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Friedrich Carl Gottlieb von Duisburg, Anna Barbara Duisburg to Friedrich Schleiermacher

Danzig d. 4t Xber. 92.
Lieber Bruder Schleyermacher,
Laß Deinen Groll fahren und vergiß meine Faulheit, ich gestehe Dir’s ich habe unverzeihlich gegen Dich gehandelt, aber ich verdiehne Verzeihung von Dir und Vergeßenheit meines Hochverraths an unserer Freundschaft, weil ich in trüben mißvergnügten Stunden und Lagen nicht zu schreiben Lust und Muth hatte und in heiteren Stunden wieder ganz und einzig für das Weib lebte, die ich liebe. Es bleibt freylich nicht recht, aber es giebt mir doch Ansprüche auf Entschuldigung. Die Reise durchs Leben ist mit mancherley Unannehmlichkeiten verknüpft, von denen Du in Deiner Lage und unter Deinen Verhältnißen nichts erfährst; die aber in meiner Lage oft genug den süßen Schlummer stöhren unter deßen gauckelnden Träumen man so gern immer weiter auf seiner Reise vorwärts rückte. Und Du weißt ja wohl, wie sehr ich solchen Schlummer und solche Träumereien liebe; und wie gern ich einer Ruhe pflege, die ich von ganzem Herzen allen meinen Mitgeschöpfen gönne.
Von Jugend auf war ich mehr für das paßive, als active Würcken, und es fällt mir jetzt schwer zu handeln, wo ich so lange nur zu sah und mich, wenns mir gefiel, auch vom Zuschauen in meine liebe Gemächlichkeit zurück zog. Aber ich werde mit der Zeit mich auch daran gewöhnen und dann der frohen Stunden unendlich mehr zählen, wenn ich, statt Fehler des Nichtwürckens verbeßern zu müßen, die Früchte des Würckens genießen und schmecken werde.
Lache mich nicht aus, wenn ich oben von paßiven Würckungen rede; es scheint als ob eines das andere aufhöbe und ein Unsinn bliebe; aber nicht so, der Stein den ich werffe und der meinem Bruder ein Loch wirft, äußert doch wahrhaftig eine paßive Würckung. Ein Mensch der von Menschen, Umständen und Lage gezwungen wird zu handlen, ohne daß er sich selbst zu diesen Handlungen bestimmte, der äußert doch wahrhaftig paßive Würckung. Und solche paßive Würckung war bisher all mein Thun. | Aber von nun an soll Thätigkeit an die Stelle der Trägheit, That an die Stelle der Vorsätze treten. – Aber thue ich nicht gerade als ob ich im Beichtstühle bey Dir säße und mich von meinen langen und vielen Sünden waschen und reinigen wollte; erst Entschuldigung und denn gar Beßerungsversprechen. Nun es ist einmal geschehn und Du magst immerhin Dich als einen Heiligen und mich als einen Sünder, reuethuend vor Dir dencken. Alles was ich eigentlich sagen wollte, war: daß von jetzt an unser Briefwechsel rascher gehen soll, denn ich habe so ein Plänchen für uns beide gemacht, das aber hie und da noch nicht ganz rein ausgesponnen ist und wovon ich Dir also auch in diesem Briefe nichts mehr sagen kann, als daß es da ist.
Nun will ich mir die Freyheit nehmen Dir auch ein Wörtchen ins Ohr zu sagen. Wo ist der Freund, der mir und Troschel Hofnung gab auf Neujahr ein Werklein von ihm in Händen zu haben? Troschel ist ziemlich verdrüßlich, denn er rechnete auf einen Verlagsartickel zur Neujahrsmeße und er sieht sich in seiner Rechnung betrogen. Von nun fange ich an Zeitungsmäßig eine Nachricht an die andere, ohne auf eine Verbindung zu sehen, hinzureihen. Der Verfasser der Kritick aller Offenbarung, Herr Fichte ist hier in Danzig und wird sich den ganzen Winter hier aufhalten. – Wir erwarten täglich Koehler aus Tolcksdorff hier, der freylich ein etwas kalter, aber ein sehr ehrlicher Liebhaber ist. Freylich überströmmendes Feuer, an Schwermerey grentzende Liebesproben, wird meine Schwester bey ihm nicht erwarten dürffen, aber sie wird bey ihm auch dafür keine Erkältung der Leidenschaft, kein Abspringen der Neigung auf andere Gegenstände fürchten dürffen, er wird ehrlich und treu an ihr hängen, wie – Peter, (besiehe den Herbsttag.). |
