Drossen, den 19ten Juni 1793.
Liebster Vater! Seit vorgestern bin ich nun endlich wieder hier und bei dem guten Onkel das Kind im Hause wie ehedem. Daß Ihnen die Nachricht von meiner Entfernung von Schlobitten wehmüthig gewesen, glaube ich sehr gern, mir ist es ebenso ergangen und ich hätte wohl auch herzlich gewünscht, die paar Jahre, die bis zu meiner gänzlichen Versorgung noch vergehn können, ganz in jener Verbindung zuzubringen, inzwischen bin ich mir bewußt, alles, was ich nach meinen Einsichten und Ideen thun konnte, um eine solche Trennung zu verhüten, wirklich gethan zu haben. Aus Ihrem Brief an den Onkel sehe ich, daß Sie meinen, das einzige Mittel, wovon ich Ihnen schrieb, eine Berathung mit der Gräfin, wäre wohl thunlich gewesen. Ich gestehe auch, daß ich das an sich selbst für ganz unschuldig halte, aber unter den dortigen Umständen hätte es immer etwas zweideutiges gehabt; es hätte schwerlich geschehen können, ohne daß es die Kinder bemerkt hätten, und das kann ich doch immer nicht für gut halten. Auch so wie ich handelte, sahen sie wohl oft, daß ihr Vater und ich nicht einig waren, das war aber eine offene Fehde und eine bloße Differenz in Meinungen, jenes wäre ihnen immer in dem Licht einer heimlichen Machination erschienen und ich hielt es immer für meine erste Pflicht, ihnen das Beispiel der Ehrlichkeit und Wahrheit zu geben und lieber etwas weniger klug zu handeln, als ihnen versteckt und listig zu erscheinen. Dies war ein zu gewagtes Risiko, um nicht den immer ungewissen Vortheil zu überwiegen. Noch etwas anderes, liebster Vater, hat Ihnen bei meinem Verfahren nicht gefallen, und ich habe über die Aehnlichkeit meiner Handelsweise mit den Anhaltern gar herzlich gelacht. Mit dem Danken | ist es bei mir gar eine eigene Sache. Demjenigen, mit dem ich auf einem sehr vertrauten Fuß bin, mag ich wohl danken, wiewohl auch nicht anders, als daß ich ihm entweder den Eindruck zeige, den seine Liebe auf mich macht, oder ihn mit dem Vortheil bekannt mache, den mir seine Gabe gewährt; ein anderes Danken ist mir so etwas kahles und schales, daß es über meine Zunge nicht will, und besonders für Geld, welches in Absicht des Dankes immer die geringste Gabe ist, indem es am wenigsten wahre und individuelle Theilnahme voraussetzt. Dazu kommt noch, daß diese Zahlung, wenn ich sie gleich nie gefordert haben würde, im Grunde doch des Grafen Schuldigkeit war, da seine Hitze zu unsrer unzeitigen Trennung die Veranlassung gab und daß – da solche Anekdoten immer wörtlich weit und breit bekannt werden, viele interessante Menschen, die meine Verhältnisse nicht genau kannten und mich immer in dem Verdacht hatten, daß ich mich mehr genirt und gebeugt, als mir anständig wäre, und die ich nicht mehr Hoffnung hatte zu sprechen, eine noch üblere Meinung von mir gefaßt haben würden. In Schlobitten selbst bin ich nach der leidigen Katastrophe noch beinah 14 Tage gewesen, und von denen, die ich am meisten liebte, sehr freundschaftlich, von allen sehr artig behandelt worden. – Wie leid es mir gethan hat, den lieben Ort und die guten Menschen zu verlassen, und wie oft ich noch dahin zurückdenke, das stellen Sie sich selbst vor. Eben so lange habe ich mich hernach noch in Schlodien bei Prediger Bornemann aufgehalten und während der Zeit noch mehrere liebe Leute recht genossen, die ich sonst nicht oft hatte besuchen können. – Warum sollte ich es zu Ihnen nicht sagen: ich weiß, daß ich die herzliche Liebe und Achtung aller guten Menschen mitnehme, die ich dort habe kennen lernen, und das macht mir große Freude. Auf der Durchreise habe ich mich auch in Landsberg 8 Tage aufgehalten und da für Herrn Schumann gepredigt. Das sei nun aber auch genug von mir; denn von meiner Zukunft weiß ich Ihnen doch noch nicht das geringste zu sagen. Hier habe ich einen Brief von Charlotten | gefunden, der eine sehr ausführliche Beschreibung Ihres Aufenthalts dort und der Zusammenkunft mit Carl enthält; ich gestehe gern, daß er nach Lottens und Ihrer Nachricht weit mehr ist, als ich mir vermuthet hatte, und daß ich gar sehr begierig wäre, seine Bekanntschaft zu machen. Ueberhaupt hat es mich herzlich lüstern gemacht, auch so einen Augenblick des Wiedersehns zu erleben, und wenn das so ohne weiteres ginge, so nähme ich meinen Stab und wanderte von hier nach Niesky, von Niesky nach Gnadenfrei und von Gnadenfrei nach Anhalt. – Ach wann wird das möglich sein! Wäre jetzt die Zeit, daß Sie in die Gegend von Gnadenfrei kämen, so würde ich wirklich in vollem Ernst darauf denken, aber das geschieht ja wohl nicht eher als im Herbst? Das wäre was ich gern thäte; was ich nun aber wirklich thun werde, davon weiß ich Ihnen, wie gesagt, nichts zu sagen und werde noch mehr mit dem Onkel darüber zu Rathe gehn. An Herrn Sack habe ich von Preußen aus den ganzen Vorfall ehrlich und offen geschrieben und deducirt und erwarte nun, ob und was er antworten wird, und ob ich untadelhaft vor ihm sein werde; letzteres hoffe ich nicht so ganz, weil er wirklich in zu hohem Grade Hofmann ist, als daß ich ihm klug genug sollte gehandelt haben. Ich habe ihn ersucht, mir wieder zu irgend einer Art von Geschäft behülflich zu sein, und ich wünsche von Herzen, daß es ihm gelingen mag, denn die Amtlosigkeit wird mir gewaltig schwer werden.
