d. 24 Juli 92
[. . .] Es ist mir sehr angenehm gewesen daß Sie mir etwas umständlich von dem Tode der alten würdigen Frau geschrieben. Freilich haben Sie mehr Gelegenheit gehabt, ihren ganzen Charakter ihre Denkungsart und Gesinnung genauer kennen zu lernen; allein die Bemerkung daß die Fassung, womit sie bei ihrer übrigen Anhänglichkeit ans Leben dennoch dem Tode entgegengegangen, vornämlich dem savoir faire, wenn ich diesen französischen Ausdrukk hier passend genug anwende, zuzuschreiben sei, will mir doch nicht recht einleuchten, wenn ich Ihnen gleich gern zugebe, daß Seelenstärke nach dem ganzen Umfange des Worts aus einem solchen Benehmen in den lezten Augenblikken oder Tagen noch nicht gefolgert werden könne. Ich sehe beide Meinungen als zwei Extreme an, und denke daß zwischen beiden ein weites Feld zu anderen der Sache vielleicht angemeßneren Erklärungsarten liege, wozu Sie selbst mir einige Data an die Hand geben. Sie hatte durch asketische Schriften sich die tröstlichen Bilder des künftigen Lebens recht fest imprimirt. Ich weiß nun freilich nicht welche asketischen Schriften sie am liebsten gelesen; allein ich denke mir doch, daß sie nicht bloß für die alten die Phantasie erhizenden Schriften, ohne das Herz zu erwärmen und noch weniger den Verstand zu erleuchten, eingenommen, sondern daß sie vernünftige Religionsbegriffe gehabt und genährt, und also über den Trost und die Hoffnung, welche uns die Religion in so reichem Maaße giebt, nachgedacht habe. Wenn nun aber bei höheren Jahren, bei mehrerer Erschöpfung und Entkräftung, der Verstand zu geschärftem Nachdenken und Grübeln weniger aufgelegt ist: sollte es da nicht psychologisch richtig sein, daß alsdann die dunklen Vorstellungen lebhafter werden, die Bilder der Phantasie mehr Eindrukk machen, und wie Sie selbst sagen ihre Art sich mehr an dem was noch kommen sollte, als an dem was schon da war zu halten, sollte dies alles nicht hinlänglich gewesen sein, ihre Anhänglichkeit ans Leben zu besiegen und jene stille ruhige Gleichmüthigkeit, womit sie dem Tode entgegenging, zu bewirken, ohne jene Routine sich zu benehmen zu Hülfe zu rufen, welche doch meines Bedünkens nichts mehr und nichts weniger ist, als etwas Verstellung um andre zu täuschen oder doch seine wahre Gesinnung zu verbergen. Aber freilich, Sie sahen damals die Sache wol aus einem ganz andern Gesichtspunkt an, wie der Ausdrukk antiphädonisch und die folgenden Aeußerungen zeigen. Fürchten Sie aber ja nicht daß ich dieserhalb ein Verdammungsurtheil über Sie spreche: im geringsten nicht; ich sehe Ihren Zustand, oder wie Sie sagen den Gang Ihrer Phantasie als etwas unwillkürliches an । und hoffe daß Sie ihr auch wieder die gehörigen Zügel werden anlegen können. Ich empfinde es, daß ich auch nicht allemal Herr über meine Phantasie bin. [. . .] Aber ich komme noch einmal auf jenen Gegensaz – Seelenstärke, und Routine sich zu benehmen – zurükk, um Ihnen die Frage vorzulegen, zu welcher von beiden Gattungen Sie Friedrichs Benehmen bei seinem herannahenden Tode rechnen. Ich denke daß wir darüber einverstanden sind, daß dieser große König, wenigstens in seinen lezten Jahren, nicht zur Classe der eigentlichen ungläubigen sondern mehr zu der der Zweifler gehöre, die zu keiner völlig beruhigenden Gewißheit kommen können. Ich weiß es daß man es mit als einen Grundzug seines Charakters angiebt sich kein Dementi zu geben, welches auch gewiß das einzige Mittel ist, manches harte in diesem sonst so menschenfreundlichen Manne zu erklären: aber sollte dies auch noch in der großen Stunde des Hinscheidens stattfinden können?