Was Du über Karl und Sarchen sagst ist sehr wahr, aber sie befinden sich nicht in den Verhältnißen gegen einander die Du vorausgesetzt hast, wenigstens jetzt nicht mehr. Sie gehen auf den vertraulichsten Fuß jetzt mit einander um, und haben beide einen Ton angenommen, den sie in aller Gegenwart beybehalten dürffen, und dem niemand etwas anmerckt als der, der das Verhältniß kennt, in dem sie gegen einander stehn. Mit Worten haben sie sich nicht gegen einander erklärt, wir sind ihr Sprachrohr gewesen, und nur so konnten sie sich in den Ton gegen einander stimmen, der bey einer so weit aussehenden Liebe, allein ein Feuer zurückhält, das noch lange schlummern muß. Sie verstehn sich jetzt, ohne sich verstehen zu wollen, sagen sich in tändelnden Neckereien, was sie sich im Ernst noch nicht sagen dürffen, und tanzen so unter Schmerz und Freude ihre Tage hin. – Von Deinem Vorschlage, Karl zu entdecken daß Du um das Geheimniß seiner Liebe wißest, um dadurch Verdrüßlichkeiten vorzubeugen, die einmal Euch dreien sehr lästig werden könnten, von Deinem Vorschlage kann ich keinen Gebrauch machen, denn es wäre sehr überflüßig, da weder Er noch auch Sarchen, und die letztere vorzüglich auch nicht die entfernteste Ahndung hat, daß Du je Neigung zu ihr gehabt hast. Da nun keine Verdrüßlichkeiten zu besorgen, wozu soll Karl oder Sarchen auf eine Spur gebracht werden, die Dich ohne Noth verrathen würde? –
Von Gundchen soll ich Dir viel schreiben, wie es mit ihr zugegangen ist, wie sie wieder über sich selbst etwas gewonnen hat, was wir alle schon verlohren gaben p – Wahrlich das läßt sich mit weniger Worten abfertigen, als du glaubst. Sie verachtet den, der an ihr zürn Verräther wurde, und merckt daß sie auf dem Wege der Melankolie und des Mißmuths alle Reize einbüße und jeden Vortheil versäume, den ein Mädchen über die Männer erhalten kann. – Willst Du Dich aber ein Verdienst um unsere Familie machen, so nimm einmal die Feder zur Hand und schreibe an Gundchen und suche sie ganz zu heilen. Das Zureden und die Gründe eines Frembden machen immer mehr Eindruck, als deßen der uns nahe ist; und denn geschriebene Gründe kann man überlesen, überdencken, und sorgfältiger erwägen, um so mehr wenn man sie beantworten und wiederlegen oder einschräncken soll. (NB ein Grundeinschräncken, das war auch Unsinn, aber Du verstehst mich und ich corrigire nicht.) – Gundchen war vorgestern bey uns, und da sahn wir leider, daß Sie schon wieder anfängt zurück zu sincken, und das hat uns sehr betrübt, wir sähen es also gern, wenn Du Dich mit ihr in einen Briefwechsel einließest und eine | Seelencur an ihr versuchtest. Aber von Sarchen mußt Du nichts erwähnen, denn einmal weiß auch sie nichts davon, was in Dir vorgegangen ist, und zweitens möchtest Du mit all Deiner Beredsamkeit dadurch bey ihr verliehren, da sie den fatalen Gedancken nähret, daß Sarchens Schönheit ihr Eintrag thue. –
Der Mertz der Litteratur Zeitung hat sich hier in Danzig gefunden und wenn Gelegenheit seyn wird kömmt er nach Schlobitten. Auch sind hier noch Bücher für Dich von Troschel angelangt, die der Buchbinder heller eingebunden hat. Es sind: Kants Kritik der Urtheilskraft – Nößelts theologische Bücherkunde – und Fülleborns Beyträge. Bücher auctions sind nicht gewesen, ich werde Dir aber bald einen Catalog zu senden, der sehr wichtige Sachen enthalten wird und auf den Jannuar geruffen wird.
Nun hast Du doch wohl einen recht langen und vollständigen Brief von mir erhalten, so vollständig wie Du ihn nur fordern kannst, denn Dein Brief liegt vor mir und jeder Punckt ist beantwortet. – Meine Frau giebt mir Hofnung auf den August Früchte zu sehen. Die Myrrthenbäumchen stehn auch schön und herrlich. Sie hat schon müßen Aderlaßen vor 14 Tagen. Das ist Dir denn doch auch eine liebe Nachricht und ich habe sie mit Fleiß bis ans Ende aufgesparet um Dich auch mit den Schluß meines Briefes zufrieden zu machen. Wir sind Alle recht wohl und gesund, und wünschen Dir daßelbe. Lebe tausendmal wohl und dencke oft unser.
Dein Freund Duisburg.
Vergiß doch das Manuscript nicht! –
[Von Anna Barbara D.:] Lieber Schleyermacher ich Muß Ihnen doch Auch ein Pahr Zeilen schreuben wie komt es das wir so lange keine nachtricht von ihnen haben ich hoffe doch das sie gesund sind – ich hab vor 14 Tage adergelasen wovon ich einen sehr Bösen Arm gehabt habe ich nam Mir die Binde zu frie Ab und jetzt ist er Aber ganz Beser ich mus schlischen weil ich nicht weiter kan Leben sie wol ich Bin unferenderlich ihre Freundin B D
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 4. Dezember 1792
  • Sender: Friedrich Carl Gottlieb von Duisburg · , Anna Barbara Duisburg
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Danzig · ·
  • Place of Destination: Schlobitten ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 271‒274.

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