Landsb. a. d. W. d. 3ten Juni 1797.
Mein lieber Neveu
Das dacht ich wohl, da wir verwichenen Sonntag keinen Brief von Ihnen erhielten, daß Ihnen ein unvermuthetes Hinderniß aufgestiegen seyn würde. Dem Himmel sey Dank, daß wir gerade jetzt nicht so sehr, als vormals wohl jezuweilen, an Geldmangel krank lagen, und unser Cantor auch nicht, der für ihre Mühwaltung sich gehorsamst bedanken läßt. Nur bedauren wir, daß Sie, obgleich ohne unsere Schuld, so manchen vergeblichen Gang zu dem Herrn Koene haben gehen müssen Daß Sie jetzt fleißig werden zu predigen haben, sowol im Dom, wenn 2 Herren Hofprediger verreisen – als wohl noch öfter in der Parochialkirche seit dem Tode meines lieben Wilmsen
Hier rechnen schon manche sehr sicher darauf, daß Sie seine Stelle erhalten werden, und unsre gute Benike meint, daß solche Ihnen gar nicht entgehen könne, und sie weiß es sich gar nicht zu erklären, woher es wohl komme, daß wir nicht eben so zuverläßig der Meinung seyen, daß Sie solche Stelle ganz gewiß erhalten werden. Nun kann ich zwar wohl mit völliger Gewißheit sagen, wen ich für den würdigsten zu einem Amte halte, für den, der sich am beßten dazu schicken, und dem ich solches am liebsten gönnen und wünschen würde. Aber ob nun derjenige, dem ich eine Stelle wünsche, oder den ich für den würdigsten und geschiktesten dazu halte – ob der sie nun auch wirklich erhalten werde, das kann ich doch warlich nicht mit Zuverläßigkeit bestimmen und zumal hier bey einer Wahlstelle, da es nicht auf das | Urtheil einiger weniger Männer ankommt, da sich schon leichter etwas mit ziemlicher Gewisheit, oder doch wenigstens mit einem sehr hohen Grad von Wahrscheinlichkeit etwas bestimmen läßt, als hier, wo die Gemeine das Wahlrecht hat. Da sind nun Andre auf den Gedanken gekommen, Sie könnten wohl nach Hamburg an Pauli’s Stelle berufen werden, und wenn die Benike hierüber meine Meinung verlangte, so würde ich, nach meiner Ueberzeugung antworten, es sey das eine eben so möglich als das andre, und die Wahrscheinlichkeit auf beyden Seiten immer so ziemlich gleich.
Aber wenn Sie nun soviel zu predigen haben, wie stehts dann mit Ihrer Reise hieher? Die Benike rechnet noch sehr, daß Sie gleich nach Pfingsten herkomen werden, und wir wünschen ebenfalls, daß es je eher je lieber geschehen möge.
Für die überschriebenen mancherley Neuigkeiten (denn ich habe jetzt 3 Briefe von Ihnen vor mir, darauf ich noch die Antwort schuldig bin und auch für diesmal wegen des Fests noch bleiben muß) danke ich Ihnen gar sehr. Daß Sie die gute Jettchen Müllers an ihrem 81ten GeburtsTage besucht haben, freuet mich gar sehr, daß von uns gesprochen ist, glaube ich gern, und wenn Sie sie wieder einmal sprechen so bitte ich ihr recht viele herzliche Grüße von uns allen zu machen und wir ließen ihr für ihr gutes Andenken freundlich danken, sie könnte versichert seyn, daß auch wir recht oft an sie dächten. | Auf den Tod meines guten Wilmsen war ich schon seit geraumer Zeit ziemlich gefaßt; es ist ja das der Sterblichen Loos, daß der eine früher, der andre später in die unsichtbare Welt hinübergeht. Da ist dann immer, meiner Empfindung nach, der sicherste Trost die Hoffnung eines frohen Wiedersehens; bey uns Ueberbleibenden soll, deucht mir, durch einen jeden solchen Fall, wo einer unsrer Freunde vor uns abgerufen wird – und wie groß ist nicht die Anzahl meiner Jugendfreunde und meiner Verwandten, die vor mir – einige schon so lange vor mir, vorangegangen sind – die Vorstellung von dem großen Werth des Menschenlebens immer heller, und der Entschluß immer fester werden, die uns verliehene Zeit weislich zu benutzen als Vorbereitung zur Ewigkeit:
Denn unsres Lebens kleinster Theil
ist eine Frist zu unsrem Heil
Ich habe nun seit dem HimelfahrtsTag Gott sey Dank! mein Amt wieder selbst verrichten können, bin indeß doch weiter noch nicht aus gewesen, als in der Kirche und lezten Sonntag nach der Vormittagspredigt bey Benike denn das Gehen wird mir doch noch etwas sauer
Hiermit werden Sie für diesmal vorlieb nehmen. Leben Sie wohl vielmals gegrüßt von uns allen. Viele Complimente an Ihren lieben Bruder und an Vetter Reinhardt und wer sich sonst noch erinnert
Ihres stumpf werdenden Oncles
St.
