Berlin d 2t. Sept. 1797.
Wenn ich am lezten Sonntag nur ein Blatt Briefpapier im Hause gehabt hätte, so hätte ich Dir gleich auf frischer That eine Erzählung von einer sehr angenehmen Landparthie gemacht die Dich wegen Lotte Schede gewiß interessirt hätte. Ich war nemlich mit ihrer ganzen Familie in Stralau, einem kleinen Fischerdorf eine halbe Meile von hier, welches sehr angenehm an der Spree liegt. Ich kam mit ihrem Bruder nach, sie war mit ihrer Mutter und ihren sämtlichen Schwestern schon gleich nach Tisch heraus gegangen. Unter ihren Geschwistern hatte ich sie bei unsern Spaziergängen schon öfter gesehen, aber mit ihren Eltern noch nicht; überhaupt war ich an diesem Tage zum erstenmal eigentlich in ihrem Hause, indem mich die Mutter bat den Abend bei ihnen zu bleiben, sonst hatte ich nur den Bruder gelegentlich besucht wenn ich ihn abholte, und sie übrigens nur am dritten Ort gesehn. Die Mutter ist eine recht freundliche geschäftige Hausfrau wie Lotte auch werden wird wenn dies Loos sie trift nur mit mehr Grazie und Geist als ihre Mutter. Der Vater ist ein Geschäftsmann der, wie dies meistentheils der Fall ist auch in seinem Hause einen gewißen einförmigen Schlendrian liebt, um, was er im Schweiß seines Angesichts erworben ohne Störung nach einer einmal angenommenen Regel genießen zu können. Das Glük eine so zahlreiche und gute Familie zu haben genießt er nicht in seinem ganzen Umfang sondern lebt mehr auf Ressourcen als zu Hause. Du kannst denken daß ich meine große Freude dran hatte Lotten einmal so ganz unter den Ihrigen zu sehn und meine Meinung von ihrer ganzen Art und Wesen auch hier bestätigt zu finden. Ueberall natürlich ohne jedoch was zum wahren Anstand gehört auch nur um ein Haar breit zu verlezen, munter ohne je lustig zu seyn, was auch Frauenzimmer so selten kleidet, anhänglich an die ihrigen ohne empfindsame Zärtlichkeit und geschäftig mit Lust und Eifer in jedem Kreise weiblicher Thätigkeit. Noch nie habe ich Gefühl Ueberlegung und Gewohnheit so in einander verschmolzen gesehn, daß man wirklich nicht unterscheiden kann, was Natur und Verdienst ist, was aus dem Herzen und was aus dem Verstände kommt. Einer leidenschaftlichen Liebe scheint sie mir kaum fähig zu seyn, und wenn sie auf der einen Seite von dem Bestreben zu gefallen wol soviel zu haben scheint als man an einem guten und gesitteten Mädchen leiden mag, so ist sie doch auf der andern Seite so wenig eitel, daß die Eitelkeit nie über die Natürlichkeit siegt. In Stralau hab ich mich sehr amüsirt. Wir begaben uns kurz vor Sonnenuntergang auf den Kirchplaz der hart am Fluß liegt, jenseits ein niedliches Dörfchen an der Oefnung eines Waldes, und wenn man den Fluß hinunter sieht am Rande des Gesichtskreises die Stadt mit ihren Thürmen und vie-|len sehr kenntlichen Häuserparthien. Hier hinter der Stadt ging die Sonne so rein und klar unter als man denken kann. Der Wald, das Dörfchen und die Kirche an der wir standen mit den sie umgebenden Bäumen strahlten den Glanz des Abendroths zurük und lustige Kähne voll Gesang und Musik durchschnitten den stillen Fluß. – Morgen ist unsers Onkels in Landsberg Geburtstag, gebe ihm der Himmel einen heitern Tag und ein heitres Jahr. Mir steht auch Morgen eine Merkwürdigkeit bevor. Der Hofprediger Sack wird nemlich in meiner Kirche predigen wo die Kanzel weit niedriger ist als in jeder andern um zu versuchen ob es wieder geht. Er hat nemlich schon seit 2 Jahren in keiner Kirche sondern nur am Hofe im Zimmer predigen können weil er so oft er auf die sehr hohe Kanzel im Dom kam Anfälle von Schwindel bekam. Ist das Wetter gut so bringt er vielleicht ein Paar von seinen Töchtern mit und nimmt hernach ein Frühstük bei mir ein.
