Lieber Selmar.
Wenn ich nicht Deinen Namen kürzlich unter dem Zöllnerschen Protokoll in der Berliner Monatsschrift gefunden hätte, und noch später von Schlesien aus versichert worden wäre, daß Du Dich wirklich noch in Berlin befändest, so würd’ ich mich in der That jezt nicht hinsezen um noch einmal an Dich zu schreiben. Ich fieng schon an zu glauben, daß Du entweder sehr plözlich in Dein Vaterland abgerufen worden, oder – absit omen – vielleicht gar in das bessere Vaterland, wenn es wirklich ein solches gibt, habest reisen müßen. Zwischen diesen zwei traurigen Gedanken schwankte ich unschlüßig herum und fieng wirklich schon an von Herzen um Dich zu trauren; ich bedauerte Dich, mich selbst, Deine Freunde und Freundinnen und den ganzen Parnaß. Du kanst leicht denken, wie viel Freude mir durch jene Nachrichten geworden ist. Aber in der That, mein Bester, Du hast es ein bischen zu arg gemacht: einen alten Freund, von dem Du weißt, wie sehr Dein Wolwollen zu seinen Bedürfnißen gehört, vier ganzer Monate in einer so traurigen Ungewißheit zu laßen. Ich bescheide mich zwar gern, daß Du in Berlin, mit Gesellschaften und Geschäften überhäuft, wenig Zeit zu Deinem großen Briefwechsel übrig behalten habest; ich räume Dir ferner ungefragt ein, daß ich unter allen Deinen Correspondenten derjenige bin der am ersten ohne sonderlichen Schaden hintan gesezt werden konnte, aber eben deswegen mache ich auch keine Ansprüche, als nur auf ein paar Zeilen, die unter den übrigen in ein paar Minuten ausgefer | tigt werden konnten, aber auch diese hast Du mir nicht gegönnt. Ich sinne herum mit was für TodtSünden ich es verdient habe, daß mir der Himmel eine so harte Strafe zuschikt, aber mein Gewissen ist in diesem Stük so stumm, wie ein Fisch. Wenn man freilich bei unserm Briefwechsel blos auf den Gewinn sieht den jeder Theil aus den Nachrichten und Gedanken des andern zieht, so wäre es sehr natürlich, daß Du dies Commercium wobei die Bilanz gänzlich zu Deinem Nachtheil ist, mit gutem Vorsaz aufgegeben habest; aber das läßt sich gar nicht denken; ich weiß zu gut, daß die Vorstellung zu dem Glük eines andern etwas beigetragen zu haben bei Dir von sehr großem Gewicht ist. Ich bin nun mit meinen Erklärungshypothesen zu Ende ohne etwas ausgerichtet zu haben und muß es Dir selbst überlaßen die Sache aufzuklären.
Meine Schlesischen Nachrichten besagen leider auch, daß Du gesonnen wärest, nach Ostern nach Schweden zu reisen und ich eile desto mehr damit Dich dieser Brief noch antreffe. Wenn dies Gerücht, woran ich jedoch noch nicht den rechten Glauben habe, gegründet seyn sollte, so würde mir es doppelt leid thun daß sich, durch das fatale verlorengehn eines mir wichtigen Briefes meine Reise nach Berlin um einige Zeit verzögert hat und nun wohl erst drei oder vier Wochen nach Ostern vor sich gehn wird. Welch häßlicher Streich vom Schiksal wenn es mich dadurch um das so sehnlich gewünschte Vergnügen dich noch einmal zu sehn betrogen hätte; allein ich hoffe noch immer daß diese Zusammenkunft auf eine oder die andre Art erfolgen soll – entweder Du reisest nicht so bald, oder Dein Weg führt Dich über Frankfurt und Du bist so gut und läßt mich dieses wißen
Du kanst versichert seyn daß ich – so schlecht es auch um meinen Beutel aussieht – einige Thaler nicht ansehn und heute noch nach Berlin eilen würde, wenn dies nicht gewißer | Umstände wegen, die zu weitläuftig sind, als daß ich sie Dir hier auseinander sezen könnte, für mich von gar zu nachtheiligen Folgen für die Zukunft wäre. Wenn es Dir irgend möglich ist und Du an meiner Ruhe und Zufriedenheit noch einigen Antheil nimmst, so laß mich bald, recht bald erfahren, wie es eigentlich um Dich steht und benimm mir die Hofnung nicht, auch in Schweden noch in einigem Zusammenhang zu bleiben. Vielleicht kann Dir – da ich nun auch in eine andre und vortheilhaftere Lage zu kommen denke – jenseit der OstSee mein Briefwechsel in literarischer Rüksicht nicht ganz unnüz seyn.
Wie ich aus der Berliner MonatsSchrift gesehn habe ist Niemeyer in Berlin gewesen und wenn er seine kleine Agnes mitgehabt haben sollte so wird Dir dies einige sehr glükliche und frohe Stunden gemacht haben – Ich werde dieser Tage an Beyer schreiben und da ich nicht weiß ob er seit eurer lezten Zusammenkunft in Jena etwas von Dir erfahren hat, so werde ich ihm, davon mittheilen so viel ich weiß.
Lebe wol, mein Bester, nimm einige Riiksicht auf meine Bitten und sey versichert der beständigen Freundschaft
Deines unveränderlich treuen
Schleyermachers.
Drossen. d. 31t. Merz. 1790.
Ich weiß zwar nicht, wie lange oder kurz ich noch hier bleibe, aber Du kannst dennoch, wann und von wo Du auch schreiben magst ganz sicher an meinen Oncle hier addressiren.