Daß Sie um die Ertheilung der südpreußischen Regimenter nachgesucht haben, hat mich sehr gefreut; das kann doch ein Ersatz für den Verlust werden, den Sie jetzt leiden, und ich wünsche herzlich bald von dem guten Erfolg dieses Versuchs zu hören. Eben so sehr wünsche ich Ihnen bald etwas neues von mir selbst sagen zu können; unterdeß tröste ich mich mit dem Gedanken: wer weiß wozu auch das gut ist! Eine jede Periode meines Lebens ist mir bis jetzt als eine Schule erschienen, und aus diesem Gesichtspunkte betrachtet war es wohl Zeit, meinen Aufenthalt dort zu endigen; denn was ich da lernen konnte, glaub’ ich, hatte ich gelernt. Laß nun eine neue Schule angehn, wenn sie auch nicht | so angenehm ist; ist sie nur lehrreich, so werde ich immer glauben als ein liebes Kind von dem ewigen Vater geführt zu werden; denn seine Führungen zielen alsdann dahin, mich besser und vollkommener zu machen. Den Glauben wünsche ich auch Ihnen, lieber Vater, eben so lebhaft, er wird mächtiger sein als die Besorgniß über meine jetzt freilich ungewisse Lage. Gott segne Sie und erhalte Sie gesund. Grüßen Sie herzlich die liebe Mutter und unsre kleinen von Ihrem Sie herzlich liebenden Sohn.
Liebster Vater! Seit vorgestern bin ich nun endlich wieder hier und bei dem guten Onkel das Kind im Hause wie ehedem. Daß Ihnen die Nachricht von meiner Entfernung von Schlobitten wehmüthig gewesen, glaube ich sehr gern, mir ist es ebenso ergangen und ich hätte wohl auch herzlich gewünscht, die paar Jahre, die bis zu meiner gänzlichen Versorgung noch vergehn können, ganz in jener Verbindung zuzubringen, inzwischen bin ich mir bewußt, alles, was ich nach meinen Einsichten und Ideen thun konnte, um eine solche Trennung zu verhüten, wirklich gethan zu haben. Aus Ihrem Brief an den Onkel sehe ich, daß Sie meinen, das einzige Mittel, wovon ich Ihnen schrieb, eine Berathung mit der Gräfin, wäre wohl thunlich gewesen. Ich gestehe auch, daß ich das an sich selbst für ganz unschuldig halte, aber unter den dortigen Umständen hätte es immer etwas zweideutiges gehabt; es hätte schwerlich geschehen können, ohne daß es die Kinder bemerkt hätten, und das kann ich doch immer nicht für gut halten. Auch so wie ich handelte, sahen sie wohl oft, daß ihr Vater und ich nicht einig waren, das war aber eine offene Fehde und eine bloße Differenz in Meinungen, jenes wäre ihnen immer in dem Licht einer heimlichen Machination erschienen und ich hielt es immer für meine erste Pflicht, ihnen das Beispiel der Ehrlichkeit und Wahrheit zu geben und lieber etwas weniger klug zu handeln, als ihnen versteckt und listig zu erscheinen. Dies war ein zu gewagtes Risiko, um nicht den immer ungewissen Vortheil zu überwiegen. Noch etwas anderes, liebster Vater, hat Ihnen bei meinem Verfahren nicht gefallen, und ich habe über die Aehnlichkeit meiner Handelsweise mit den Anhaltern gar herzlich gelacht. Mit dem Danken | ist es bei mir gar eine eigene Sache. Demjenigen, mit dem ich auf einem sehr vertrauten Fuß bin, mag ich wohl danken, wiewohl auch nicht anders, als daß ich ihm entweder den Eindruck zeige, den seine Liebe auf mich macht, oder ihn mit dem Vortheil bekannt mache, den mir seine Gabe gewährt; ein anderes Danken ist mir so etwas kahles und schales, daß es über meine Zunge nicht will, und besonders für Geld, welches in Absicht des Dankes immer die geringste Gabe ist, indem es am wenigsten wahre und individuelle Theilnahme voraussetzt. Dazu kommt noch, daß diese Zahlung, wenn ich sie gleich nie gefordert haben würde, im Grunde doch des Grafen Schuldigkeit war, da seine Hitze zu unsrer unzeitigen Trennung die Veranlassung gab und daß – da solche Anekdoten immer wörtlich weit und breit bekannt werden, viele interessante Menschen, die meine Verhältnisse nicht genau kannten und mich immer in dem Verdacht