den 9ten September. Dein Brief, liebe Lotte, den ich am Mittwoch erhalten habe hat einen gar wunderbaren fremden und düstern Eindruk auf mich gemacht: es weht soviel unterdrüktes Leiden drin, daß ich mich noch lange nicht davon erholen werde. Du arme Seele was wird Dir alles aufgelegt! Ist denn Dein Körper ein Magazin von Krankheiten daß eine nur ausgeräumt wird um einer andern Plaz zu machen? Was mich aber am heftigsten ergriffen hat ist gewiß – ich kann mich nicht anders überzeugen – etwas falsches, nemlich Deine eigene Meinung von innerer Abspannung und von traurigen Wirkungen körperlicher Uebel auf den Geist. Das muß falsch seyn, Dein Brief selbst beweist wenn ich ihn von der Seite ansehe immer noch das Gegentheil. Und Lotte Schlegel wird mir verzeihen, wenn ich auf ihr Zeugniß hierüber nicht recht traue. Ich weiß wie man ist wenn man von einer Reise zurükkommt, wo man eine Zeitlang unter andern Menschen und in andern Verhältnißen zugebracht hat, wie einem da alles neu und alles verändert vorkommt, und wie einem vorzüglich Niemand lebendig und warm genug ist, weil keinem Andern so wie dem Gereisten die Reiseluft aus dem Körper schlägt. So mag es ihr auch gegangen seyn, und nach ein paar Wochen wird sie gewiß die Entdekung gemacht haben, daß Du noch ganz die alte bist. Möchtest Du Dich unterdeß nur nicht eines Andern von ihr überreden laßen, den beweglich ist das Gemüth in einem solchen Zustande leider gar sehr. Im Grunde glaubt sie es selbst nicht, sonst würde gewiß bei dieser Bemerkung und der Vergleichung mit dem Onkel – deßen Geist sich übrigens auch wieder zu erholen scheint – der fühlenden und theilnehmenden Seele kein Lächeln aufgestiegen seyn. Wenn ich aber auch Recht habe, so kann es doch auch mit Deinem Körper auf die Länge nicht so fortgehn. Die Idee hiesige Aerzte zu consuliren habe ich leider ganz aufgegeben, es müßte denn Dein dortiger Arzt sich selbst dazu hergeben und eine ordentliche Krankheitsgeschichte aufsezen denn die Fragmente die Du uns geben kannst sind nicht hinlänglich einen Arzt zu | leiten. Den Winter über – diese traurige Zeit für Kranke wo ich Deiner öfter als meine Feder es Dir sagen wird mitleidend gedenken werde – mußt Du Dich freilich noch so durchstümpern denn da ist wenig anders zu machen, als eben Arzenei zu schluken soviel befohlen wird, aber sobald der Sommer hereinbricht muß von zwei Dingen eines geschehen: entweder mußt Du auf ein Vierteljahr wenigstens nach Herrnhut reisen, um Swerdtner zu Rathe zu ziehen und Dich mit voller Muße zu pflegen; oder Du mußt in irgend ein Bad gehen sei es nun Flinsberg oder Landek. Gewiß gehen doch entweder Seidlizens oder Prittwiz oder Aulocks hin und da kannst Du ja in angenehmer Gesellschaft reisen. Sieh das nur schon von jezt an als eine unvermeidliche Nothwendigkeit an und mache immer von weitem Anstalten dazu was die Erlaubniß und das Anstaltswesen betrift für das übrige soll sich schon Rath finden. Ich glaube ein Bad ist das einzige was Dir recht gründlich helfen kann; Wunder werden in solchen Fällen durch mineralische Wasser gewirkt, und da sie von Gott dazu gemacht sind, warum solltest Du sie grade nicht brauchen? Karl hat heute bei mir gefrühstükt, und seinen Brief bekommen. Es war im Ganzen eine traurige Geburtstagsfeier seine so nahe bevorstehende Abreise und Dein Brief waren nicht Mittel um recht viel Fröhlichkeit zu verbreiten ich that mein Bestes uns beide aufzuheitern; ich theilte