Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
TEI-Logo

Friedrich Carl Gottlieb von Duisburg to Friedrich Schleiermacher

Lieber Schleyermacher,
Das ist eine schlechte Beßerung gewesen! Ein Rükfall war es, der wie alle Rückfälle, gefährlicher und anhaltender war, als die erste Kranckheit. Aber Was? hat auch den Rückfall bewürckt? – Eine Menge von Ursachen, von denen oft schon Eine hinlänglich gewesen wäre, mich zu entschuldigen. Ich hoffe Freund, wir sehen uns balde wieder, und wenn man dem Gerücht traun darf, so trennen wir uns auch nicht wieder, denn man sagt daß Dein Graf jetzt hier seinen Aufenthalt nehmen werde; und in dieser Hofnung verspare ich die Entwicklung aller der Ursachen die mich seit Neujahr gedrängt, gestoßen, fortgerißen haben, daß ich nothgedrungen einen so ungeheuren Rückfall litt, auf mündliche Unterhaltung, denn littera scripta manent. Glaube mir daß ich mehr wie einmal angefangen habe zu schreiben, und selbst die erste und zweite Zeile dieses Briefes bis bewürckt? – ist schon vor 3 Wochen geschrieben, aber auch alle mal kam Etwas das mich wieder entfernte und für Briefschreiben und Brieflesen ungestimmt machte; glaube mir, daß ich oft mir Vorwürfe Deinetwegen gemacht habe und manchesmal darüber aus einer übeln Stimmung in die andere gerieth, aber, wie gesagt, und wie Du leider erfahren hast, es kam kein Brief an Dich zu Stande. Aber glaube mir auch, daß ich, wenn ich gleich im Schreiben faul gewesen bin, daß ich dagegen in tausend anderen Dingen thätig genug gewesen bin, oft wieder meinen Willen habe thätig seyn müßen. Ach es giebt Mühseeligkeiten des Lebens von denen sich niemand etwas träumen läßt, bis sie plötzlich und unerwartet dastehn, als wären sie aus dem Abgrunde hervorgesprungen. Doch ich habe gesagt daß wir das Capitel mündlich behandeln wollen. –
d. 3t May.
Siehst Du, lieber, es ist des Schicksals Wille, daß mein Brief an Dich immer unterbrochen werden soll, vor acht Tagen glaubte ich nun gewiß ihn fertig zu machen und da ward ich wieder gestört. Ich will jetzt nur gleich anfangen Dir zu erzählen was sich alles mit uns so nach und nach zugetragen und ereignet hat. Und – ich staune selbst drüber – da muß ich von Neujahr anfangen. Meine Frau soll zu erst Dir zu vernehmen geben, wie es ihr gegangen. Nun wie es Weibern geht, die zum erstenmal auf dem Wege sind Mutter zu werden. Oft Übelkeiten, oft schwermüthige Launen, oft Ohnmachten und Schwindel, aber alles nur schnell vorüber fliegend; und Weiber, die es verstehn, behaubten daß sie eine leichte Geburt haben werde. Jetzt aber stöhnt sie mir sehr und muß auch Artzeney brauchen, vermutlich aber Folgen von Schröcken und von kleinen Ärgernißen. Das Ende des künftigen Monats, oder der Anfang des Julius wird ihr die Last nehmen, die ihr jetzt oft so schwer wird. Am Schröckentage das Auflaufs am grünen | Donnerstage, den kein Danziger vergeßen wird, war sie sehr ruhig, denn wir hatten Alle bey uns, die uns lieb und werth sind. Aus der Töpfergaße und von der Pfefferstadt flüchtete alles zu uns und wartete hier, wo wir wenig von dem Tumult hörten und sahen, das Ende ab. Mein jüngster Bruder, der auch herausgegangen war, um den Einmarsch anzusehen, war in der äußersten Gefahr gewesen, da ein preußischer Soldat, einen halben Schritt vor ihm, von einer Kanonenkugel auf der Stelle getödtet wurde. Ich mußte den Freytag predigen, Du kanst Dir vorstellen, daß es mir an Zeit und Lust fehlte dran zu dencken und nach löblicher Gewohnheit hatte ich vorher nicht dran gedacht. Doch ich will Person für Person Dir vorstellen, um Dir von jeder etwas zu sagen. – Ich, – nun ich bin in gewißer Rücksicht wie ein Schiff auf weitem Meere, das alle Seegel braucht um im Haven zu kommen, aber noch immer in den Scheeren lavirt –
d. 13 May