Wenn ich nicht Deinen Namen kürzlich unter dem Zöllnerschen Protokoll in der Berliner Monatsschrift gefunden hätte, und noch später von Schlesien aus versichert worden wäre, daß Du Dich wirklich noch in Berlin befändest, so würd’ ich mich in der That jezt nicht hinsezen um noch einmal an Dich zu schreiben. Ich fieng schon an zu glauben, daß Du entweder sehr plözlich in Dein Vaterland abgerufen worden, oder – absit omen – vielleicht gar in das bessere Vaterland, wenn es wirklich ein solches gibt, habest reisen müßen. Zwischen diesen zwei traurigen Gedanken schwankte ich unschlüßig herum und fieng wirklich schon an von Herzen um Dich zu trauren; ich bedauerte Dich, mich selbst, Deine Freunde und Freundinnen und den ganzen Parnaß. Du kanst leicht denken, wie viel Freude mir durch jene Nachrichten geworden ist. Aber in der That, mein Bester, Du hast es ein bischen zu arg gemacht: einen alten Freund, von dem Du weißt, wie sehr Dein Wolwollen zu seinen Bedürfnißen gehört, vier ganzer Monate in einer so traurigen Ungewißheit zu laßen. Ich bescheide mich zwar gern, daß Du in Berlin, mit Gesellschaften und Geschäften überhäuft, wenig Zeit zu Deinem großen Briefwechsel übrig behalten habest; ich räume Dir ferner ungefragt ein, daß ich unter allen Deinen Correspondenten derjenige bin der am ersten ohne sonderlichen Schaden hintan gesezt werden konnte, aber eben deswegen mache ich auch keine Ansprüche, als nur auf ein paar Zeilen, die unter den übrigen in ein paar Minuten ausgefer | tigt werden konnten, aber auch diese hast Du mir nicht gegönnt. Ich sinne herum mit was für TodtSünden ich es verdient habe, daß mir der Himmel eine so harte Strafe zuschikt, aber mein Gewissen ist in diesem Stük so stumm, wie ein Fisch. Wenn man freilich bei unserm Briefwechsel blos auf den Gewinn sieht den jeder Theil aus den Nachrichten und Gedanken des andern zieht, so wäre es sehr natürlich, daß Du dies Commercium wobei die Bilanz gänzlich zu Deinem Nachtheil ist, mit gutem Vorsaz aufgegeben habest; aber das läßt sich gar nicht denken; ich weiß zu gut, daß die Vorstellung zu dem Glük eines andern etwas beigetragen zu haben bei Dir von sehr großem Gewicht ist. Ich bin nun mit meinen Erklärungshypothesen zu Ende ohne etwas ausgerichtet zu haben und muß es Dir selbst überlaßen die Sache aufzuklären.
Meine Schlesischen Nachrichten besagen leider auch, daß Du gesonnen wärest, nach Ostern nach Schweden zu reisen und ich eile desto mehr damit Dich dieser Brief noch antreffe. Wenn dies Gerücht, woran ich jedoch noch nicht den rechten Glauben habe, gegründet seyn sollte, so würde mir es doppelt leid thun daß sich, durch das fatale verlorengehn eines mir wichtigen Briefes meine Reise nach Berlin um einige Zeit verzögert hat und nun wohl erst drei oder vier Wochen nach Ostern vor sich gehn wird. Welch häßlicher Streich vom Schiksal wenn es mich dadurch um das so sehnlich gewünschte Vergnügen dich noch einmal zu sehn betrogen hätte; allein ich hoffe noch immer daß diese Zusammenkunft auf eine oder die andre Art erfolgen soll – entweder Du reisest nicht so bald, oder Dein Weg führt Dich über Frankfurt und Du bist so gut und läßt mich dieses wißen
Du kanst versichert seyn daß ich – so schlecht es auch um meinen Beutel aussieht – einige Thaler nicht ansehn und heute noch nach Berlin eilen würde, wenn dies nicht gewißer | Umstände wegen, die zu weitläuftig sind, als daß ich sie Dir hier auseinander sezen könnte, für mich von gar zu nachtheiligen Folgen für die Zukunft wäre. Wenn es Dir irgend möglich ist und Du an meiner Ruhe und Zufriedenheit noch einigen Antheil nimmst, so laß mich bald, recht bald erfahren, wie es eigentlich um Dich steht und benimm mir die Hofnung nicht, auch in Schweden noch in einigem Zusammenhang zu bleiben. Vielleicht kann Dir – da ich nun auch in eine andre und vortheilhaftere Lage zu kommen denke – jenseit der OstSee mein Briefwechsel in literarischer Rüksicht nicht ganz unnüz seyn.
Wie ich aus der Berliner MonatsSchrift gesehn habe ist Niemeyer in Berlin gewesen und wenn er seine kleine Agnes mitgehabt haben sollte so wird Dir dies einige sehr glükliche und frohe Stunden gemacht haben – Ich werde dieser Tage an Beyer schreiben und da ich nicht weiß ob er seit eurer lezten Zusammenkunft in Jena etwas von Dir erfahren hat, so werde ich ihm, davon mittheilen so viel ich weiß.
Lebe wol, mein Bester, nimm einige Riiksicht auf meine Bitten und sey versichert der beständigen Freundschaft
Deines unveränderlich treuen
Schleyermachers.
Drossen. d. 31t. Merz. 1790.
Ich weiß zwar nicht, wie lange oder kurz ich noch hier bleibe, aber Du kannst dennoch, wann und von wo Du auch schreiben magst ganz sicher an meinen Oncle hier addressiren.