Viel zu lange, mein bester Graf, habe ich Ihren Brief unbeantwortet gelaßen, einen Brief der mir umso werther ist, weil der Auftrag, den Sie mir darin gütigst ertheilten, mir ein wahrer Beweis Ihres freundschaftlichen Zutrauens seyn kann. Mein Zaudern ist um so strafbarer, da Ihnen damals an der | Sache wirklich gelegen war, und sie jezt vielleicht durch die Länge der Zeit ihren Werth für Sie gänzlich verloren hat. Ich weiß mich auch mit nichts zu entschuldigen als Anfangs mit den ungewohnten und wirklich gehäuften Geschäften eines neuen Amts, und zulezt mit einer langen Kränklichkeit, die von einer sehr tief eingewurzelten allgemeinen Verschleimung herrührt und mir erst seit wenigen Tagen wieder erlaubt zu schreiben, indem ich eine lange Zeit hindurch keine Feder fest zu halten im Stande war. Inzwischen wenn es Ihnen auch jezt noch nicht ganz gleichgültig ist zu wissen, wie Schmiedike über die Sache denkt und was er eigentlich gemeint hat, so kann ich Sie mit vieler Gewißheit versichern, daß Schmiedike sehr viel persönliche Achtung für Ihren Charakter und sehr viel freundschaftliche Zuneigung für Sie fühlt, auch hatte er mich heilig versichert – und ich wollte selbst mit allem was mir lieb ist für die Wahrheit dieser Versicherung bürgen – daß er Sie viel zu sehr schäze, als daß ihm jemals der geringste Gedanke daran hätte in den Sinn kommen können, daß Sie persönlich auch nur den kleinsten und entferntesten Antheil an dem Zurükgehn seiner Wünsche hätten; auch erinnerte er sich sehr gut aller der Gespräche, welche Sie in sein Gedächtnis zurükrufen wollten. Allein das konnte er nicht läugnen, daß er in dem Gesichtspunkt, woraus er die Sache angesehn, auf die Vermuthung gekommen, daß der Minister seine Wünsche deswegen unerhört gelaßen, um Ihnen desto sicherer den Vortheil zu verschaffen in Berlin zu bleiben, und zwar habe er diesen Gedanken ergriffen, weil ihm kein anderer Erklärungsgrund übrig geblieben; und da er sich jezt durch alle Ihre Vorstellungen genöthigt sah diese Vermuthung aufzugeben, so war er ganz rathlos was er sich für eine Ursach denken sollte. Er gab zu, daß sein Vorsprung im Examen vielleicht bloß auf der Idee ihn nach Südpreußen zu schiken beruht habe; er gab zu, daß er die Sache eine ganze Zeitlang sehr eifrig betrieben, und daß er auch schon lange dahin möge bestimmt gewesen seyn; er sah auch ein, daß der Minister unmöglich immer im Stande seyn könne, auf die zurükgenommenen Wünsche eines Einzelnen Rüksicht zu nehmen; allein diesmal meinte er sei Seine Exellenz sehr zeitig und sehr ausführlich führlich durch den K. D. von Knoblauch von seinen neuen Wünschen und ihren sehr triftigen Gründen unterrichtet gewesen, und hätte also gewiß seine Arrangements wenn sonst nichts im Wege gestanden hätte, noch anders einrichten können. Daß Sie glaubten er habe ihn vorzüglich weil er ein guter Arbeiter wäre so gern nach Südpreußen geschikt, sei zwar eine sehr gütige Meinung von Ihnen, er könne ihr aber nicht beitreten weil er Gelegenheit genug gehabt, sich zu überzeugen, daß er bei dem Minister in keinem so guten Kredit stehe. Die Sache bleibt ihm also ganz unerklärbar, aber weil sie einmal nicht zu ändern ist, so beruhigt er sich auch bei dieser Unerklärbarkeit. Er war übrigens sehr gerührt über die Mühe die Sie Sich gegeben einen so ausführlichen Brief bei nächtlicher Weile zu schreiben, um ihn von der Unstatthaftigkeit seiner im Mißmuth gefaßten Idee zu überzeugen, weil er das als einen sehr sichern Beweis Ihrer Achtung | und Zuneigung gegen ihn ansah. Er bat mich wiederholt Sie der seinigen aufs herzlichste zu versichern, wie auch davon daß er keinen Augenblik im Stande gewesen an Ihrem edeln Charakter zu zweifeln. Ich habe einen sehr vergnügten Abend mit ihm zugebracht und seine lezte Bitte war noch daß ich dies doch ja nicht vergeßen möchte. – Sie schreiben mir nichts von Ihrem Ergehen, und ich glaube deswegen, daß Ihre Lebensart noch ihren alten bewundernswürdigen und fast unbegreiflichen Gang fortgeht: unter gehäuften Geschäften, einer erstaunend emsigen Lektüre und doch noch sehr viel Umgang in sehr verschiedenen Cirkeln. Wenn Sie mir etwas von Ihren Nachrichten aus Preußen und wie es Graf Louis in seiner Campagne geht mitgetheilt hätten, so würden Sie dadurch zugleich die Gebühren für Ihre Commission auf eine sehr liberale und reichliche Art entrichtet haben; ich werde mich aber an Ihren Bruder Graf Wilhelm halten, welcher mir versprochen hat, mich auf seiner Reise nach Berlin zu besuchen. Was mich übrigens anbelangt so hungre und durste ich vergeblich nach etwas Literatur und Gelehrsamkeitszeug; um inzwischen doch etwas zu thun nage ich an der räuchrigen Schwarte der Kantischen Philosophie, nur daß es mir auch in diesem eingeschränkten Fach an Büchern fehlt. Es ist doch traurig, daß man ohne Geld gar nichts leisten kann. Wenn Sie Brinkmann, Spalding oder sonst jemand sehn der mich kennt, so grüßen Sie herzlich, und fahren Sie fort mir ein wenig von Ihrer Freundschaft und Ihrem Wolwollen zu schenken.
Schleiermacher.
Landsberg a. W. d. 8. Aug. 1794.
Schleiermacher.
Landsberg a. W. d. 8. Aug. 1794.