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Friedrich Carl Gottlieb von Duisburg to Friedrich Schleiermacher

Danzig, d. 14 Mey 1794.
Hochwürdigster geistlicher Hirte,
Andächtigst zu verehrender geistlicher Herr Adjutant,
In tiefster Ehrfurcht nahe ich mich zu Dero geistlichen Wohnkasten, um tiefgebückt, vom Schulstaube verunreinigt, und mit Gedickens Lehrbuche unter dem Arme, meinen allerunterthänigsten Glückwunsch vor Ew. Hoch und Wohlwürden in ängstlicher Demuth herauszustottern. Zu viel Gnade, Hochwürdigster Herr, zu viel Gnade für einen armen Cantor daß Dieselben Dero höchst zu venerirende Schlaf- und Nachtmütze mit Dero heiligen Händen meinetwegen höchstgnädigst mit Dero Händen abnehmen zu wollen, eine Geberde machen. Schon das leise Nicken Dero geweihten Haubtes war belebender Sonnenblick für den Wurm im Staube. Erlauben Dieselben mich in Dero Schutz, Wohlgewogenheit und Gebet zu empfehlen und – – – nä, hohl den Pfaffen der – –, jetzt reden die Freunde zusammen.
Herzlich angenehm war mir Dein Brief, schon aus dem Grunde weil ich allbereits einen Brief an Deinen Onkel Stubenrauch fertig hatte, der den folgenden Tag abgehen sollte, und worin ich ihn um Nachrichten von Dir bat; denn Dein langes Schweigen war mir so unerklärlich, wie Dir das meinige erklärlich ist; Herzlich angenehm war mir Dein Brief, weil ich Dich doch nun auch einmal in dem verdrüßlichen Falle antreffe, Dich entschuldigen zu müßen; Herzlich angenehm war mir Dein Brief, weil ich nun doch weiß, wo man Dich zu suchen hat; daß ich weiß daß Du gesund und wohl bist und daß ich mich Deines Glücks mit Dir freuen kann. Ein jeder sieht immer die Lage des andern aus einem vortheilhafteren Gesichtspunckte an, als seine eigene; vielleicht geht es Dir so in Rücksicht meiner, ich aber weiß daß ich Deine Lage gewiß für beßer und glücklicher | achte, als Du selbst zu thun scheinst. Schulstaub – ist nicht das, wofür man ihn ausschreit, er hat sich ziemlich aus unsern Schulen verlohren; und wenn er noch da ist, so ist es Staub den wir entweder selbst, oder den die Herren Collegen uns machen. Und in dem letzteren Fall bin ich. Auf der einen Seite habe ich mit dem falschen, ränckevollen Bellair, und auf der andern mit einem mißtrauischen, allenthalben ränckewitternden und niedrig intreßirten Menschen zu kämpfen. Das macht mir oft solchen Staub, daß ich einen Stockschnupfen davon bekommen möchte. Wenn Du in Deinem Landsberg eine reformirte Schule hättest, und ich dorthin placirt werden könnte, wahrlich ich würde mit Vergnügen das metamorphosirte Danzig verlaßen, und in einem ruhigen Landstädtchen, in der Gesellschaft und dem Umgänge meines Einzigen Freundes mein Leben aufzehren. Hier in Danzig gefalle ich mir nicht. Große Städte, so viel Reitz sie auch für andere haben mögen, sind mir aus vielen Rücksichten unausstehlich. Die Menschen sollen freylich zusammen wohnen, aber sie sollen sich nicht zusammenschichten, wie die Heeringe, das giebt Faulfieber für den Körper wie für das Herz. Die Natur muß dem Menschenhauffen weichen und – ists nicht wahr, Freund? – der Großstädter muß immer erst einige Stundenwegs wandern, ehe er die unkünstelte und unverschnittene Natur zu sehen bekömmt. Es ist wahr unsere Allee ist schön, aber wandern da nicht immer in der schnurgeraden Allee, die wie