ihm das Badeprojekt mit und nachdem wir Beide recht ordentlich darüber gesprochen hatten waren wir so getröstet über Dich und so voller Hofnung für Deine Gesundheit als ob der Sommer, der doch noch gar nicht ans Abschiednehmen denkt schon wieder vor der Thür stände und Du schon auf dem Wagen säßest nach Flinsberg. Ach! wenns nur nicht so lange hin wäre und Du den bösen Winter erst hinter Dir hättest. Deine Abschriften aus der Urania haben wir zusammen gelesen, und im ganzen schien es als ob sie mir beßer gefielen als ihm. In den Briefen ist viel schöne Empfindung und in dem Gespräch zwischen Mutter und Kind viel ächte Kindlichkeit. Das mit dem Einsiedler hat mir am wenigsten gefallen, es ist alles so schief darin genommen und der Mensch zerfällt so und die Form ist so bis zum bedeutungslosen abgenuzt und Kenntniß von dem Zustande der eigentlich geheilt werden soll ist fast gar nicht darin. So etwas kann nur derjenige schildern, der es erfahren hat, und das scheint Ewalds Fall gar nicht zu seyn. Karl will Dir ausführlich drüber schreiben, drum sage ich nur dies wenige. In 14 Tagen habe ich den guten Jungen nicht mehr, aber die feste Ueberzeugung, daß er gewiß dort nicht lange bleibt, und daß ich ihn übers Jahr wieder sehe macht daß ich es leichter ertrage. Inzwischen wird es mir eine gewaltige und schwere Lüke seyn um so mehr da auf sein Briefschreiben so wenig zu rechnen ist. Dies ist freilich | wie Du sagst immer nur ein ärmlicher Ersaz, aber es ist doch etwas. Karl scheint von seinem baldigen Wiederkommen nicht so gewiß zu seyn und die Aussicht in eine ganz fremde Welt versezt zu werden, so ganz von allen Bekannten verschlagen wie er es noch nie war, (denn selbst hier hatte er ehe ich kam doch Leute mit denen er von uns reden konnte und das ist schon gar viel) scheint ihn wol öfters zu drüken, wer kann aber gegen die Nothwendigkeit?
den 27ten Fort ist er, der gute Junge, und eine gewaltige Leere ist mir bereitet. Lang wird mir die Zeit währen, ehe ich wenigstens von seiner glüklichen Ankunft höre und noch länger die Zeit bis ich die Gewißheit habe ihn wieder in die Nähe zu bekommen. Von unserm fleißigen Zusammenseyn hat er Dir wie ich sehe geschrieben, und ich wills nicht wiederholen. Einen Genuß der mir immer werth bleiben wird hat mir sein Hierseyn gewährt und natürlich die lezte Zeit am meisten theils weil wir uns nur nach und nach kennen lernten, theils weil die bevorstehende Trennung uns jeden Augenblik doppelt werth machte. Heute Morgen frühstükten wir noch zusammen und Mittags war er zum leztenmal bei mir aber ganz reisefertig. Er brachte mir seinen Brief an Dich, eine Menge Sachen die er hier ließ, und so ließ er ganz verwirrt und reisetaumelnd das lezte Lebewol hören. Es ist eine von den wenigen nüzlichen Würkungen der menschlichen Trägheit daß sie die Augenblike des Scheidens erleichtert weil sie soviel auf den lezten Augenblik aufspart daß an wenig anderes gedacht werden kann. – Führe ihn der Himmel glüklich hin und bald wieder zurük. Man liest jezt in den Zeitungen bisweilen von republikanisirenden Bewegungen in jenen Gegenden die seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort ganz nahe liegen. Das hat mir schon bisweilen bange gemacht und ich wünsche nun noch einmal so sehnlich den Frieden der entweder diese Unternehmung auf eine ruhige Art vollendet oder das Schiksal dieser Länder auf eine andere Weise bestimmt. Der Himmel bewahre daß