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Friedrich Schleiermacher to Samuel Heinrich Catel

Lieber Freund.
Schon lange vor dem Empfang Deines Briefes würde ich an Dich einmal wieder geschrieben haben, wenn ich nicht eine gewisse Ahndung gehabt hätte daß es nicht recht richtig mit Dir stehe und Du vielleicht Dein Nest geräumt haben mögtest, und da hab ich denn nun auch die Bescherung ganz richtig. Nicht als ob ich an Ahndungen glaubte oder nun um deß willen daran glauben wollte, aber es war, nach allem was ich von Dir und Deiner Lage wußte und schloß, eine ganz vernunftmässige Vermuthung. Nun muß ich Dir zwar das Zeugniß geben, daß dieser lezte Brief einer der längsten, vielleicht gar der allerlängste ist unter allen, die ich je von Dir bekommen habe, aber dennoch fälle ich zugleich mein Urtheil dahin, daß noch lange nicht genug drin steht: nichts vom dem Fuß auf welchem Du mit den Aeltern Deiner Kleinen stehst, und wie überhaupt in dem Hause gelebt wird, so fern das nemlich Dich betrift, und in wie fern Du an allem theilnimmst; alles das sind Punkte, welche nächstens noch berichtigt werden müssen. Ferner von Deinen übrigen Berliner Bekanntschaften und Deiner Privatlebensart auch noch lange nicht genug. – Du wünschest mich in Berlin zu haben, und ich glaube Dir das zur Noth; ja was noch mehr ist: ich muß Dir gestehn daß ich auch nicht ganz abgeneigt davon wäre. Nicht als ob meine Verhältnisse hier anders oder als ob nun weniger Elysium hier wäre als sonst, sondern es war doch wie es denn hier auf Erden immer der Fall zu seyn pflegt nicht vollkommen Elysium. Meine Glükseligkeit bestand vornemlich in meinen Kindern und in den andern Kindern des Hauses; mit den Aeltern hatt ich zwar auch ein gutes Verhältniß aber es war doch von Anfang an vieles darin was geschont und sauber behandelt seyn wollte. Nun ändern sich leicht gewisse Umstände und es kommen solche herbei, wo dergleichen Dinge nicht eben so geschont werden können und das gibt Dissonanzen und verstimmt, und in solchen Lagen wie die jezige kann sich überhaupt | manches ereignen was mich zu einem Abzüge noch bereitwilliger machen würde; freilich im Reich der Möglichkeit auch manches, was mich näher und fester an sie attachiren würde, als ich je gewesen bin, doch ist mir das lezte unwahrscheinlicher als das erste. Deswegen wenn Du irgendwo von einer Stelle hörst, welche nicht unter der meinigen steht denn ich komm ja hier kaum aus mit meinem Gehalt, und wo Du mir zugleich von allen Umständen eine solche Nachricht geben kannst daß Du Glauben hast ich werde mich dahin schiken so unterlasse nicht gehörige Rüksicht auf mich zu nehmen und darüber zu referiren. Bei dem allen bin ich den meisten Personen dieser Familie so von Herz[en] gut und lebe so gern mit ihnen daß es mich immer viel kosten wird von hier wegzugehn; allein es gibt (ausser der literärischen Abgelegenheit und Dürre, die mir auch je länger je mehr zur Last wird) mancherlei Bewegungsgründe, die es wahrscheinlich mit der Zeit nothwendig machen werden. – Unter dem wenigen was in Deinem Briefe steht finde ich auch den befestigten Entschluß der Theologie abzusagen: ich schüttle den Kopf dazu wie Sak und [Conrad] ohnerachtet ich noch keinen Anschlag drauf gemacht habe daß Du jemals für mich predigen sollst. Deine Gründe mögen seyn welche sie wollen, so sehe ich nicht ein warum man bei der allgemeinen Wandelbarkeit menschlicher Dinge einen Entschluß von der Art fest fassen und als gefaßt ankündigen soll, ehe als es wirklich nöthig ist darüber zu entscheiden. Dein eigner untheologischer Zustand hat Dich wahrscheinlich auch verhindert Dich um theologische Dinge zu bekümmern und mir davon zu schreiben. Ich für mein Theil möchte sehr gern wissen was für welche von unsern ehemaligen Mitbeflissenen jezt in Berlin hausen, ob und wie Du mit ihnen umgehst, und auch wol wie viele ohngefähr ich noch auf der berüchtigten Kandidatenliste vor mir haben kann welches lezte Dir doch auch (wenn Du anders Deinen alten Anschlag auf meine künftige Pfarre noch nicht aufgegeben hast) auch einigermaassen interessant seyn muß. Mit Brinkmann ist es auch ganz anders als Du dachtest; ich habe ohngeachtet ich weiß daß er in Berlin ist noch nicht an ihn geschrieben, und stehe auch jezt noch in Zweifel ob ich es thun soll; es läßt sich in unserm Verhältniß besser mit dem Sprechen wieder anknüpfen als mit dem Schreiben, und darum bin ich zu dem leztern herzlich faul doch thust Du mir einen Gefallen, wenn Du ihn, so Du ihn siehst herzlich von mir grüßest und ihm | sagst daß ich schon seit langer Zeit damit umgehe an ihn zu schreiben. Erkundigt er sich übrigens nach mir so sage ihm alles was Du von mir weißt und mit Wahrheit sagen kannst. Auch Sak und den andern Geistlichen Herrn wenn Du sie siehst empfiehl mich. – Was Du mir von Schmiedeke und Pequot erzählst freut mich baß, aber vor des ersteren Brief glaube ich ziemlich sicher zu seyn; die faule Haut wird so etwas gar nicht unternehmen, wenn sie es auch einmal sagt. Wie sich der gute ehrliche Pequot zu seinem Posten schikt und ob er sich nicht sehr in demselben geändert hat, das möcht ich auch wol umständlicher wissen als Du mir davon schreibst. Deinem Onkel, von dem kein Wort weiter in Deinem Briefe steht, als daß er Dir Deine jezige Stelle vorgeschlagen hat, empfiehl mich auch. Kurz ich erwarte nächstens, eben so bald als diese Antwort auf Deinen Brief erfolgt ist einen andern Brief in welchem alle angeregten Kapitel weitläuftiger verhandeln. Von Berliner Neuigkeiten steht auch keine einzige Silbe drein, und doch soll man jezt so reichhaltig daran seyn – meinst Du, daß es nicht sicher ist davon zu schreiben? oder kümmerst Du dich gar nicht darum?
Von mir selbst weiß ich Dir nichts weiter zu sagen als daß ich semper idem der Seele nach, und dem Körper nach abwechselnd bin, wie denn das preussische Klima überhaupt nicht eigentlich dasjenige zu seyn scheint, für welches mich die Natur gebaut hat. Ich kränkle hie und da, und meine Augen besonders befinden sich in den kurzen Tagen ausnehmend schlecht. Doch wenn ich nun noch anfangen wollte mich selbst zu mahlen so würde ich vollends blind werden, denn es ist schon sehr viel daß ich dies alles in einem Strich bei Licht geschrieben habe, und es sticht mich auch gewaltig in den Augen darum lebe wol und schreibe bald; ich lege mich schlafen.
Schleyermacher
Schlobitten d 26t Nov. 92.
Gib mir doch nähere Nachricht von Brinkmann wenn Du kannst
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 26. November 1792
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Samuel Heinrich Catel ·
  • Place of Dispatch: Schlobitten ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 264‒266.

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