Am vergangenen Sonnabend erhielt ich Deinen Brief, an L. der mir ganz Räthsel ist. So ist sie verschwunden die süße Hofnung, die ich mir machte, mit Dir hier zu leben und durch Demen Umgang in so mancher Rücksicht zu gewinnen: denn ich sah es wie gewiß an daß Dein Graf, und Du mit ihm, nach Danzig ziehen würde. Du wirst leicht dencken in was für Fragen und Vermuthungen wir uns erschöpfen, um die Ursache dieser urplötzlichen Veränderung zu errathen. Eine Beförderung kann es nicht seyn, was Dich aus Deiner bisherigen Lage herausreißt, sonst würdest Du etwas davon sagen; ich vermuthe also einen Zwist mit dem Grafen und aus dieser Vermuthung schöpfe ich denn die Hofnung daß ihr euch wieder aussöhnen werdet, und daß alles bleibt wie es ist. Aber ein kleines Wörtchen, stößt wieder auf der andern Seite meine ganze Vermuthung um. Du sagst in Deinem Briefe: ich muß zu meinem Onckel nach Droßen; und dießes muß, scheint mir zu sagen: die ganze Veränderung hat mein Onckel in Droßen veranlaßt! und wenn das wäre, so darfst Du Dich nicht aussöhnen, weil Du Dich überworffen hast, und die Hofnung des Bleibens in Schlobitten schwindet und die Furcht daß Er Dich dort befördern will läßt mir eine ewige Trennung ahnden; eine Trennung, die mir, meiner Frau, und noch vielen Personen mehr, die Dich hier lieben und hochhalten, schwer und bitter seyn würde, denn wir haben uns alle zu sichre Rechnung gemacht, daß wir Dich bald, recht bald hier sehen würden, ja es gab Personen die Dich zur Huldigung auf den 7 May | hier sicher erwarteten: denn das muß ewig wahr bleiben, daß man Dich hier recht gut ist, und Deine Briefe hier ein Fest sind. Weißt Du was ich wünschte? Daß Du jetzt, da wir alle Unterthanen eines Herrn sind, alles was Du vermagst aufbieten möchtest, um hier in Danzig angestellt zu werden. Und das glaube ich könnte Dir nicht fehlen, da ohnehin auch unsern Schulen eine sichre Verändrung bevorsteht. Ja ich bin gewiß, wenn Du als simpler Candidat hier herkömmst, daß Du mit Informationen hinlänglich genug versehen werden würdest. Wage es Freund, und komm und theile mit mir! Freundschaft soll uns glücklich und seelig machen. – Aber da drängt sich mir das fatale: ich muß nach Droßen, bey mir ein, und ich sehe Dich als einen Mann ohne Willen an. Reiße mich, reiße uns bald aus aller Verlegenheit, aus aller Besorgniß und gieb uns Licht über das, was Du uns ahnden und fürchten läßt. – Ich erwarte mit Verlangen Deinen nächsten Brief. Verzeih mir meine Nachläßigkeit, wenn Du wüßtest, was mich so oft abgehalten, so oft gehindert, so oft unfähig gemacht hat, zu schreiben und zu dencken, Du würdest mir gern verzeihn. Aber das freut mich doch, daß Du noch nicht an meiner Liebe und an meiner innigsten Anhänglichkeit an sich gezweifelt hast. – Das Geld habe ich richtig erhalten und es liegt in meinem Pult, weil Troschel schon nach Leipzig abgereißt war, und erst nach den Feyertagen wieder zurück kömmt, ich kann Dir also auch weder die quittirte Rechnung, noch auch die Kosten der Bücher angeben, die ich Dir hier sende. Es kann ja alles nach Droßen, oder wollte Gott! nach Schlobitten gesandt werden. – – Nun noch einige Nachrichten von unsrer Familie. Cöhler war Weyhnachten hier und ward förmlich mit meiner Schwester verlobt. Er kömmt künftigen Monath nach Danzig um meinen jüngsten Bruder zu holen, der bey ihm die Wirthschaft lernen wird, und künftiges Jahr wird er, wo nicht eher, sein Weibchen sich heim holen. Carl und Sarchen verstehn sich, ohne sich weiter erklärt zu haben, außer durch uns, die wir ihre Sprechröhre sind. Gunchen, das gute Mädchen, ist ziemlich geheilt, und wir würden ganz glücklich seyn, wenn sie jemanden fände, der ihrer werth wäre. Der Docktor hat sich ganz zu seinem | Vortheil geändert, und Du wirst ihm jetzt gewiß recht gut werden, so wie er jetzt unser aller Liebe besitzt. Durch seine Geschicklichkeit hat er sich schon recht viel Praxin erworben. Der Vater hat die größte Zeit an seiner Hypochondrie recht schwer gekranckt. Alles läßt Dich grüßen alles läßt Dir Liebe und Freundschaft versichern, alles beklagt und bedaurt daß die schöne Hofnung untergehn soll, Dich bey uns zu sehen.
Doch ich hoffe!
Es wird mir schwer diesen Brief zu enden, denn es ist mir gerade als ob ich von Dir Abschied nehmen soll. Schreibe mir bald und schreibe uns frohe Nachrichten von Dir
Dein treuer Freund und Bruder Duisburg.
Metadata Concerning Header
  • Date: 5. April bis 13. Mai 1793
  • Sender: Friedrich Carl Gottlieb von Duisburg ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Danzig · ·
  • Place of Destination: Schlobitten ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 284‒288.

Basics · Zitieren