dort irgend ein um sich greifendes Feuer auflodere. So gern ich Karln wünschte in einer Republik zu leben wo jedem thätigen Geist aus jedem Gewerbe die Theilnahme an den gemeinen Angelegenheiten offen steht, so ängstlich würde es mir seyn ihn irgendwo zu wißen, wo eben eine Republik gemacht wird. Schönes Wetter hat er zu seiner Reise und ich wünschte wol daß es so bliebe damit er von dem schönen Harzgebirge welches er wenigstens vorbeistreifen muß einen angenehmen Eindruk bekomme. Daß ich außer unserm brüderlichen Wesen auch für die Erweiterung meiner Kenntniße viel an ihm verliere weißt Du vielleicht nicht. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit einigermaßen mit Naturwissenschaften und besonders mit Chemie und da er nun sein Fach während seiner Hierseyns sehr wissenschaftlich betrieben hat, so habe ich viel von ihm gelernt, gewiß mehr als er von mir in andern Dingen. Er hat gewiß mehr gründliche Einsichten in die Wissenschaften die in sein Fach einschlagen als hundert Andere, und das hilft ihm für sein äußeres alles nichts ohne Geld – fatale Welt mit ihren Einrichtungen! |
den 4ten October. Daß Dein Brief die Nachricht von dem Abscheiden Deiner treuen und so sehr geliebten Stubengefährtin enthalten würde, hatte ich wol im voraus vermuthet ja sogar von Herzen gewünscht, denn bei einem Uebel von der Art, was hilft da langes Leiden wenn doch keine Beßerung zu hoffen ist. Welchen Eindruk dies alles auf eure Kinder gemacht haben muß, kann ich mir gar leicht vorstellen und freue mich herzlich jeder guten Empfindung welche dieses Bild bei mancher unter ihnen hervorbringen wird wenn auch jezt unmittelbar wenig davon zu bemerken wäre. Bekannte Personen und besonders solche die ihre Wolthäter gewesen sind, sterben zu sehn das pflegt auch Kindern schon sehr heilsam zu seyn. – Auch ich bin in diesen lezten Wochen durch die Krankheit eines Mannes erschrekt worden, mit dem ich freilich so genau nicht verbunden war als Du mit Lorel, aber für den ich mich doch von ganzer Seele interessire. Der alte Probst Spalding nemlich, ein Mann von beinahe 83 Jahren bekam vor einigen Wochen eine ziemlich heftige Ruhr und war lange in Gefahr. Aber welche Natur sich in solchem Alter durch solches Uebel hindurchzuarbeiten und er hat es richtig noch gethan, und zwar wohnte er noch in seinem SommerAufenthalt in Charlottenburg wo er doch nicht jeden Augenblik wenn ihm etwas besondres zustieß ärztliche Hülfe haben konnte. Jezt ist über den herrlichen Mann ein neues Unglük ausgebrochen: seine Frau die seiner mit der größten Zärtlichkeit und Sorgfalt gepflegt hat, hat nun die Ruhr in einem weit heftigern Grade bekommen, als er sie hatte, und man ist sehr für ihr Leben besorgt; seit gestern fängt sie an sich etwas zu beßern. Die Zärtlichkeit welche zwischen diesen beiden ehrwürdigen Alten stattfindet und die kindliche Verehrung aller ihrer Kinder und Angehörigen ist in unserer Stadt wo es fast zum guten Ton gehört mit seinen nächsten Blutsverwandten so wenig als möglich nahe verbunden zu seyn ein seltenes Beispiel echt patriarchalischer Eintracht und Pietät, und was ich davon höre – denn ich sehe nichts davon weil sie Besuch unter solchen Umständen nicht gern haben – erfreut mich immer fast bis zum Entzüken. Auch Eichmanns sehe ich weniger weil sie als Nachbarn und nächste Hausfreunde (sie wohnen auch noch in Charlottenburg) sehr viel bei Spalding um hülfreich allerlei Dienste zu leisten.