[. . .] Es ist mir sehr angenehm gewesen daß Sie mir etwas umständlich von dem Tode der alten würdigen Frau geschrieben. Freilich haben Sie mehr Gelegenheit gehabt, ihren ganzen Charakter ihre Denkungsart und Gesinnung genauer kennen zu lernen; allein die Bemerkung daß die Fassung, womit sie bei ihrer übrigen Anhänglichkeit ans Leben dennoch dem Tode entgegengegangen, vornämlich dem savoir faire, wenn ich diesen französischen Ausdrukk hier passend genug anwende, zuzuschreiben sei, will mir doch nicht recht einleuchten, wenn ich Ihnen gleich gern zugebe, daß Seelenstärke nach dem ganzen Umfange des Worts aus einem solchen Benehmen in den lezten Augenblikken oder Tagen noch nicht gefolgert werden könne. Ich sehe beide Meinungen als zwei Extreme an, und denke daß zwischen beiden ein weites Feld zu anderen der Sache vielleicht angemeßneren Erklärungsarten liege, wozu Sie selbst mir einige Data an die Hand geben. Sie hatte durch asketische Schriften sich die tröstlichen Bilder des künftigen Lebens recht fest imprimirt. Ich weiß nun freilich nicht welche asketischen Schriften sie am liebsten gelesen; allein ich denke mir doch, daß sie nicht bloß für die alten die Phantasie erhizenden Schriften, ohne das Herz zu erwärmen und noch weniger den Verstand zu erleuchten, eingenommen, sondern daß sie vernünftige Religionsbegriffe gehabt und genährt, und also über den Trost und die Hoffnung, welche uns die Religion in so reichem Maaße giebt, nachgedacht habe. Wenn nun aber bei höheren Jahren, bei mehrerer Erschöpfung und Entkräftung, der Verstand zu geschärftem Nachdenken und Grübeln weniger aufgelegt ist: sollte es da nicht psychologisch richtig sein, daß alsdann die dunklen Vorstellungen lebhafter werden, die Bilder der Phantasie mehr Eindrukk machen, und wie Sie selbst sagen ihre Art sich mehr an dem was noch kommen sollte, als an dem was schon da war zu halten, sollte dies alles nicht hinlänglich gewesen sein, ihre Anhänglichkeit ans Leben zu besiegen und jene stille ruhige Gleichmüthigkeit, womit sie dem Tode entgegenging, zu bewirken, ohne jene Routine sich zu benehmen zu Hülfe zu rufen, welche doch meines Bedünkens nichts mehr und nichts weniger ist, als etwas Verstellung um andre zu täuschen oder doch seine wahre Gesinnung zu verbergen. Aber freilich, Sie sahen damals die Sache wol aus einem ganz andern Gesichtspunkt an, wie der Ausdrukk antiphädonisch und die folgenden Aeußerungen zeigen. Fürchten Sie aber ja nicht daß ich dieserhalb ein Verdammungsurtheil über Sie spreche: im geringsten nicht; ich sehe Ihren Zustand, oder wie Sie sagen den Gang Ihrer Phantasie als etwas unwillkürliches an । und hoffe daß Sie ihr auch wieder die gehörigen Zügel werden anlegen können. Ich empfinde es, daß ich auch nicht allemal Herr über meine Phantasie bin. [. . .] Aber ich komme noch einmal auf jenen Gegensaz – Seelenstärke, und Routine sich zu benehmen – zurükk, um Ihnen die Frage vorzulegen, zu welcher von beiden Gattungen Sie Friedrichs Benehmen bei seinem herannahenden Tode rechnen. Ich denke daß wir darüber einverstanden sind, daß dieser große König, wenigstens in seinen lezten Jahren, nicht zur Classe der eigentlichen ungläubigen sondern mehr zu der der Zweifler gehöre, die zu keiner völlig beruhigenden Gewißheit kommen können. Ich weiß es daß man es mit als einen Grundzug seines Charakters angiebt sich kein Dementi zu geben, welches auch gewiß das einzige Mittel ist, manches harte in diesem sonst so menschenfreundlichen Manne zu erklären: aber sollte dies auch noch in der großen Stunde des Hinscheidens stattfinden können?