Anhalt, den 3ten Juli 1794.
Mein lieber Sohn! Daß ich seit zwei Monaten, da ich Deinen letzten Brief erhielt, Dir zu Deinem neuen Amte Glück und Gottes Segen wünsche, daran wirst Du nicht zweifeln. [. . .] Nach der Beschreibung, die Du mir von Deiner Berlinischen Lage gemacht hast, danke ich Gott noch mehr, daß Du nach Landsberg gekommen bist, bin aber darüber auch herzlich froh, daß Du Dich in Berlin mit so vieler Klugheit benommen hast. Deine literarischen Thränen, die Du bei Deinem Weggehen von Berlin hättest | weinen mögen, wundern mich nicht; ich denke aber, Du wirst mit Fuhren von Berlin Gelegenheit haben, Dir von da Bücher zu lehnen; denn vor dem Ankauf hüte Dich, so viel Du kannst. Ist erst die Garnison wieder in Landsberg, so wirst Du auch da manches gute Buch bekommen können. Ich wünsche von Dir eine concentrirte Darstellung des platonischen Systems zu lesen: das von Spinoza kenne ich ziemlich aus Jacobi und zweifle, daß jenes so consequent sein wird. Sage mir auch etwas von Deinen Untersuchungen über die politische Philosophie der Alten, von der ich nichts weiß; was ich darüber in [. . .] Grundsätzen, übersetzt von Garven, gelesen, ist mir sehr gründlich vorgekommen. Aber über nichts wundere ich mich so sehr, als daß noch immer die Gelehrten über Kant’s Philosophie so streitig sind, obschon ich selbst gern bekenne, daß ich sie nicht verstehe, und noch mehr befremden mich die Urtheile über seine Religion in den Grenzen der Vernunft, wie ich sie aus Deinem Briefe lese, und die mir auf einen so alten würdigen und moralisch guten Mann, als wofür ich nach allen Nachrichten Kant halten muß, gar nicht zu passen scheinen. Ich hoffe, daß, wenn Du das Buch gelesen hast, Du Dich überzeugen wirst, der Mann könne es aus keiner andern als guten Absicht geschrieben haben, welches auch sein hoher moralischer Sinn, den man in allen seinen Schriften wahrnimmt, verbürget.
Vor allem andern verlangt mich sehr zu wissen, ob Du in Landsberg zufrieden und glücklich bist, wie hoch Deine Einnahme ist, was für Geschäfte Du hast, welchen Umgang, wie Du mit Herrn Schumann stehst und ob Du bei ihm wohnst? von dem Benekischen Hause und ob Dir nicht schon einige Meubles sind verschafft worden, denn nur 2 Tische und 3 Stühle zu haben ist doch armselig genug. Ach, daß ich Dir helfen könnte, aber es geht nicht, lieber Sohn, die Federn sind ausgezogen und Carl wird wohl den Rest nehmen. Soviel ich mich besinnen kann, muß die Gegend um Landsberg ganz angenehm sein. Ach wie gern wollt’ ich Dich besuchen, aber woher das Geld nehmen, dazu sehe ich vor der Hand keine Möglichkeit, obschon der Onkel es | sehr leicht damit zu nehmen scheint. Die Vorsehung müßte mir ein besonderes Glück zuwenden und dann habe ich, wie Du weißt, auch Pflichten gegen meine jüngeren Kinder und ihre Mutter und wünsche als ein ehrlicher Mann zu sterben. Bis jetzt aber bin ich noch nicht ganz rein von Schulden; es würde also in dieser Lage und bei meinem Alter Leichtsinn sein, eine Reise zu thun, die ich unter 100 Rthl. nicht machen könnte; ich werde lieber der alten Regel folgen: ibant quo poterant, übrigens mich damit trösten, daß meine abwesenden Kinder die Entbehrung des Wiedersehens, durch ihre Briefe und daß sie die Freude meines Alters sind und bleiben, mir ersetzen werden. Von Lottchen wirst Du wohl jetzt schon den schönen langen Brief haben, von dem sie einen Theil mir vorlas, als wir uns bei Kottwitzen sahen. O dieser verehrungswürdige Hospitalit hat uns schon manche Freude gemacht, welche Gott ihm reichlich lohnen wolle; ein Mann von dem edelsten Herzen, der einen nicht gemeinen Verstand und ein feines Gefühl hat; ich wünsche Du möchtest ihn kennen. Freilich schwärmt er ein wenig in persönlicher Connexion mit dem Heiland, ist aber dabei ehrlich, und sein viel umfassendes Herz macht ihn allen, die ihn kennen, liebenswerth.
