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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

Gdfr. d 16ten July 1797.
Wenn Du es wüßtest lieber Bruder! wie ich seit 14 Tagen so ganz wohl und munter, bin, und daß ich in solchen Tagen mehr als wenn Kränklichkeit meinen Geist drükt nach Briefen verlange, Du würdest gewiß nach aller Möglichkeit und Schnelligkeit meine Wünsche erfüllen – vielleicht sind die lezten schreklichen starken Krämpfungen die lezten gewesen – die Pillen die der Doctor damals mir gab, haben mehr Wirkung auf meinen Cörper gemacht als ich an allen den vorhergenomnen verspührt – eine Art sehr gewürzhaftes Pulver die darauf folgten haben ihrer Seits auch alles gethan, um meine innern Theile zu stärken – und heute habe wieder was neues angefangen wozu Gott seinen Seegen geben wolle; gestern vor 14 Tagen – da meine Lotte ihren Weg nach ihrem Hernhut antrat um ihre Eltern und Freunde zu besuchen, fuhren wir sämtlich nach Zülzendorf zu dem jährlich großen Feste welches Du der Beschreibung nach schon kenst – das Wetter war schön, ich recht wohl und heiter – und die dortigen NaturAnlagen die sich seit 2 Jahren durch Aufrechthaltung der Menschen unendlich verschönert machten mirs sehr angenehm – ich dachte Deiner deswegen, und eines andren Gegenstandes halber – – davon noch später. Die Edlen von Sauermas sehr theilnehmend an meiner Kränklichkeit beschenkten mich mit eingen Flaschen Flinsberger Brunen1 | der meinen Magen stärken, und mich von meiner NervenSchwäche heilen soll, der Doctor hoft auch viel davon – und ich hoffe wenn ich so wie heute hübsch früh um 5 aufstehe spazieren gehe – um 8 erst frühstüke, und um 11 gute Magentropfen nehme – daß es recht gut mit mir werden wird – überhaupt seit ich meiner inern Ueberzeugung und dem Rath andrer Leute ernstlich folge, und früh ButterSchnitte anstatt WeizensWaare esse, merke ich manche Beschwerde weniger – – Vorwürfe verdiene ich freilich daß ich nicht eher dieser Lüsternheit entsagt – aber da ich es nicht frisch aß – glaubte ich nicht daß es mir so schädlich wäre; lebe wohl ich gehe jezt in eine AbendMahlVersamlung.
den 19ten ich schreibe nicht gern zweideutig – also noch etwas von Zülzendorf – alda war eine gewiße Frau von Ney hier aus der Gegend – mit der ich weiter keine Bekantschaft habe, die aber bey jedesmahligen Ersehen äußerst artig und gütig gegen mich ist, vielleicht haben ihr Andre Leute hie und da etwas von mir vorgeschwazt – kurz ich hatte mit dieser Dame die ich wegen ihres Verstandes und menschenfreundlichen Betragens sehr schäze – auch dort eine sehr angenehme Unterhaltung die mir nur alzukurz däuchtete – es war uns gegen Abend Beiden zu kühle so daß wir ganz unwilkührlich im Hause zusammen trafen – Herr von Sauerma der ohngeachtet der 40 Kinder die da versamlet waren – auch noch der Ney | ihre ein Vergnügen gewähren wolte, ließ sie Nachmittag hin citiren und, an ihrer Spize, erschien ein Hofmeister der mich so sehr frappirt daß ich verstumt wäre – wenn nicht sein Lachen das mit dem Deinigen so sehr viel Gleichheit hat mich endlich mit meinem eignen Staunen bekant gemacht hätte – Lotte war wie ich schon erwähnt nicht da – endlich konte ich ihre G attrapiren, diese fand denn auch gleich die Aehnlichkeit mit Dir nur seine Nase viel größer welches unter uns viel Spaß machte, da sie und Lotte wißen wie ärgerlich mirs war, daß ich Deine so sehr vergrößert fand – ich konte den Menschen kaum ansehen, und muste mich entfernen, um nur den