Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
TEI-Logo

Friedrich Schleiermacher to Samuel Heinrich Catel

Drossen d 17t Juli 93.
Das ist arg, daß ich, der ich sonst immer das Privilegium habe über die Saumseligkeit meiner Correspondenten Dissertationen zu schreiben nun selbst zu Kreuz kriechen und das guilty einer halbjährigen Schuld über mich aussprechen muß. Doch, wenn Du nicht etwa schon durch die dritte Hand von meinen neuesten Begebenheiten unterrichtet bist so wirst Du Dich über die Ueberschrift wundern und darüber zuerst Auskunft verlangen. Es ist nun schon über 8 Wochen, daß ich aus meiner preußischen Condition heraus bin und das Dir so oft und warlich mit Recht gerühmte Elisium für mich verschwunden ist. Schon eine Zeitlang hatte ich mancherlei Streitigkeiten mit dem Grafen gehabt der sich seit einem Jahr mehr in meine Affairen mischte als vorher und dann für seine unkultivirten oft rohen und verwirrten Ideen und Vorschläge mehr Respekt und Achtung foderte als ich ihm leisten konnte, denn ich widersprach ihm unaufhörlich und brachte wenig davon in Ausübung. Doch that ich es immer mit so guter Art daß wir dennoch fertig wurden und auch er seinerseits that seinem von Natur sehr heftigen Temperament viel Gewalt. Allein durch die Länge der Zeit hat ihn dieser Zustand doch aigrirt einmal wurde er wüthig und grob und meinte auf den Fuß ginge es nicht, er hätte seine Kinder ohne mich immer zu erziehen gewußt. Natürlich konnte ich das nicht auf die Erde fallen lassen sondern mußte um nicht noch etwas deutlicheres zu hören selbst deutlich sprechen, und so kamen wir auseinander. Das ist das kurze Compendium | dieser Geschichte. Uebrigens sind wir nicht etwa im Bösen von einander geschieden sondern noch sehr freundschaftlich über 14 Tage beisammen gewesen; und beim Abschied hat der Graf Thränen geweint; auch ich war nicht ungerührt denn Du kannst Dir leicht denken, daß mir diese im Ganzen nicht unerwartete aber nie so nahe gedachte Begebenheit in vieler Rüksicht sehr unangenehm ja schmerzlich gewesen ist. Ich habe mich hernach noch über 14 Tage in Preussen aufgehalten, und noch sehr viel Annehmlichkeiten da genossen. Fast eben so lange hab ich bei meinen Verwandten in Landsberg a. d. Warthe zugebracht, und nun bin ich seit 3 Wochen hier. Was nun weiter werden wird das mögen die Götter sorgen; ich size unterdeß hier und studire, was ich lange nicht mit solcher Bequemlichkeit habe thun können. Am Ende der künftigen Woche werde ich auf einige Tage nach Berlin kommen, nicht um irgend etwas zu suchen sondern nur um die dasigen Menschen zu sehn und mich zu präsentiren; sollte ich indeß etwas finden so würde ich es nicht ungern sehn. Ich habe zwar schon wieder einen neuen Hofmeister Vorschlag zum General Hanstein nach Danzig aber bis auf nähere Kenntniß der Umstände hab ich noch keine bestimte Antwort drauf ertheilen können. Ich wünschte daß ich bei meiner Ankunft in Berlin gleich erführe ob ich Dich in Deinem Hause, oder sonst wo am besten sprechen kann; denn die wenigen Tage werden mir sehr edel seyn und ich werde StaatsVisiten die schwere Menge zu machen haben. Wenn Du also gelegentlich auf irgend eine Weise eine Notiz davon zum Prediger Reinhardt bringen könntest wo ich zu logiren denke, so thätest Du mir einen großen Dienst damit. Bei dieser Nähe einer | persönlichen Zusammenkunft wäre es unnöthig noch ein weiteres schriftlich zu verhandeln und ich schliesse also in der Hofnung Dich nach beinah 3 Jahren zu nicht geringem Jubel wiederzusehn. Vale
Schleiermacher.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 17. Juli 1793
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Samuel Heinrich Catel ·
  • Place of Dispatch: Drossen ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 308‒309.

Basics · Zitieren