ein Regiment aufgestellt ist, Menschen, die wie auf einem Tanzboden, steif und regelmäßig einherschreiten, um alle Augenblicke zu dem elegantesten Compliment bereit zu seyn; die Augen machen, als ob ein Elephant erschiene, wenn ein schlichter ungenirter Alltagsmensch unter ihnen durchläuft, und die nicht der Natur, sondern der Menschen wegen da einher wandlen? Marschire bis nach der Oliva; sind die herrlichen Gegenden nicht durch die Prachtgärten und Prachtgebäude der Reichen entstellt, die sich da hingezogen haben, wie Vorposten, um die | simple Natur zurückzuhalten, damit sie sich nicht der großen Stadt nähere? Wie schön muß es sich in einem Städtchen wohnen, wo die Einwohner halb Bürger und halb Landleute sind; wo man beym ersten Schritt aus dem Thor, schon die reiche seegnende Natur in ungekünstelter Schönheit sieht und die Menschen, in unverkünstelten Anzug, sich der Natur und ihres Lebens in derselben freun, wie und wo sie können! – Aber ich bin ganz aus meinem Wege gekommen, und ein regelrechter Briefsteller würde das ganze Pensum durchstreichen müßen. Aber ein Brief an einen Freund, ist kein Pensum; und die Freundschaft, die sich nicht nach Regeln schließt, schreibt und redet auch nicht nach Regeln.
d. 19 Mey.
Nun mache mir doch einen kleinen Begriff von Deinem überstandenen Examen. Oder ist es mit uns Reformirten noch nicht so arg, als mit den Lutheranern. Nach den neuesten Cabinetsordern, die in dem letztem Stück des Altonaer Merkurs zu lesen sind, sollen Teller und Zöllner, die namentlich als bekannte Neologen genannt werden, aus besondern Gnaden noch eine Weile geduldet werden, aber bey dem Examen sollen sie nichts mehr zu thun und auch kein Votum mehr haben. Doch Du wirst das alles auch schon gelesen und – – haben. Aber mehrere Freunde, die von Deiner nun eben vorgegangenen Ordination gehört haben, wünschen jetzt Auskunft über die Lage und das Benehmen der reformirten Kirchen Direcktion. Mein Vater und Troschel laßen Dich beide gratuliren und der erstere nimmt wahren warmen Antheil an Deinem Glück. Wie sehr ich und meine Frau uns beym Anblick Deines Briefes freuten, das magst Du Dir selbst sagen, wenn Du es weißt daß ich Dich von ganzen Herzen liebe. Aber auch unserm Loos gehört noch immer ein ansehnliches Winckelchen meines Herzens, denn habe ich ihm nicht so manche schöne, so manche froh genoßene, in angenehmen Träumereyen verlebte Stunden zu verdancken? Und würde ich ohne ihm Deine Bekanntschaft und darauf unsere Freundschaft gegründet haben? Wenn Du Nachrichten von dem guten Jungen hast, so laß sie mir doch auch wißen; und solltest Du an ihm schreiben, so versichere ihn auch meines innigen Andenckens. Ach wie glücklich, da wir noch Giebichensteins Felsen bestiegen! Wie sorgenlos schlug unser Herz, als wir auf des Petersbergs hoher Stirn, die Sonne erwarteten! Ich rechne jene Tage, unter die genoßensten meines Lebens! – ! – ! Vielleicht ist Dir das ein Räthsel, aber erlaß mir die Auflösung! – Hast Du Hallos glücklichen Abend gelesen und Theodors glücklichen Morgen? Allem Vermuthen nach werde ich unter dem Flügel einer Vorrede ihres Verfaßers | ein Bändchen Aufsätze herausgeben, unter dem Titel: Theokles, für Freunde der Religion und der Andacht. Die Hälfte des Manuscripts ist jetzt in seinen Händen, zu Leipzig. – Sonst habe