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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher

d 13t Oct 1794
Ich weiß wol, meine Beste, daß ich billig schon eher hätte einen Brief an Dich unternehmen sollen, aber Du kannst sicher glauben daß das als eine schwere Last, als ein drükendes Geschäft diese ganze Zeit über auf mir gelegen hat; ich habe gar nicht den Muth von der traurigen Begebenheit mit Dir zu reden, die der Himmel über uns verhängt hat; ich kann Dir nichts zurükgeben als den traurigen Wiederhall Deiner eigenen Klagen – auch das kann ich nicht einmal. Seine liebevolle zärtliche Seele steht in tausenderlei Bildern vor mir und ich kann mich in die traurige Gewißheit noch gar nicht finden: daß das alles verschwunden ist. Es ist das erste mal in meinem Leben, daß ich einen unersezlichen Verlust recht empfinde; denn als unsere selige Mutter starb war ich noch zu sehr Kind; meine Gefühle hatten etwas fantastisches, etwas romanhaftes welches mitten in meinen Schmerz eine kindische Selbstgefälligkeit brachte. Wenn ich die Mutter mit einem eben solchen Gefühl hätte verlieren sollen, wie ich jezt den Vater hingebe, das wäre für einen Menschen zu viel. Ein seltnes Glük haben wir verloren – wir stehn nicht als gewöhnliche Waisen da denen etwa ihr Ernährer ihr Versorger entrißen ist und denen die erste beste Mildthätigkeit Ersaz geben kann: einen Freund der vom Anfang unseres Lebens an bewährt gefunden ist, und den wir nun ohne alle Beimischung von weniger edeln Antrieben ehren und lieben und für sein Leben beten konnten. Ein seltnes Glük haben wir beseßen und verloren. Mit eben der Theilnahme womit ich an den Genuß gedacht habe den Du verlierst hast Du auch an die schönen Hofnungen gedacht, die ich hatte: es wäre wol billig gewesen nach so vielen Jahren Abwesenheit, nach so vielen mit mir vorgegangenen Veränderungen wovon der gute Vater wol gern das Resultat von Angesicht zu Angesicht gesehn hätte – es wäre wol billig gewesen daß eine gütige Schikung uns noch einmal zusammen geführt hätte; doch – es sollte nicht seyn. Du leidest allerdings mehr von Beklagern und Tröstern, das glaube ich gern, dafür hattest Du oft die Freude ihn zu sehn und hast ununterbrochen im Genuß gegen | seitiger Liebe mit ihm gestanden. In meinem Leben hingegen giebt es eine Periode, deren Erinnerung sich mir jezt oft unwillkührlich aufdrängt wo ich das Herz des vortreflichen Vaters verkannte, wo ich glaubte er thäte mir zuviel und beurtheilte mich falsch weil ich seinen Meinungen nicht zugethan war. Eine gewiße Kälte gegen ihn welche daraus entstand erscheint mir als die dunkelste Stelle meines Lebens. Doch ich habe mein Unrecht im Stillen erkannt und er hat verziehen ohne daß ich darum gebeten hätte. Ich habe sein Herz seit dem beßer schäzen gelernt, und ihm doch einige Jahre mit warmer ganzer Liebe, und ofner Vertraulichkeit gelohnt. Was mich noch kränkt ist daß ich ihm auf seinen lezten Brief die Antwort schuldig geblieben bin, eine Schuld die nun leider unbezahlbar geworden ist, allein ich tröste mich damit, daß wenn ich ihm alles leisten wollte was er verlangte er ihn doch nicht mehr hätte erhalten können. – Die Briefe unserer Mutter scheinen alle von einer Hand und Art gewesen zu seyn. Nur müßen wir ihr den Ton derselben nicht zurechnen, und ihre Ungewohnheit zu schreiben mit in Anschlag bringen, ob ich gleich gestehe daß es zutraulicher gewesen wäre wenn sie darauf nicht geachtet und lieber ein paar Zeilen selbst geschrieben hätte. Was ich Dir wegen Anhalt geschrieben reute mich da ich aus Deinem kleinen Briefe Deinen Einzug in die Pension ersähe; nun nicht mehr denn es findet nun keine Anwendung. Die armen Kleinen dauern mich sehr; wie wird es ihnen ergehn? wird unsere Mutter im Stande seyn sie allein mit dem Geist und dem Erfolg zu erziehn, wie es unseres Seligen würdig wäre? Das ist eine Frage die mir sehr am Herzen liegt; einige Data zur Beantwortung derselben erwarte ich zunächst von unserm Karl. Die Mutter wird hoffentlich noch bis gegen Ende des künftigen Jahres in Anhalt wohnen können und das Gehalt ziehen welches der Vater vom Fürsten gehabt hat; wenigstens wenn der Fürst sich nicht | von selbst dazu verstehen sollte würde ich ihr sehr rathen darüber bei ihm einzukommen indem sie sowol das Beispiel aller königlichen Stellen als die Unmöglichkeit die Stelle gleich wieder zu besezen für sich haben