Ich wünsche denn nun auch von Dir etwas umständliches zu lesen über das Schöne, was Du in Berlin gesehn und gehört hast; dadurch wirst Du ja das genossene Vergnügen Dir selbst wieder vergegenwärtigen, und hievon halte ich sehr viel. Wie lebt denn Herr Wilmsen in seinem Hause und sonst? Lebt denn die Frau Räthin Bamberger noch, diese beste Freundin Deiner seligen Mutter? in welchem Hause warst Du am liebsten? und hast Du einen eigentlich wahren Freund in Berlin? Hast Du die Bekanntschaft des Herrn Gentz gemacht und seinen übersetzten Mallet du Pan und Burke gelesen? wirst Du in Landsberg Gelegenheit haben Deinen zu meiner Freude erlangten Geschmack an der Musik zu befriedigen? Wundere Dich nicht über die vielen Fragen, es sind lauter Brief-Materiale. Melde mir doch auch Deine vorzügliche Lectüre und wenn Du kannst, so schicke mir Deine Antritts-Predigt. Ich lese jetzt in müßigen Stunden, und oft mit der Mutter gemeinschaftlich, Bahrdt’s Handbuch der Moral für den Bürgerstand, ein vortreffliches Buch, aber im Sommer | ist dazu nicht viel Zeit übrig. Schreibe doch bald und recht viel, eine Antwort auf die Frage nach Deiner Gesundheit bist Du mir noch schuldig. Wir alle grüßen Dich herzlich. Mit der zärtlichsten Liebe umfaßt Dich Dein alter Vater. –
Mein lieber Sohn! Daß ich seit zwei Monaten, da ich Deinen letzten Brief erhielt, Dir zu Deinem neuen Amte Glück und Gottes Segen wünsche, daran wirst Du nicht zweifeln. [. . .] Nach der Beschreibung, die Du mir von Deiner Berlinischen Lage gemacht hast, danke ich Gott noch mehr, daß Du nach Landsberg gekommen bist, bin aber darüber auch herzlich froh, daß Du Dich in Berlin mit so vieler Klugheit benommen hast. Deine literarischen Thränen, die Du bei Deinem Weggehen von Berlin hättest | weinen mögen, wundern mich nicht; ich denke aber, Du wirst mit Fuhren von Berlin Gelegenheit haben, Dir von da Bücher zu lehnen; denn vor dem Ankauf hüte Dich, so viel Du kannst. Ist erst die Garnison wieder in Landsberg, so wirst Du auch da manches gute Buch bekommen können. Ich wünsche von Dir eine concentrirte Darstellung des platonischen Systems zu lesen: das von Spinoza kenne ich ziemlich aus Jacobi und zweifle, daß jenes so consequent sein wird. Sage mir auch etwas von Deinen Untersuchungen über die politische Philosophie der Alten, von der ich nichts weiß; was ich darüber in [. . .] Grundsätzen, übersetzt von Garven, gelesen, ist mir sehr gründlich vorgekommen. Aber über nichts wundere ich mich so sehr, als daß noch immer die Gelehrten über Kant’s Philosophie so streitig sind, obschon ich selbst gern bekenne, daß ich sie nicht verstehe, und noch mehr befremden mich die Urtheile über seine Religion in den Grenzen der Vernunft, wie ich sie aus Deinem Briefe lese, und die mir auf einen so alten würdigen und moralisch guten Mann, als wofür ich nach allen Nachrichten Kant halten muß, gar nicht zu passen scheinen. Ich hoffe, daß, wenn Du das Buch gelesen hast, Du Dich überzeugen wirst, der Mann könne es aus keiner andern als guten Absicht geschrieben haben, welches auch sein hoher moralischer Sinn, den man in allen seinen Schriften wahrnimmt, verbürget.
