Ldsb. d. 1ten Aug 97
Mein sehr lieber Neveu
Wir freuen uns, daß Sie von ihrer Reise zu uns recht glüklich zurückgekommen sind, hoffen auch daß Sie von dem schweren Gewitter so dort gestern vor 14 Tagen gewesen, und mit welchem gestern der ganze berlinische Artikel angefüllt war, unversehrt geblieben sind. Hier finden sich jetzt auch ziemliche Gewitter ein, so hat es am verwichenen Freytag hier fast den ganzen Tag gewittert, gestern war die Hitze ganz ausnehmend, und, wie es mir wenigstens vorkam, recht drückend, und in dieser Nacht wurden wir auch durch einige heftige Donnerschläge geweckt; als ich heute Vetter Benike der hier vorbey ging sprach, freuete ich mich, daß sie über dies leztre Gewitter weniger beunruhiget gewesen als verwichenen Freytag. Eben wegen der drückenden Hitze komme ich auch selten aus. Am Sonntage machte ich gegen Abend mit meinem Sohne eine Promenade, die Sie auch sonst wohl, wie ich höre, gemacht haben – über Mehls Vorwerk, und die bekam mir recht wohl. Sonst bin ich fleißig in unserem Gärtchen beschäftigt, besonders gegen Abend und des morgens ehe die Sonne recht heraufkommt Mit Spaldings Buch, das Sie mir mitbrachten bin ich nun endlich doch fertig – ich kann freilich nicht sagen daß meine Erwartung ganz befriediget sey, ich muß aber | wohl darin gefehlt haben, daß ich mir nicht gleich und nicht lebhaft genug das vermischte Publicum dachte, für welches er wohl eigentlich geschrieben, und ich wünsche recht sehr daß diese Schrift für daßelbe nicht ohne Nutzen seyn möge
Den armen Thym würde ich herzlich bedauern, wenn ihre Nachricht von ihm sich bestätigen sollte, vor 14 Tage habe ich zwar Briefe von Obern erhalten, aber davon auch kein Wort – er schreibt nur von seiner Kränklichkeit und denkt sich seinen Tod schon als ganz nahe bevorstehend. Er klagt gar sehr, daß er fast gar keinen Umgang habe, und schreibt auch, was mich am meisten wundert, kein Wort von Nebens, Gute, Madame Trampe pp ich habe jetzt auch an ihn geschrieben, und hoffe doch, daß ihn mein Brief noch lebend antreffen werde. Doch wer weiß!
Hier hat am vorigen Sonntag der Justizrath Henneberger die sogenanten Gläubigen, die seit mehr als 4 Wochen alle Sonntag Abends ihre Zusamenkunft in einem Garten neben Ludw. B. gehalten – durch den Gerichtsdiener arretiren laßen, nemlich ihre sogenannten Prediger und einige auswärtige Glieder – die übrigen aber heißt es, haben sich dadurch in ihrer vermeinten Andacht nicht stören laßen, sondern sind auf ihren Knieen liegen geblieben. Eine große Menge Volks waren als Zuschauer bey diesen Versamlungen, wodurch denn freilich natürlicher Weise | manche Spöttereyen veranlaßt worden.