würde. Ich habe bald nach der erhaltenen Trauerbotschaft an die Mutter geschrieben und sie über diese Umstände um Nachricht gebeten. Karl hat endlich auch einmal an mich geschrieben, aber es war gerade so etwas nöthig um ihn aus seinem todten ähnlichen Schlummer zu weken. Mit uns meine liebe bleibt es übrigens dabei, daß wir das Band unserer Freundschaft noch enger zusammenziehn, daß wir uns noch fester an einander halten, da wir eine solche Stüze verloren haben, und daß wir uns oft auf den hinweisen, der uns verlaßen hat. Friede Friede mit seiner Asche und Wolgefallen seiner Seele an seinen Kindern. – Eben habe ich Deinen Brief noch einmal durchgelesen und gewißermaßen zwar meinen Schmerz verdoppelt indem ich den Deinigen mitgefühlt, aber auf der andern Seite mich auch daran erfreut: daß wir so recht für einander gemacht sind, daß unsere Seelen einander immer näher kommen, je näher jedes dem gemeinschaftlichen Ziel rükt nach dem wir steigen, die Verschiedenheiten schleifen sich soweit ab, daß sie sich nicht mehr unsanft berühren können, die Aehnlichkeiten entwikeln sich immer mehr, und so wird uns nichts von einander trennen können. Ich habe mich gefreut daß uns noch so viel übrig ist: Du mir, ich Dir, und uns beiden unser theurer lieber, väterlicher Onkel. Gott verhüte nur, daß es nicht noch einmal einschlägt! Karln will ich eben nicht ausschließen, allein Du kannst doch verzeihn daß ich ihn noch nicht so nahe zu uns rechnen kann, da ich ihn bei weitem noch nicht genug kenne und er auch einen hohen Grad von Trägheit beweist. Es ärgert mich daß er noch nicht an den Onkel geschrieben hat, da er ihm doch nun so nahe ist. Für jezt, meine Liebe lebe wol, heute Abend noch ein paar Worte und Morgen muß der Brief weg der ohnehin 8 Tage unterwegens ist ehe er nach Drossen komt. | Du willst gern von meinen lieben Preußen etwas wißen? Daß sie aus meinem Gedächtniß nicht verschwunden sind kannst Du Dir leicht denken; wer einmal so in meinem Herzen steht kommt nicht so leicht wieder heraus. Ich habe mancherlei von ihnen erfahren aber nichts ausführliches. Die Familie hat diesen Sommer in Finkenstein gehauset wo der Graf noch ein neues Gut angekauft hat; die Mißverständniße zwischen der Gräfin Karoline und ihren Eltern sind wie mir die Gräfin von Karwinden einmal sagen ließ noch nicht gehoben. Graf Willhelm der zu meiner Zeit in Königsberg studirte hat die Universität verlaßen und ist den Sommer zu Hause gewesen er wollte in diesen Tagen hier durchreisen um nach Berlin zu gehn, allein die Unruhen in Polen werden seine Abreise entweder verzögern oder ihn zwingen einen andern Weg zu nehmen was mir sehr leid thun sollte, denn ich hätte ihn sehr gern gesprochen. Graf Louis von dem ich in Berlin Briefe gehabt habe ist Lieutenant geworden und theilt die Gefahren des Krieges mit seinem Regiment in Polen. Das sind die magern Nachrichten, [die] ich Dir geben kann. Mich freut daß Du an diesen guten Menschen noch so viel Theil nimmst, so wie mich auch das freut daß Deine liebe Lisette noch so gütig au fait von meinen Affairen ist. Grüße das edle Mädchen herzlich von mir und wünsche ihr und ihrem Bruder Glück zu der guten Schwägerin. – Ich habe heute einen merkwürdigen Tag gehabt indem ich mit meiner GemeinJugend die Katechisationen angefangen habe; ein schweres Werk an lauter verwahrloseten Köpfen wozu ich Gottes Segen brauche und alle meine Kräfte werde anstrengen müßen. Ich fange jezt erst an etwas von der Last meines Amtes zu fühlen; das Predigen ist mir bis jezt sehr leicht geworden, aber dieser Unterricht ist das eigentliche Hauptgeschäft des Amtes und er hat das Ansehn mir herzlich sauer werden zu wollen. Die kleine Emilie der ich auch wie Du Dich besinnen wirst täglich Stunden gebe fängt an mir Freude zu machen, und auch auf den dreijährigen Knaben der Beniken scheine ich einigen vortheilhaften Einfluß zu haben. Das ist so mein tägliches Leben welches sich im übrigen immer gleich bleibt. Für dies mal meine Liebe begnüge Dich und sei so froh und nüzlich Du kannst unter Deiner Sch[ar von] [Kleinen]. Nächstens mehr von
Deinem
Friz
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 13. Oktober 1794
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 1. Briefwechsel 1774‒1796 (Briefe 1‒326). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1985, S. 364‒367.

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