hatten, daß ich mich mehr genirt und gebeugt, als mir anständig wäre, und die ich nicht mehr Hoffnung hatte zu sprechen, eine noch üblere Meinung von mir gefaßt haben würden. In Schlobitten selbst bin ich nach der leidigen Katastrophe noch beinah 14 Tage gewesen, und von denen, die ich am meisten liebte, sehr freundschaftlich, von allen sehr artig behandelt worden. – Wie leid es mir gethan hat, den lieben Ort und die guten Menschen zu verlassen, und wie oft ich noch dahin zurückdenke, das stellen Sie sich selbst vor. Eben so lange habe ich mich hernach noch in Schlodien bei Prediger Bornemann aufgehalten und während der Zeit noch mehrere liebe Leute recht genossen, die ich sonst nicht oft hatte besuchen können. – Warum sollte ich es zu Ihnen nicht sagen: ich weiß, daß ich die herzliche Liebe und Achtung aller guten Menschen mitnehme, die ich dort habe kennen lernen, und das macht mir große Freude. Auf der Durchreise habe ich mich auch in Landsberg 8 Tage aufgehalten und da für Herrn Schumann gepredigt. Das sei nun aber auch genug von mir; denn von meiner Zukunft weiß ich Ihnen doch noch nicht das geringste zu sagen. Hier habe ich einen Brief von Charlotten | gefunden, der eine sehr ausführliche Beschreibung Ihres Aufenthalts dort und der Zusammenkunft mit Carl enthält; ich gestehe gern, daß er nach Lottens und Ihrer Nachricht weit mehr ist, als ich mir vermuthet hatte, und daß ich gar sehr begierig wäre, seine Bekanntschaft zu machen. Ueberhaupt hat es mich herzlich lüstern gemacht, auch so einen Augenblick des Wiedersehns zu erleben, und wenn das so ohne weiteres ginge, so nähme ich meinen Stab und wanderte von hier nach Niesky, von Niesky nach Gnadenfrei und von Gnadenfrei nach Anhalt. – Ach wann wird das möglich sein! Wäre jetzt die Zeit, daß Sie in die Gegend von Gnadenfrei kämen, so würde ich wirklich in vollem Ernst darauf denken, aber das geschieht ja wohl nicht eher als im Herbst? Das wäre was ich gern thäte; was ich nun aber wirklich thun werde, davon weiß ich Ihnen, wie gesagt, nichts zu sagen und werde noch mehr mit dem Onkel darüber zu Rathe gehn. An Herrn Sack habe ich von Preußen aus den ganzen Vorfall ehrlich und offen geschrieben und deducirt und erwarte nun, ob und was er antworten wird, und ob ich untadelhaft vor ihm sein werde; letzteres hoffe ich nicht so ganz, weil er wirklich in zu hohem Grade Hofmann ist, als daß ich ihm klug genug sollte gehandelt haben. Ich habe ihn ersucht, mir wieder zu irgend einer Art von Geschäft behülflich zu sein, und ich wünsche von Herzen, daß es ihm gelingen mag, denn die Amtlosigkeit wird mir gewaltig schwer werden.
Daß Sie um die Ertheilung der südpreußischen Regimenter nachgesucht haben, hat mich sehr gefreut; das kann doch ein Ersatz für den Verlust werden, den Sie jetzt leiden, und ich wünsche herzlich bald von dem guten Erfolg dieses Versuchs zu hören. Eben so sehr wünsche ich Ihnen bald etwas neues von mir selbst sagen zu können; unterdeß tröste ich mich mit dem Gedanken: wer weiß wozu auch das gut ist! Eine jede Periode meines Lebens ist mir bis jetzt als eine Schule erschienen, und aus diesem Gesichtspunkte betrachtet war es wohl Zeit, meinen Aufenthalt dort zu endigen; denn was ich da lernen konnte, glaub’ ich, hatte ich gelernt. Laß nun eine neue Schule angehn, wenn sie auch nicht | so angenehm ist; ist sie nur lehrreich, so werde ich immer glauben als ein liebes Kind von dem ewigen Vater geführt zu werden; denn seine Führungen zielen alsdann dahin, mich besser und vollkommener zu machen. Den Glauben wünsche ich auch Ihnen, lieber Vater, eben so lebhaft, er wird mächtiger sein als die Besorgniß über meine jetzt freilich ungewisse Lage. Gott segne Sie und erhalte Sie gesund. Grüßen Sie herzlich die liebe Mutter und unsre kleinen von Ihrem Sie herzlich liebenden Sohn.