den 9ten Abends Eigentlich mein lieber Neveu, war dieser Briefbogenzuschnitt darauf berechnet, daß er als Einlage durch unsere Benike mit der letzten Post hätte an Sie abgehen sollen[.] Aber – das können Sie sich gar nicht denken, in was für Jammer und Noth die arme Benike durch das Außenbleiben ihres Briefes gerathen[.] Schon am Sonntag Abend kam sie – wider ihre sonstige Gewohnheit – um bey uns, wo möglich, Trost und Linderung zu finden – wir gaben uns alle ersinnliche Mühe ihr den Gedanken, daß Sie sich von ihr beleidigt halten dürften, oder wohl gar Ihnen ein Leid widerfahren sey, auszureden; – aber es war als wenn kein Trost anschlagen wollte, und gestern Abend war sie noch fest entschloßen, wenn sie heute keinen Brief bekäme, morgen selbst nach Berlin zu reisen – Meine Frau hat sich böse Ihrer angenomen, indem die Benike endlich gar auf den Gedanken gerieth, Sie möchten über ihren letzten Brief unzufrieden gewesen [seyn], und hätten nun aus Rachsucht nicht geschrieben das konnten wir beyde nun schlechterdings nicht zugeben, und meine Frau will schlechterdings sie müße Ihnen deshalb schriftlich ein pater
mecca
sagen – ich habe sie aber noch zu entschuldigen gesucht, daß nur Uebermaaß ihres Kumers sie auf einen solchen verzweifelten Gedanken gebracht. Nun sollten sie aber auch die Freude sehen, die Ihr ganzes Wesen gleichsam neubelebt, nachdem endlich die reitende Post heute gegen Abend den sehnlich erwünschten Brief überbracht. Und nun für heute genug – schlafen Sie recht wohl, ich will jetzt ein gleiches thun |
Es empfehlen sich anliegend die BesoldungsQuittungen zur geneigten baldigen Besorgung – Sie werden die Auslagen für die Bücher hievon zurüknehmen sowie auch das Porto für diesen Brief denn ich habe nun einmal die Grille, Briefe nicht zu frankiren aus Besorgniß daß sie liegen bleiben möchten
Ein mehreres wüßte für diesmal nicht – außer daß mir dieser Tage – eine kleine Schrift eines neuen Propheten in die Hände gekomen, der das Ende der Welt auf das Jahr 1837 festsetzt und auf einem Bogen erzählet, was in diesen 40 Jahren sich noch ereignen werde, weils nur 1 Bogen so konnte ichs mir gefallen laßen zu einer Pfeiffe zu lesen – der Mann will schon 1789 die DemarcationsLinie geweißaget haben, er heißt Thube ist Prediger – aber hoffentlich doch nicht in unsern Landen – doch vielleicht auch – an Schwärmern und Apocalypticern hat es uns ja auch nie gefehlt
Nun leben Sie recht wohl vielmals gegrüßt von uns allen – viele herzliche Grüße und Empfehlungen an den lieben Herrn Vetter Reinhard und an alle die sich dort noch erinern
Ihres aufrichtig getreuen Oncles
St.
Mein sehr lieber Neveu
Wir freuen uns, daß Sie von ihrer Reise zu uns recht glüklich zurückgekommen sind, hoffen auch daß Sie von dem schweren Gewitter so dort gestern vor 14 Tagen gewesen, und mit welchem gestern der ganze berlinische Artikel angefüllt war, unversehrt geblieben sind. Hier finden sich jetzt auch ziemliche Gewitter ein, so hat es am verwichenen Freytag hier fast den ganzen Tag gewittert, gestern war die Hitze ganz ausnehmend, und, wie es mir wenigstens vorkam, recht drückend, und in dieser Nacht wurden wir auch durch einige heftige Donnerschläge geweckt; als ich heute Vetter Benike der hier vorbey ging sprach, freuete ich mich, daß sie über dies leztre Gewitter weniger beunruhiget gewesen als verwichenen Freytag. Eben wegen der drückenden Hitze komme ich auch selten aus. Am Sonntage machte ich gegen Abend mit meinem Sohne eine Promenade, die Sie auch sonst wohl, wie ich höre, gemacht haben – über Mehls Vorwerk, und die bekam mir recht wohl. Sonst bin ich fleißig in unserem Gärtchen beschäftigt, besonders gegen Abend und des morgens ehe die Sonne recht heraufkommt Mit Spaldings Buch, das Sie mir mitbrachten bin ich nun endlich doch fertig – ich kann freilich nicht sagen daß meine Erwartung ganz befriediget sey, ich muß aber | wohl darin gefehlt haben, daß ich mir nicht gleich und nicht lebhaft genug das vermischte Publicum dachte, für welches er wohl eigentlich geschrieben, und ich wünsche recht sehr daß diese Schrift für daßelbe nicht ohne Nutzen seyn möge
Den armen Thym würde ich herzlich bedauern, wenn ihre Nachricht von ihm sich bestätigen sollte, vor 14 Tage habe ich zwar Briefe von Obern erhalten, aber davon auch kein Wort – er schreibt nur von seiner Kränklichkeit und denkt sich seinen Tod schon als ganz nahe bevorstehend. Er klagt gar sehr, daß er fast gar keinen Umgang habe, und schreibt auch, was mich am meisten wundert, kein Wort von Nebens, Gute, Madame Trampe pp ich habe jetzt auch an ihn geschrieben, und hoffe doch, daß ihn mein Brief noch lebend antreffen werde. Doch wer weiß!