Leuten kein Aergerniß zu geben – er ist eines Predigers Sohn in der Gegend – kan aber übrigens für mich – es müste denn seine nähere Bekantschaft mehr anzügliches für Geist und Herz haben – kein interresse, außer dieser Aehnlichkeit mit Dir – mir verursachen – jene Aehnlichkeit im TaschenCalender hast Du nicht berührt – diese aber wirst Du doch nicht so stum übergehen. So eben habe den 2ten Brief von Lotten erhalten – die wie ich schon gesagt auf 3 Wochen nach Herrnhut gereist – sie ist sehr vergnügt in ihrer Eltern Hause, und bey ihren Freundinnen – der Vater, hat sie sehr zu ihrem Vortheil geändert gefunden | daß so eine Reise en quatre geschieht und öfters mit Personen die man nicht so aussuchen kann versteht sich von selbst – jedoch war sie mir deswegen sehr bedaurenswerth! sie komt gern wieder ob sie schon dort viel Freunde und große Verwandtschaft hat – sie wundert sich daß die Berliner noch nicht geschrieben – hat meine herrliche Arndt schon einigemahl besucht – die sie nun erst kenen lernt, und sich des Theilnehmens freut was Jette auf eine so liebliche Art an mir bezeugt – unterdeß hat sich auch für mich eine kleine oder eigentlich große Schadloshaltung gefunden – da die Fuhre mit welcher Lotte hin gereist – mir eine alte Freundin zum Besuch hergebracht – ich weiß ob Du mit ihrem Nahmen bekant bist – sie ist die Schwester unsres Vorsteher Frau – Schitt – eine Dänin – 2 Jahre jünger als ich – ein liebes Geschöpf mit richtigen Gefühl für alles was Herz und Geist erquikt – 2 Jahre hielt sie sich hier bey ihren Geschwistern auf – da sie außer denselben niemand zu ihrem eigentlichen Umgang erwählte als Deine Lotte[;] unsre Freundtschaft wurde auch durch nichts gestöhrt – vor 2 Jahren gieng sie nach Ebersdorf mit Geschwister Andresens ihre Kinder zu pflegen — und nun besucht sie hier ihre Wicks. O! wie herrlich haben wir uns wieder gefunden – einige Briefe haben wir auch gewechselt – ärmlicher Ersaz! – nicht wahr!
den 2ten August.
Vorigen Sonabend als am 29ten July haben wir unsre gute Lohrel zur RuheStelle begleitet – sie hat noch unaussprechlich gelitten – und sich herzlich nach ihrer Auflösung gesehnt – welche durch einen Stekfluß befördert wurde – ich konte sie die lezten 14 Tage nicht mehr besuchen – weil mir dis wegen meines schweren Gehörs – da ich sie bey ihrem leisen Sprechen gar nicht verstand, zu schmerzlich war; so ungern ich sonst Leichen sehe – so mache ich bey solchen lieben Leutchens eine Ausnahme und fühle mich sehr glüklich sie noch so oft als möglich anzuschauen – die Gute! Gott lohne ihr auch die mir erwiesne Treue und Liebe! Die Kinder die bei ihr wohnten – haben jede einen silbernen SchürRiegel – von ihr geerbt – ich einen comoden Stuhl auf dem sie hier saß – und eine ganz neue schöne ZukerDose – die andern Collegen – jede eine Taße mit ihrem Nahmen – Line bekam auch einen – worüber die Mutter noch gestern FreudenThränen vergoß. Denselben Tag – nach dem alle gehörigen Feyerlichkeiten vorbey waren, wurde auch Line von ihrem Vater abgeholt – sie konte den Augenblick kaum erwarten, und verließ mit einer recht kindischen Freude die Anstalt, welches ich ihr bey ihren dunklen Begriffen von dem Zweck ihres hierseyns, und bey allem Zwang den sie doch öfters sich anthat gern verzeihe – – Lotte Schlegel erwarteten wir auch jenen Abend aber sie erschien erst den folgenden Vormittag – jedoch ohne Briefe von meiner Arndt welche sie kränklich verlaßen hat; daß sie an allerley Erzählungen reich und auch fleißig dazu aufgefordert wird – läst sich denken gestern Nachmittag unterhielt sie Caroline Graff und mich äußerst angenehm – vorgestern Abend machten wir einen herrlichen Spaziergang bey welchem ich Deiner öfters gedachte. |