Vor allem andern verlangt mich sehr zu wissen, ob Du in Landsberg zufrieden und glücklich bist, wie hoch Deine Einnahme ist, was für Geschäfte Du hast, welchen Umgang, wie Du mit Herrn Schumann stehst und ob Du bei ihm wohnst? von dem Benekischen Hause und ob Dir nicht schon einige Meubles sind verschafft worden, denn nur 2 Tische und 3 Stühle zu haben ist doch armselig genug. Ach, daß ich Dir helfen könnte, aber es geht nicht, lieber Sohn, die Federn sind ausgezogen und Carl wird wohl den Rest nehmen. Soviel ich mich besinnen kann, muß die Gegend um Landsberg ganz angenehm sein. Ach wie gern wollt’ ich Dich besuchen, aber woher das Geld nehmen, dazu sehe ich vor der Hand keine Möglichkeit, obschon der Onkel es | sehr leicht damit zu nehmen scheint. Die Vorsehung müßte mir ein besonderes Glück zuwenden und dann habe ich, wie Du weißt, auch Pflichten gegen meine jüngeren Kinder und ihre Mutter und wünsche als ein ehrlicher Mann zu sterben. Bis jetzt aber bin ich noch nicht ganz rein von Schulden; es würde also in dieser Lage und bei meinem Alter Leichtsinn sein, eine Reise zu thun, die ich unter 100 Rthl. nicht machen könnte; ich werde lieber der alten Regel folgen: ibant quo poterant, übrigens mich damit trösten, daß meine abwesenden Kinder die Entbehrung des Wiedersehens, durch ihre Briefe und daß sie die Freude meines Alters sind und bleiben, mir ersetzen werden. Von Lottchen wirst Du wohl jetzt schon den schönen langen Brief haben, von dem sie einen Theil mir vorlas, als wir uns bei Kottwitzen sahen. O dieser verehrungswürdige Hospitalit hat uns schon manche Freude gemacht, welche Gott ihm reichlich lohnen wolle; ein Mann von dem edelsten Herzen, der einen nicht gemeinen Verstand und ein feines Gefühl hat; ich wünsche Du möchtest ihn kennen. Freilich schwärmt er ein wenig in persönlicher Connexion mit dem Heiland, ist aber dabei ehrlich, und sein viel umfassendes Herz macht ihn allen, die ihn kennen, liebenswerth.
Ich wünsche denn nun auch von Dir etwas umständliches zu lesen über das Schöne, was Du in Berlin gesehn und gehört hast; dadurch wirst Du ja das genossene Vergnügen Dir selbst wieder vergegenwärtigen, und hievon halte ich sehr viel. Wie lebt denn Herr Wilmsen in seinem Hause und sonst? Lebt denn die Frau Räthin Bamberger noch, diese beste Freundin Deiner seligen Mutter? in welchem Hause warst Du am liebsten? und hast Du einen eigentlich wahren Freund in Berlin? Hast Du die Bekanntschaft des Herrn Gentz gemacht und seinen übersetzten Mallet du Pan und Burke gelesen? wirst Du in Landsberg Gelegenheit haben Deinen zu meiner Freude erlangten Geschmack an der Musik zu befriedigen? Wundere Dich nicht über die vielen Fragen, es sind lauter Brief-Materiale. Melde mir doch auch Deine vorzügliche Lectüre und wenn Du kannst, so schicke mir Deine Antritts-Predigt. Ich lese jetzt in müßigen Stunden, und oft mit der Mutter gemeinschaftlich, Bahrdt’s Handbuch der Moral für den Bürgerstand, ein vortreffliches Buch, aber im Sommer | ist dazu nicht viel Zeit übrig. Schreibe doch bald und recht viel, eine Antwort auf die Frage nach Deiner Gesundheit bist Du mir noch schuldig. Wir alle grüßen Dich herzlich. Mit der zärtlichsten Liebe umfaßt Dich Dein alter Vater. –