Meine verreisten Freunde – ich habe schon in meinem lezten Briefe, wo ich nicht irre, der Reise der beiden Dohna’s erwähnt – bleiben etwas länger als Deine Lotte, denn sie sind noch nicht zurük, und werden erst gegen Ende des Monats erwartet. Ueber sie wie über Lotte Schlegel freue ich mich herzlich. Wie gern gönne ich es jedem guten Menschen von Zeit zu Zeit die Freuden des Wiedersehns mit den seinigen zu genießen. Daß Lotte zu ihrem Vortheil verändert befunden worden ist nimmt mich gar nicht Wunder. Ich weiß aus eigener Erfahrung daß nichts mehr bildet, als das Bilden anderer Menschen, und nun die Selbstthätigkeit zu einem | großen Zwek der Frauenzimmer und besonders bei Euch nur als Vorsteherinnen oder in der Erziehung froh werden können, dies zusammen muß freilich eine große Wirkung aufs Gemüth machen. Die Heiterkeit mit der sie zurükgekommen ist hat freilich verursacht, daß ihr Dein Zustand noch weit übler erschienen ist, als er gewesen seyn mag; aber gewiß wird von ihrer Freudigkeit auch viel auf Dich übergegangen seyn, und wenn sie und ihre Sorge um Dich nicht wäre wie bange müßte mir bei Deiner fortwährenden Schwachheit seyn. Grüße Sie herzlich von mir. – Sonderbar daß mir auch kurz vor der Ankunft Deines Briefes etwas ähnliches begegnet ist wie Dir, in Absicht auf Aehnlichkeit. Ich gehe unter den Linden und begegne da einem sehr anständig aber sehr bescheiden eingekleideten jungen Frauenzimmer welches Dir den einzigen Umstand abgerechnet, daß sie etwas jedoch nicht bedeutend größer war, so vollkommen glich wie mir noch nie etwas vorgekommen ist. Sie schien zu promeniren und hatte einen Bedienten hinter sich; ich cotoyirte sie ein paar mal die Linden auf und ab um zu hören ob sich Niemand zu ihr gesellen und ob sie nicht sprechen würde, am Ende aber ging mir nicht sowol die Neugierde als vielmehr die Zeit aus und ich mußte ganz unbefriedigt abtrollen. Einige Tage darauf bin ich bei Herz zu einem Thee, wo viele Leute waren – und siehe da auch ein Gesicht von dem ich nicht zweifeln konnte daß es das nemliche sei was ich vor wenigen Tagen vergeblich verfolgt hatte. Es war ein Fräulein aus Sachsen, aber Deinen Thon der Sprache und Dein Lachen hatte sie nicht. Sollte die Aehnlichkeit vollkommen seyn, so müßte ich an ihr auch noch eine kleinere Nase gefunden haben, als die Deinige die wie Du wol weißt, ungebührlich klein ist, aber nein. Ich sprach mit ihr und sie redete sehr verständig und ungezwungen über Ifland über das Theater, über einige Bücher und was dergleichen Unterhaltungspläze in solchen Zirkeln mehr sind aber ein besonderes Interesse fand ich dann auch nicht an ihr. Meine Nase, die hier im Geruch der Philosophie steht und sich gegenwärtig an einem anhaltenden Schnupfen sehr übel befindet bitte ich in allen Ehren zu laßen um so mehr da ich unmittelbar dadurch angegriffen werde, denn es ist nicht eigentlich ihre Länge sondern ihre Dike was Dir mißfällt, und diese habe ich unstreitig selbst gemacht. A propos ehe ichs vergeße: sage mir doch nächstens ja wie es mit Strampfs steht denn wenn sie hier sind möchte ich ihnen doch gern meinen Besuch machen. Für heut lebe wol ich habe Dir noch viel zu sagen und der Brief wird sich schon noch ein paar Posttage gedulden müßen. |