ich mich jetzt in das Geographische Fach geworffen und werde mit demselben meine übrigen Lebenstage beschäftigen. Sollte Dir eine Ankündigung eines Repertorii für Geographie, Topographie und Statistick in die Hände lauffen, so dencke an mich. Jetzt beschäftigt mich haubtsächlich eine mühevolle Arbeit, da ich alles zusammensammle, was die Topographie Danzigs betrift, um nach Nicolaischem Plan, eine Beschreibung Danzigs mit der Zeit ans Licht zu stellen. Den ersten rohen Entwurf, wird der Handlungsalmanach für 1795 als Anhang für Reisende enthalten. Du siehst daraus, daß ich nicht träge und geschäftlos bin. Mein Amt als erster Redner und Bibliothekar bey unserer Loge, giebt mir auch mancherley Arbeiten. –
Meine kleine Karline, wird ein schönes Mädchen werden, wenn sie von den Blattern gnädig behandelt wird. Sie hat ein kleines rundes Gesicht, eine niedliche Nase, die sich vielleicht zu einer kleinen Habichtsnase auswächst. Ein paar große Veilchenblaue Augen, die durch ein paar scharf gerißene Augenbraunen gehoben werden. Ein tiefes Grübchen im Kinn, und ein Mund, der nicht kleiner seyn kann, lächelt schon jetzt so hold und himmlisch, als ob er die süßesten Gefühle der Liebe mittheilen wolle. Was mich sehr besorgt macht, ist: daß sie noch keine Zähne hat. Ein frömmeres, und doch auch lebhafteres Kind kannst Du Dir nicht dencken – – aber ich muß abbrechen, sonst bin ich unerschöpflich in der Beschreibung meiner Karline. Vielleicht bin ich künftiges Jahr auch Vater eines kleinen Jungens. Hofnung ist schon da. Meine Frau, die sich Deiner mit sehr vielem Antheil erinnert, ist recht wohl auf und wünscht Dich in pontificalibus zu sehen. Ich bin, wie immer, gesund, aber das liebe Portenbier, dem Du so gute Eigenschaften beylegst, kann diese nicht mehr bey mir an den Tag legen, weil wir preußische Zeiten haben, d. h. wo man sich einschräncken und sich mit dem Nothdürftigem behelfen muß. – Meine beiden alten Eltern, fangen sehr an zu kräncklen und ich fürchte sie nicht lange mehr zu besitzen. Und verliehre ich die, so hat Danzig auch durchaus nichts mehr, was mich daran feßeln könnte. Karl läßt Dich auch tausendmal grüßen. Nun glaube ich daß Du mit mir zufrieden seyn kannst, ich kann mir nicht erinnern, kürtzlich einen so langen Brief angefertigt zu haben. Wenn Dir die Zeit beym Lesen lang wird, so hast Du Dir selbst die Schuld bey zu meßen, weil Du auf lange Briefe mich ehedem verpflichtet hast. Lebe recht wohl, mein guter Schleyermacher, und sey versichert von der gantzen Freundschaft und Liebe Deines
Duisburg.
Diesen Brief empfängst Du über Berlin. Troschel wird ihn an den Buchhändler Wever einschließen. Wenn Du Gelegenheit hast nach Berlin oder Franckfurth, so sende meine Briefe an den Buchhändler Wever zu EinSchluß an Herrn Troschel, oder liegt Dir Franckfurth bequemmer, an den dortigen Buchhändler. Seinen Nahmen habe ich vergeßen. Es soll aber nur einer seyn. Auf die Art besparen wir Beide ein ansehnliches an porto.
Metadata Concerning Header
  • Date: 14. bis 19. Mai 1794
  • Sender: Friedrich Carl Gottlieb von Duisburg ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Danzig · ·
  • Place of Destination: Landsberg (Warthe) · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 347‒351.

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