den 14ten August
Als ich die lezten Zeilen schrieb war ich nach meiner Art zu seyn – recht wohl! habe aber seitdem wieder (nicht an Krampfungen) aber sonst außerordentlich an Schwäche und allerley Uebel gelitten – die sogar meinen Mund heftig belästigten – so daß er nichts herunterbrachte – als düne Souppe – und mit vieler Mühe sprechen konte – dabey einen entsezlichen Auswurf von Schleim und Unreinigkeit – alles aus den Zähnen – denen einige BlutIgels die ich aus meinem eignen Antrieb mir sezen ließ, Luft gemacht hatte – sehr gut daß dieses alles abmarschirt – was nun wieder? weiß Gott! der mir alle Tage die nötige Geduld in diesem SchmelzTiegel von cörperlichen Leiden gnädiglich verleihen wolle – bey dem allen aber habe mich doch an den Posttagen über das Außenbleiben der berlinischen Briefe sehr gewundert – auch Lotte – und Lisette wundern sich – leztere habe gestern seit 8 Wochen wieder einmahl gesehn und gesprochen – die Gute! Deine Beschreibung von jenem Examen hat auch ihr viel Freude gemacht; ihr Moriz wird gar allerliebst – ich habe ihm 2 Nachtmüzen verfertigt die er sehr gerne trägt – der drollige Junge! bey den guten von Seidlizen komt seit dem Todt des Alten von der Heide ein Hauscreuz nach dem andern – bald Feuer im Schloß – dan gehen die neuen Pferde mit der jungen Herschaft durch und beschädigen Beide – und nun liegt ihre Schwester – die sie hier besuchen wolte schon seit 8 Wochen sehr gefährlich krank – daß es ein wahrer Jamer ist – O! es ist traurig! davon zu sprechen die guten Leutchens dauern mich in der Seele! meine Zimmermann auch imer leidend – doch nicht ganz betlägerig – lebe wohl für heute |
den 20ten August
Noch keine Briefe von Berlin! welches mich in der That nicht wenig bekümert – da es wie ich nicht anders weiß, bald 8 Wochen, daß ihr meine Epistel empfangen diese ist mir auch ohnbeschadet meiner Schwächlichkeit wieder ziemlich weit gediehen – nur noch 8 Tage soll sie warten, dan reist sie zu Euch auf execution – hoffe also stark bis dahin noch Briefe zu erhalten bey aller Eurer Zärtlichkeit für mich – und Besorgniß um mich – kann ich mir Eurer langes Schweigen gar nicht erklären – es müste Euch denn allen Beiden auf einmahl Krankheit zugestoßen seyn – sonst könte doch einer mir es melden; sehr oft denke ich Eurer, und habe wegen meiner mich öfters stark ergreifenden Schwäche – als auch andrer Vorkomenheiten um mich her, genug Anlaß dazu. Seit eingen Wochen droht die hier grassirende Ruhr – auch unsrer Anstalt viele Kinder hatten auch schon heftige Diaroe – doch bey den getrofnen Einrichtungen – Diät und Wärme betreffend – ist es Gott sey Dank! noch nichts ernstliches geworden – obschon eine im SchwesternHaus dran gestorben – und zwar eine nahe Verwandtin unsrer selgen Lohrel – auch ist vor einigen Tagen die alte Scheuerl nach einem langwierigen Leiden von demselben erlöst – ich glaube Du hast sie bey Deinem Besuch nicht gesehen – was nun mit Ihm, und mit uns, besonders mit der Anstalt werden wird liegt alles im Dunkel – schon längst hat man darauf gedacht uns besondre AnstaltsEltern zu geben – die weiter kein andres Geschäft haben – vielleicht wird das jezt ausgeführt wenn die nötigen Subjecte dazu da sind. Lebe wohl ob Du heute Deinen RuheSontag hast kan ich nicht so genau ausrechnen. |
