kränklich und hat vor kurzem auch das Kind verlohren. Ich suche mich nur leidlich gesund zu erhalten, es wäre schrecklich, wenn ich hier krank würde. Glücklich sind die, welche sich über Leben und Sterben noch grämen können. – Ob Schelling noch herkomt, ist mir in diesem Augenblick noch unbekannt. Schlegeln greift das alles auch sehr an, der als der treuste der Freunde stets in seinen Freunden lebt. – Müssig war ich indeß nicht ganz für Cäciliens Interresse, Bernhardi ging auf ein paar Tage nach Dresden, dem gab ich einen Brief an Mad. Rehkopf mit. [Pensionsfrage.] Mir thut es sehr weh, daß nichts recht glücken will, ich bin es freylich gewohnt, es müste denn doch durchgesetzt werden können, wenn Cäcilie Muth behält, schreibt mir darüber. Tiek nennt Hartmann als den leitenden Mahler. Ich habe selbst diese Nachrichten erst gestern erhalten und noch nicht Zeit gehabt mich ferner zu bedenken. Der Bildhauer hat hier vortrefliche Büsten gemacht und zeigt sich als der vortreflichste Sohn und liebendste Bruder; er läßt Julchen grüßen. Das neueste ist, daß Friedrich Schlegel die Veit heyrathet, schreibe, ehlichet, und mit ihr nach Paris geht. Wie und warum und wo die Möglichkeit herkommt, da es die Götter nicht wissen, wird es wohl den Teufeln bekannt seyn. – Daß ich hier viel Zerstreuung habe, wie mans nennt, erwähne ich im Ganzen, im Einzelnen ist es für jetzt nicht thunlich. Wir haben viel Spaß schon gehabt, unter andern hat Merkel einmal neben mir bey einem Souper gesessen und mir die Cour gemacht. Übrigens misfällt mir Berlin gänzlich. Lebe wohl, liebes Kind, und grüß die Deinigen. Meine Adresse ist Lindenstraße Nr. 66.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 24. April 1802
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: Julie Gotter
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gotha · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 2. Leipzig 1913, S. 325‒327.
Language
  • German

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