den 22ten October. Aus den Paar Posttagen sind ein paar Wochen geworden und deßen was ich Dir zu sagen habe ist unterdeß nicht weniger sondern mehr geworden. Da sind vor einigen Tagen die Dohna’s zurük gekommen und haben mir viel aus Preußen erzählt. Alles befindet sich wol, alles lebt einträchtig, Comteße Karoline ohne Geheimniße und ohne Spannung mit ihren Eltern, die Gräfin von Karwinden auf dem vertrautesten Fuß der je stattgefunden hat. Der frohen Feste sind während dieses Aufenthalts viele gefeiert worden, unter andern ist Graf Louis Geburtstag den 8ten September mit einer großen militärischen Fete begangen worden. Graf Fabian der bisher als Junker in Königsberg vielerlei Unannehmlichkeiten erduldet ist Offizier geworden, und meiner erinnern sich Alle, wie die Grafen versichern, freundlich und liebreich. Es thut mir doch immer noch sehr wohl von dort zu hören und mein herzliches Interesse an diesen lieben Leuten wird nie aufhören. – Da haben die Grafen noch einen andern Dohna mitgebracht und in dem habe ich einen alten Bekannten entdekt; es ist der Dohna, den ich als Knabe in der Anstalt in Niesky gekannt habe, und der mit Karl auf einer Stube wohnte. Er war ein außerordentlich schönes Kind und ist jezt mit starken Traits und von den Poken verdorben nichts weniger als hübsch. Was innerlich aus ihm geworden ist, kann ich freilich von einmal sehen nicht beurtheilen. Eigentlich wollt ich Dir aber von einer weit interessanteren Bekanntschaft erzählen die ich zwar dem äußeren nach schon diesen Sommer gemacht aber die erst seit kurzem für mich recht wichtig und fruchtbar geworden ist. Es ist nichts weibliches sondern ein junger Mann, der – merkwürdig genug Schlegel heißt und sich jezt hier aufhält. Ich lernte ihn zuerst in einer geschloßenen Gesellschaft kennen von der ich ein Mitglied bin wo man zusammen kommt um sich Aufsäze vorzulesen, schöne schriftstellerische Werke zu beherzigen, literarische Neuigkeiten mitzutheilen u.s.w. Ich weiß nicht ob ich Dir von dieser Gesellschaft unter dem Namen der Mittwochsgesellschaft schon etwas geschrieben habe; wo nicht so soll Dir nächstens eine nähere Nachricht davon zu Dienste stehen. Hier lernte ich Schlegel zuerst kennen dann sah ich ihn öfters bei Herz und Brinkmann der seine Bekanntschaft schon vor einigen Jahren gemacht hatte brachte uns näher zusammen. Er ist ein junger Mann von 25 Jahren, von so ausgebreiteten Kenntnißen, daß man nicht begreifen kann, wie es möglich ist bei solcher Jugend soviel zu wißen, von einem originellen Geist, der hier wo es doch viel Geist und Talente giebt alles sehr weit überragt, und in seinen Sitten von einer Natürlichkeit, Offenheit und kindlichen Jugendlichkeit, deren Vereinigung mit jenem allem vielleicht bei weitem das wunderbarste ist. Er ist überall wo er hinkommt wegen seines Wizes sowol als wegen seiner Unbefangenheit der angenehmste Gesellschafter. Mir aber ist er mehr als das, er ist mir von sehr großem wesentlichen Nuzen. Ich bin zwar hier nie ohne gelehrten Umgang gewesen, und für jede einzelne Wissenschaft die mich interessirt hatte ich einen Mann mit dem ich darüber reden konnte; aber doch fehlte es mir gänzlich an einem, dem ich meine philosophischen Ideen so recht mittheilen konnte und der in die tiefsten Abstraktionen mit mir hineinging. Diese große Lüke füllt er nun aufs herrlichste aus; ich kann ihm nicht nur was schon in mir ist ausschütten sondern durch den unversiegbaren Strom neuer Ansichten und Ideen der ihm unaufhörlich | zufließt wird auch in mir manches in Bewegung gesezt was geschlummert hatte. Kurz für mein Daseyn in der philosophischen und litterarischen