den 30ten August
Auch heute, nichts von Berlin, mein Gott! das macht mich bey meiner ohnehin großen Schwäche recht traurig – ich sehe schon daß ich die Epistel fortschiken muß ohne etwas von Euch zu wißen, wenn ich will das dis Paquet zu Charles GeburtsTag anlangen soll – welches Du ihm wohl gütigst an dem Tage überreichen wirst – es ist nichts als einige Abschriften von Urania – die Du wohl mit Ihm lesen wirst – ob es ihm gleich eigentlich gehört – möchtet Ihr doch diesen, auch für Lotten so frohen Tag – recht gesund und heiter verleben – und ein so iniges Wohlseyn fühlen, als ich es Euch von ganzer Seele wünsche – meine noch immer fortdauernde Kränklichkeit – macht mir das schreiben sehr schwer – auch jezt muß ich aufhören – das Herz ist zwar voll aber meine Gedanken kann ich nicht ordnen – und meine Hand zittert – dieser Raum bleibt – wenn etwa Freitag noch was kommen solte. Kaum hatte ich gestern die Feder weggelegt, als ich Deine in Chapitres eingetheilte Epistel erhielt – für welche Du vielen Danck haben solst – erst jezt bin mit dem Durchlesen völlig fertig – ich war gestern zu schwach – auch war gestern wie sonderbar! die Aulock zum erstenmahl wieder mit Linen hier – auch ihr war es merkwürdig daß eben mit ihrem Besuch auch ein Brief von Dir gekomen – sie empfiehlt sich Dir freundtschaftlich – sie ist nun wieder völlig hergestelt – meine Lotte ist die Zeit her sehr besorgt um mich – da meine Schwachheit sehr zunimt | um desto merkwürdiger war es uns Beiden, daß ich mich mit Dir vereinigen soll, dem guten Oncle LebensGenuß einzuflößen – da Lotte bey der Bemerkung die Du über ihn machst es gern zugiebt daß ich in einer paralele mit ihm stehe – gewiß würdest Du – mein Lieber mich weit stumpfer finden, da Lotte schon bey ihrer Rükkehr von Sachsen es fand – ich kan Dir nicht beschreiben wie ich seit 3 Wochen mich fühle – heut habe ich seit der ganzen Zeit etwas erquikend geschlafen – und diese Labung hat mich zum Schreiben tüchtig gemacht gestern wäre ich so viel nicht im Stand gewesen – Du wirst daher verzeihen daß ich Deinen mir sehr lieben Brief nicht nach Wunsch beantworte – er hat mir viel Freude gemacht – in die Eintheilungen konte mich zuerst nicht finden – ich glaubte gewiß es wären Allegorien – recht angenehm waren mir alle Deine Erzählungen | Dein Aufenthalt in Landsberg konte mir recht lebhaft vorstellen – so wie die Frühstunden. – Vergangnen Montag wanderte mit Lotten und Schytt ganz langsam nach dem Cotwiz Garten – um sie dort vom Pilz zurük zu erwarten – wohin ich nicht steigen konte daß ich dort der Rükerinrungen an Dich und Charles und unsern Vater – viel und mancherley hatte kanst Du Dir denken. Wie kanst Du fragen wen die Graf verlohren ihre Gehülfin war ja bey mir – da die Lohrel krank lag – sie war allein – nun hat sie eine von Herrnhut – Koenigsoehr[;] ich bin mit der Meinigen sehr wohl berathen. Daß Charles mir vor seiner Abreise noch schreiben wird hoffe ich – aber eben so sehr wünsche ich bald von seiner Ankunft in Arensberg benachrichtigt zu werden, und wie es ihm dort behagt und bey wem Er lebt – bitte mache ihm das recht nothwendig – ich schließe. Denke fein oft an
Lotten.
1 Diese Cur habe theils wegen des eintreffenden schlechten Wetters als auch wegen meiner Schwäche nur einge Tage brauchen können –
Metadata Concerning Header
  • Date: 16. Juli bis 30. August 1797
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 145‒150.

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