Hier hat am vorigen Sonntag der Justizrath Henneberger die sogenanten Gläubigen, die seit mehr als 4 Wochen alle Sonntag Abends ihre Zusamenkunft in einem Garten neben Ludw. B. gehalten – durch den Gerichtsdiener arretiren laßen, nemlich ihre sogenannten Prediger und einige auswärtige Glieder – die übrigen aber heißt es, haben sich dadurch in ihrer vermeinten Andacht nicht stören laßen, sondern sind auf ihren Knieen liegen geblieben. Eine große Menge Volks waren als Zuschauer bey diesen Versamlungen, wodurch denn freilich natürlicher Weise | manche Spöttereyen veranlaßt worden.
den 9ten Abends Eigentlich mein lieber Neveu, war dieser Briefbogenzuschnitt darauf berechnet, daß er als Einlage durch unsere Benike mit der letzten Post hätte an Sie abgehen sollen[.] Aber – das können Sie sich gar nicht denken, in was für Jammer und Noth die arme Benike durch das Außenbleiben ihres Briefes gerathen[.] Schon am Sonntag Abend kam sie – wider ihre sonstige Gewohnheit – um bey uns, wo möglich, Trost und Linderung zu finden – wir gaben uns alle ersinnliche Mühe ihr den Gedanken, daß Sie sich von ihr beleidigt halten dürften, oder wohl gar Ihnen ein Leid widerfahren sey, auszureden; – aber es war als wenn kein Trost anschlagen wollte, und gestern Abend war sie noch fest entschloßen, wenn sie heute keinen Brief bekäme, morgen selbst nach Berlin zu reisen – Meine Frau hat sich böse Ihrer angenomen, indem die Benike endlich gar auf den Gedanken gerieth, Sie möchten über ihren letzten Brief unzufrieden gewesen [seyn], und hätten nun aus Rachsucht nicht geschrieben das konnten wir beyde nun schlechterdings nicht zugeben, und meine Frau will schlechterdings sie müße Ihnen deshalb schriftlich ein pater
mecca
sagen – ich habe sie aber noch zu entschuldigen gesucht, daß nur Uebermaaß ihres Kumers sie auf einen solchen verzweifelten Gedanken gebracht. Nun sollten sie aber auch die Freude sehen, die Ihr ganzes Wesen gleichsam neubelebt, nachdem endlich die reitende Post heute gegen Abend den sehnlich erwünschten Brief überbracht. Und nun für heute genug – schlafen Sie recht wohl, ich will jetzt ein gleiches thun |
Es empfehlen sich anliegend die BesoldungsQuittungen zur geneigten baldigen Besorgung – Sie werden die Auslagen für die Bücher hievon zurüknehmen sowie auch das Porto für diesen Brief denn ich habe nun einmal die Grille, Briefe nicht zu frankiren aus Besorgniß daß sie liegen bleiben möchten
Ein mehreres wüßte für diesmal nicht – außer daß mir dieser Tage – eine kleine Schrift eines neuen Propheten in die Hände gekomen, der das Ende der Welt auf das Jahr 1837 festsetzt und auf einem Bogen erzählet, was in diesen 40 Jahren sich noch ereignen werde, weils nur 1 Bogen so konnte ichs mir gefallen laßen zu einer Pfeiffe zu lesen – der Mann will schon 1789 die DemarcationsLinie geweißaget haben, er heißt Thube ist Prediger – aber hoffentlich doch nicht in unsern Landen – doch vielleicht auch – an Schwärmern und Apocalypticern hat es uns ja auch nie gefehlt
Nun leben Sie recht wohl vielmals gegrüßt von uns allen – viele herzliche Grüße und Empfehlungen an den lieben Herrn Vetter Reinhard und an alle die sich dort noch erinern
Ihres aufrichtig getreuen Oncles
St.