Welt geht seit meiner nähern Bekanntschaft mit ihm gleichsam eine neue Periode an. Ich sage seit meiner nähern Bekanntschaft, denn ob ich gleich seine Philosophie und seine Talente weit eher kennen und bewundern lernte so ist es doch eine Eigenheit von mir, daß ich auch in das Innere meines Verstandes Niemanden hinein führen kann wenn ich nicht zugleich von der Unverdorbenheit und Rechtschaffenheit seines Gemüths überzeugt bin; ich kann mit Niemand philosophiren deßen Gesinnungen mir nicht gefallen. Nur erst nachdem ich hievon soviel Gewißheit hatte, als man mit gesunden Sinnen aus dem Umgang und den kleinen Äußerungen eines Menschen schöpfen kann, gab ich mich ihm näher und bin jezt sehr viel mit ihm. Er hat keine sogenannte Brodtwissenschaft studirt, will auch kein Amt bekleiden, sondern so lange es geht spärlich aber unabhängig von dem Ertrag seiner Schriftstellerei leben, die lauter wichtige Gegenstände umfaßt und sich nicht so weit erniedrigt um des Brodtes willen etwas mittelmäßiges zu Markte zu bringen. An mir rupft er beständig ich müßte auch schreiben, es gäbe tausend Dinge die gesagt werden müßten und die grade ich sagen könnte, und besonders seitdem er mich in der erwähnten Gesellschaft eine kleine Abhandlung hat vorlesen hören läßt er mir keinen Tag ruhe. Wir kauen jezt an einem Projekt, daß er auf Neujahr zu mir ziehn soll, und ich würde mich königlich freuen wenn das zu Stande käme, denn jezt kostet mich jeder Gang zu ihm hin und zurük immer eine Stunde Weges. NB. den Vornamen hat er von mir: er heißt Friedrich; er gleicht mir auch in manchen Naturmängeln, er ist nicht musikalisch, zeichnet nicht, liebt das französische nicht, und hat schlechte Augen. Seit 8 Tagen habe ich einen großen Theil meiner Vormittage die ich sonst sehr heilig halte bei ihm zugebracht um eine philosophische Lektüre mit ihm zu machen die er nicht gut aus den Händen geben konnte. Daß ich soviel von ihm geplaudert habe wird Dir hoffentlich nicht unlieb seyn, da er zu denen gehört die mir jezt hier die liebsten sind. – Aus Landsberg habe ich unangenehme Nachrichten: Benike ist an hypochondrischen Uebeln denen er von Zeit zu Zeit unterworfen ist sehr ernstlich und fast gefährlich krank und die arme Frau hat ihre tausend Noth und Sorge. Sie bildet sich fest ein daß er sterben wird, schläft keine Nacht, sezt ihre schwache Gesundheit zu, und ich size hier und kann zu alle dem Elende nichts thun, denn weder mein Beutel noch meine Verhältniße laßen es zu daß ich jezt hinreisen kann. Von der Mutter habe ich seit ewigen Zeiten nichts gehört und von Arensberg auch noch keine Nachricht ob gleich Karl versprach zu schreiben sobald er angekommen wäre und sich ein wenig umgesehen hätte. In der Hofnung daß er sein Wort halten will, will ich diesen Brief der doch schon so lange gelegen hat noch einige Tage warten laßen damit Deine Freude desto größer sei wenn Du gleich erfährst wie es der guten Seele geht. Wollte ich anfangen zu klagen wie sehr er mir fehlt und wie nichts was ich in dieser Rüksicht befürchte zu viel war so würde ich das Ende sobald nicht finden können. Ich will mich aber darauf nicht einlaßen; wem wäre auch damit geholfen. – Es ist sehr spät, so spät daß Du schon halb ausgeschlafen haben kannst. Möchtest Du wol ruhen, und möchte mich meine Hofnung Dir noch etwas angenehmes vor Abgang dieser Epistel mittheilen zu können nicht trügen. |
