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Friedrich Schleiermacher to Samuel Heinrich Catel

Schlobitten d. 24t. May 92
Mit den guten Vorsäzen geht es doch manchmal in dieser Welt wunderlich. Ich hatte mir ganz ernstlich vorgenommen Deinen Brief mit der nächsten Post zu beantworten, und nun – siehe da! sind grade zwei Monate verstrichen; denn auf Deinem Brief steht der 24t. März. Diesmal ist würklich Geschäftigkeit die Ursach davon; ich habe den Fleiß sowol in Angelegenheiten meines Amtes, als für mich selbst ziemlich weit getrieben, aber da ich aus natürlicher Liebe zu meinen Augen das Nachtsizen nicht eben anfangen wollte, so ist es natürlich zugegangen, daß Du der hierin mit so gutem Rath und wie Du versicherst auch mit Beispiel vorangehst, darunter gelitten hast. Doch ich weiß nicht warum ich mir die Mühe gebe mich zu entschuldigen? Du bist wie ich aus Deinem Briefe sehe in diesem Stük so unerschöpflich reich an Conjekturen wie weiland Heumann beim Neuen Testament und Semler bei der Kirchengeschichte. Ob aber immer die wahre Lesart und der wahre Aufschluß über das Faktum darin ist – das ist bei Dir wol eben so wenig zu vermuthen, als bei den beiden hochbelobten Männern. Wenigstens solltest Du mir das Elisische Leben mir nicht zur Schuld anrechnen, da es offenbar Verdienst von meiner Seite ist, indem niemand ein elysisches Leben führen kann, als wer es sich macht, wie ich solches in meiner lezten Neujahrspredigt des mehreren bewiesen habe – und was das Abentheuer mit dem Pferde betrift; nun nur gemach! alter Freund! so hat mir das ganze Abentheuer wahrscheinlich nicht so den Kopf eingenommen, als Dir das Zusehn auf der Leipziger Manege. | Mit der Pfarre, mein lieber, steht es auf weit schwächeren Füssen als meine lezte Entschuldigung, Du magst sagen, was Du willst gewiß nicht gestanden haben kann. Denn Du hast wol Recht, daß Gesundheit eine Hauptsache dabei ist, und die fehlt mir grade an dem Theil der zur Pfarre am nöthigsten ist, nemlich an der Brust. Das hätte ich ehedem nicht gedacht denn ich glaubte noch vor dem Jahr, daß sie zu den stärksten auf der Welt gehöre, aber jezt zeigt sich seit einigen Wochen so mancherlei, was mich von dieser Seite nicht viel hoffen läßt, und alle dafür gebrauchten Mittel wollen nicht anschlagen. Deswegen weiß ich nicht, ob ich nicht der Pfarre werde entsagen und auf irgend etwas anders denken müssen. Sage mir nur was? denn bei einer Professur spart man die Lunge warlich nicht; sonst sollte es mich wol amüsiren auf der Viadrine einmal so eine Art von Knäppchen vorzustellen. Die Inquisitionen und was dem anhängig ist, wovon Du einen Vorwand hernimmst Deine in der That grundlose Abneigung zu beschönigen, sollte mich nicht schreken; es ist so fürchterlich nicht als es scheint, und besonders bei uns Reformirten ist noch nichts davon zu spüren. Abgeschmakt ist es freilich im höchsten Grade aber man muß es von der lächerlichen Seite betrachten, wie ich, so können uns alle königliche und churfürstliche Thoren und alle die thörigten Geister welche durch sie sprechen, das elysische Leben nicht verbittern, sondern helfen es vielmehr wider ihren Willen würzen. Die Amelangsche Vertheidigung des Schulz (der aber doch nach Spandau gekommen seyn soll) ist sehr schön, aber doch | zieh ich ihr an Feinheit und Gedrängtheit der Persifflage die Vertheidigung in dem älteren Ungerschen Prozeß vor; diese rathe ich Dir wiederum zu lesen, falls Du sie noch nicht gelesen haben solltest (welches man bei solchen Büchern immer dazusezen sollte; denn der Fall, daß der Rath noch nicht befolgt seyn sollte ist immer nur unwahrscheinlich).
Was das herabdonnern betrifft so habe ich im jeztlaufenden Jahr nur erst viermal gepredigt, wovon freilich einmal in die Feiertage fällt, und jezt wage ich es auch wegen meiner Brustschmerzen nicht: desto mehr studire und schreibe ich, und ich wünschte ernstlich zu wissen, ob Du mit einem von den besseren Leipziger Buchhändlern in Bekanntschaft bist, der sich damit befassen würde ein kleines philosophisches Werkchen von 16 bis 20 Bogen stark in Verlag zu nehmen; denn nachgrade werde ich mit meinen philosophischen Versuchen so weit kommen, daß ich die Unterhandlungen anfangen kann. Denke aber nicht, daß ich mich fürchte im preußischen druken zu lassen; fängst Du keinen, so will ich schon bei uns einen habhaft werden. Wäre die That so schnell als der Wille und schreiben so leicht als ausdenken, so würde auf diese Versuche bald etwas anders folgen; und Du kannst dem Buchhändler, wenn Du einen kennst immer zureden gut zu bezahlen, weil er dann noch ein paarmal von mir würde profitiren können.
Nun hab ich Dich so ziemlich von mir instruirt, doch fällt mir noch ein Punkt Deines Briefes in die Augen, zu dem ich ziemlich sauer sehe, nemlich wegen des Frühlings. Ich muß davon leider sagen: ich habe ihn nicht genossen, weil ich ihn nicht gehabt habe, und wenn ich ihn auch gehabt hätte, so hätt ich ihn doch nicht geniessen können. Der Aprill hatte (allen Narren zu gefallen) einige schöne Tage | gehabt; aber der May hat sich bis jezt schlecht aufgeführt, so daß wir nun erst aufhören einzuheizen, obgleich draussen alles grün und blühend ist; aber der Nordwind, der Hund Boreas, bei dem liegt der Knüppel. Ueberdem haben wir hier zu Anfang dieses Monats einen Todesfall gehabt; die Mutter unserer Gräfin ist gestorben; da ist nun alles während der Krankheit und nach dem Tode um mich her sehr leidend gewesen, ich ich natürlicher weise mit; an gesellschaftlichen Genuß ist bis jezt wenig zu denken gewesen, und der einsame kann ihn nie ganz ersezen. Nun es anfangen könnte reisen wir Morgen nach Finkenstein wo nicht so viel Gelegenheit zu solchem Genuß ist, und sich auch niemand so gut gefällt.
Das war zulezt noch eine Jeremiade und mit dieser will ich Dich entlassen, da es überdem schon sehr spät ist. Adressire Deinen Brief nur immerhin nach Schlobitten, das ist das sicherste. Vale et fave.
Schleyermacher.
Erzähle mir doch was es denn eigentlich mit dem Froriep und Consorten in Bükeburg für eine Bewandniß hat.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 24. Mai 1792
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Samuel Heinrich Catel ·
  • Place of Dispatch: Schlobitten ·
  • Place of Destination: Leipzig · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 247‒250.

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