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Johann Gottlieb Adolph Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Anhalt, den 20sten Juni 1791.
Mein lieber Sohn! Seit meinem letzten kleinen Brief an Dich aus Gnadenfrei bin ich in der Mitte des Mai Gott Lob gesund hier angekommen, seitdem aber in Pleß wieder in Amts-Verrichtung gewesen und den 3ten dieses ist die Mutter von einem gesunden lieben Mädchen glücklich entbunden, welches bei der Taufe Charlotte Friederike Wilhelmine getauft worden. Wir haben Dich und Lottchen, meine Schwäger und Schwägerinnen in Pleß und meine beiden Niècen Herz zu Arnheim zu Pathen unsres Kindes gewählt. Die Mutter, die Dich herzlich grüßt, hat auch bereits | am vorigen Sonntag ihren Kirchgang gehalten und befindet sich nebst dem Kinde so wohl, daß wir unserm treuen Gott und Helfer für das alles nicht genug danken können. In dieser nämlichen Empfindung habe ich auch über Lottchens wieder erlangte Gesundheit und Geistes-Munterkeit mich herzlich gefreut, als wobei sie in ihre sonst peinliche Lage nun wieder mit mehr Muth und Vertrauen sich zu finden vermögend ist. Sie hat mir auch erfreuliche Beweise gegeben, daß sie ganz mit den Wegen des Herrn zufrieden und bei den Bedürfnissen ihres Herzens und beruhigenden Gefühlen, die sie nur allein in einer Brüdergemeinde befriedigen und erhalten und stärken zu können glaubt, doch immer viel glücklicher ist, als sie es an irgend einem andern Ort in der Welt würde sein können; und diese wahre oder eingebildete Glückseligkeit (– wer vermag darüber zu entscheiden, als Gott und das eigene Herz –) bleibt denn doch das allgemeine Streben und Trachten aller Menschenkinder, und da kann man denn nie genug die alles umfassende, allmächtige und allweise Liebe preisen, die für jedes unschuldige und auf sie gerichtete Herzensbedürfniß auch eine Befriedigung gegeben hat. Ich wünschte nun wohl, die gute Lottchen mehr unterstützen und vor Nahrungssorgen sichern zu können, allein ich leide noch immer selbst an diesem Uebel, welches auch durch meine Bemühung, um noch vor meinem Ende meine Bücherschulden bezahlen zu können, sogar noch eher genährt, als gehoben wird. Von dem lieben Carl aber habe ich seit Jahr und Tag weder etwas gehört noch gelesen; und wenn Du etwa einmal an Lottchen ein paar Zeilen für ihn einschließest, so kannst Du ihn wohl an seine kindliche Pflicht erinnern, jedoch – wie Du es auch wohl von selbst thun wirst – mit aller der liebreichen Vorsicht, welche die Schonung seines Glaubens und seiner Ruhe von einem Bruderherzen heischet. Vor 8 Tagen habe ich denn auch von Lottchen Deinen letzten Brief an sie erhalten und beim Durchlesen mich gefreut, daß Du für diesmal den Folgen einer Uebereilung (denn ich denke doch, daß ich es so nennen darf) | glücklich entronnen bist. Zwar hast Du dich wieder ziemlich gut aus der Affaire gezogen. Auch darin billige ich Dein Betragen, daß Du Dich auf einen Fuß setzest, daß man Dich nicht übertölpele, und daß Du eine gewisse Achtung, die Dir bei Deinen Eleven sowohl als bei der Herrschaft unentbehrlich ist, zu behaupten suchest; ich glaube aber auch, lieber Sohn, daß Du es selbst nöthig finden wirst, die Superiorität, welche Dein Scharfsinn Dir gewähret, durch etwas mehr Discretion und Klugheit, als bisher geschehen, zu mildern, damit Du bei aller Deiner Wahrheitsliebe nicht unbemerkt in den Fehler der Rechthaberei verfallest. Dafür aber kann Dein Verhältniß, wenn Du es nur gut beobachtest, Dich ziemlich sichern. Nach meiner Meinung solltest Du eine Dame, wie die Gräfin ist, niemals in die Nothwendigkeit versetzen, entweder sich selbst ein unangenehmes Dementi zu geben, oder auf eine Dich beleidigende Art Dir zu antworten, und dies war doch die mißliche Alternative, in welche sie durch Deinen ungeforderten Ausspruch gesetzt ward. Du hättest entweder schweigen können, bis du um Deine Meinung gefragt wurdest, – und geschah dies, so wäre es Dir ja leicht gewesen, dem übereilten Urtheil der schon aufgebrachten Dame auf eine oder andere Art eine glückliche Wendung zu geben; denn das ist doch bekannt, daß dergleichen aus dem Latein in’s Deutsche aufgenommene Wörter zuweilen sehr unbestimmt, ja sogar oft aus Eitelkeit da placirt werden, wo ebenso gut und besser ein deutsches Wort gepaßt hätte, und vielleicht dürfte mancher Gelehrte sich nicht scheuen, seine Unwissenheit über den originellen Sinn eines solchen Worts zu gestehen, ehe und bevor er nicht den Cicero darüber nachgeschlagen hätte. – So etwas oder dergleichen hätte, wie mir däucht, können gesagt werden; – denn daß Du schreibst, Du hättest durch Deinen unaufgeforderten Ausspruch das vorige wieder gut zu machen gedacht, dabei hat wohl Dein Herz Dich getäuscht. – Ich bitte Dich übrigens, mein lieber Sohn, bemühe Dich aus allen Kräften, diesem vortrefflichen Hause Dich zu con-|serviren und gewissermaßen nothwendig zu machen, denn ich halte es für eine von der Vorsehung Dir angewiesene sehr lehrreiche Schule; und dann rathe ich Dir väterlich, verstecke Dein Geld nicht in Bücher, sondern suche Dir auf einen Nothfall eine gute Börse zu sammeln. Zuletzt hoffe ich, daß Du diese wenigen Klugheits- und Lebensregeln von Deinem alten Vater gut aufnehmen wirst und wünsche sehr, sobald als möglich, die Versicherung von Dir zu lesen, daß alles wieder in seinem vorigen Geleise ist. Du hast dieses wohl schon in Deinem Briefe allgemein geäußert, aber doch würden mir besondere Beweise davon sehr erfreulich sein, denn Niemandem kann Dein wahres Wohl mehr am Herzen liegen, als Deinem Dich zärtlich liebenden Vater.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 20. Juni 1791
  • Sender: Johann Gottlieb Adolph Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Anhalt (Hołdunów) ·
  • Place of Destination: Schlobitten ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 222‒225.

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