Mein lieber Neveu
Das dacht ich wohl, da wir verwichenen Sonntag keinen Brief von Ihnen erhielten, daß Ihnen ein unvermuthetes Hinderniß aufgestiegen seyn würde. Dem Himmel sey Dank, daß wir gerade jetzt nicht so sehr, als vormals wohl jezuweilen, an Geldmangel krank lagen, und unser Cantor auch nicht, der für ihre Mühwaltung sich gehorsamst bedanken läßt. Nur bedauren wir, daß Sie, obgleich ohne unsere Schuld, so manchen vergeblichen Gang zu dem Herrn Koene haben gehen müssen Daß Sie jetzt fleißig werden zu predigen haben, sowol im Dom, wenn 2 Herren Hofprediger verreisen – als wohl noch öfter in der Parochialkirche seit dem Tode meines lieben Wilmsen
Hier rechnen schon manche sehr sicher darauf, daß Sie seine Stelle erhalten werden, und unsre gute Benike meint, daß solche Ihnen gar nicht entgehen könne, und sie weiß es sich gar nicht zu erklären, woher es wohl komme, daß wir nicht eben so zuverläßig der Meinung seyen, daß Sie solche Stelle ganz gewiß erhalten werden. Nun kann ich zwar wohl mit völliger Gewißheit sagen, wen ich für den würdigsten zu einem Amte halte, für den, der sich am beßten dazu schicken, und dem ich solches am liebsten gönnen und wünschen würde. Aber ob nun derjenige, dem ich eine Stelle wünsche, oder den ich für den würdigsten und geschiktesten dazu halte – ob der sie nun auch wirklich erhalten werde, das kann ich doch warlich nicht mit Zuverläßigkeit bestimmen und zumal hier bey einer Wahlstelle, da es nicht auf das | Urtheil einiger weniger Männer ankommt, da sich schon leichter etwas mit ziemlicher Gewisheit, oder doch wenigstens mit einem sehr hohen Grad von Wahrscheinlichkeit etwas bestimmen läßt, als hier, wo die Gemeine das Wahlrecht hat. Da sind nun Andre auf den Gedanken gekommen, Sie könnten wohl nach Hamburg an Pauli’s Stelle berufen werden, und wenn die Benike hierüber meine Meinung verlangte, so würde ich, nach meiner Ueberzeugung antworten, es sey das eine eben so möglich als das andre, und die Wahrscheinlichkeit auf beyden Seiten immer so ziemlich gleich.
Aber wenn Sie nun soviel zu predigen haben, wie stehts dann mit Ihrer Reise hieher? Die Benike rechnet noch sehr, daß Sie gleich nach Pfingsten herkomen werden, und wir wünschen ebenfalls, daß es je eher je lieber geschehen möge.
Für die überschriebenen mancherley Neuigkeiten (denn ich habe jetzt 3 Briefe von Ihnen vor mir, darauf ich noch die Antwort schuldig bin und auch für diesmal wegen des Fests noch bleiben muß) danke ich Ihnen gar sehr. Daß Sie die gute Jettchen Müllers an ihrem 81ten GeburtsTage besucht haben, freuet mich gar sehr, daß von uns gesprochen ist, glaube ich gern, und wenn Sie sie wieder einmal sprechen so bitte ich ihr recht viele herzliche Grüße von uns allen zu machen und wir ließen ihr für ihr gutes Andenken freundlich danken, sie könnte versichert seyn, daß auch wir recht oft an sie dächten. | Auf den Tod meines guten Wilmsen war ich schon seit geraumer Zeit ziemlich gefaßt; es ist ja das der Sterblichen Loos, daß der eine früher, der andre später in die unsichtbare Welt hinübergeht. Da ist dann immer, meiner Empfindung nach, der sicherste Trost die Hoffnung eines frohen Wiedersehens; bey uns Ueberbleibenden soll, deucht mir, durch einen jeden solchen Fall, wo einer unsrer Freunde vor uns abgerufen wird – und wie groß ist nicht die Anzahl meiner Jugendfreunde und meiner Verwandten, die vor mir – einige schon so lange vor mir, vorangegangen sind – die Vorstellung von dem großen Werth des Menschenlebens immer heller, und der Entschluß immer fester werden, die uns verliehene Zeit weislich zu benutzen als Vorbereitung zur Ewigkeit:
Denn unsres Lebens kleinster Theil
ist eine Frist zu unsrem Heil
Ich habe nun seit dem HimelfahrtsTag Gott sey Dank! mein Amt wieder selbst verrichten können, bin indeß doch weiter noch nicht aus gewesen, als in der Kirche und lezten Sonntag nach der Vormittagspredigt bey Benike denn das Gehen wird mir doch noch etwas sauer
Hiermit werden Sie für diesmal vorlieb nehmen. Leben Sie wohl vielmals gegrüßt von uns allen. Viele Complimente an Ihren lieben Bruder und an Vetter Reinhardt und wer sich sonst noch erinnert
Ihres stumpf werdenden Oncles
St.