den 12ten November. Was ist das Warten auf etwas für eine verführerische Sache! Endlich hat zwar Karl geschrieben, und ich kann Dir seinen Brief beilegen aber ich schike doch diese Epistel nicht ohne Vorwürfe ab die ich mir selbst darüber mache. Wie lange wirst Du, gute Seele, vergeblich nach Briefen ausgesehn haben und mit was für traurigen Muthmaßungen hast Du Dich unterdeß gequält. Denke Dir aber nur was unterdeß vorgegangen und wie entsezlich ich mich geärgert habe daß Karl nach Arensberg gegangen ist. Schon ehe er die Unannehmlichkeiten hier hatte die die Veranlaßung gaben daß er seinen Abschied nahm äußerte er öfters den Wunsch in Stettin conditioniren zu können. Es ist nemlich dort ein Hofapotheker Maier der einen Handel en gros mit MedicinalWaaren die er selbst verfertigt betreibt und wo er also die herrlichste Gelegenheit hatte sowol im Wissenschaftlichen als vorzüglich im Merkantilischen seines Faches die genauesten Kenntniße zu erwerben. Ueberdem hatte es einen Reiz für ihn in einer See und Handelsstadt dergleichen er noch gar nichts gesehn hat zu leben. Sobald er also hier quittirt hatte schrieb ich an den Doktor Rhades von dem ich wol von Landsberg aus Erwähnung gethan habe und der jezt in Stettin wohnt und mit Maier verwandt ist – und nun 4 Wochen nachdem Karl abgereist ist komt ein hiesiger Apotheker zu mir dem Maier den Auftrag gegeben hat meinen Bruder – in der Voraussezung daß er noch hier wäre zu engagiren und zwar auf die ehrenvollste Art als Aufseher seines Laboratorii. Zum Glük stehn die Sachen so daß wenn er nur zu Neujahr dort abkommen kann die Stelle ihm unverloren ist, und ich habe also meine Epistel an ihn, die sich ohnedies zum Abgehn qualificirte sogleich abgesandt. Und nun ist mir sein Brief so sehnlich er erwartet war doch um ein paar Tage zu früh gekommen denn 2 Tage nach Abgang desselben muß der meinige dort eingetroffen seyn. In solchen Dingen jemanden zu rathen ist freilich höchst mißlich aber mein innerster Wunsch ist er möge Herz faßen und aus seinem Westfälischen Winkel zurükkommen.
Von der Mutter – die von Karls Abgehn von hier noch gar nichts weiß habe ich auch vor ein paar Tagen Briefe gehabt an mich und ihn, und | Schwester Aennchen hat auch ein paar Zeilen beigelegt. Ach Gott werde ich die guten Kinder nie sehn? Die Mutter schreibt daß endlich auch der Bücherverkauf und die ganze Auseinandersezung zu Ende gekommen sei und vermuthet, daß die Regierung uns schon Nachricht davon gegeben haben werde – mir ist aber noch nichts zu Ohren gekommen, wol Dir? Wegen Karl wird das wieder eine Menge von Weitläuftigkeiten machen. Ich will noch diesen Monat auch an die Mutter schreiben und sie bitten die Sache in Anregung zu bringen
Und nun auch nicht eine Stunde länger denn es ist die lezte Stunde vor Abgang der Post und vor einem Abgang zu Herz wo Du mich jezt bestirnt alle Sonntag Abend suchen kannst die ich da mit den Grafen mit Schedes mit Schlegel und oft auch mit Brinkmann zubringe.
Lebe wol, mache es nicht wie ich, sondern laß recht bald von Dir hören und möchte es von Deiner Gesundheit recht viel tröstliches seyn. Wir haben jezt hier seit mehreren Tagen einen drükenden Nebel und einen höchst unangenehmen Herbst und ich habe mit vielem Trübsinn an den Einfluß gedacht, den solche Witterung wenn ihr sie dort so habt auf Deinen Körper haben mußte. Was macht Line Aulock? scheint die Verändrung zu ihrem Vortheil auszuschlagen, und wie ist sie, wenn sie mit der Mutter euch besucht? Um so mehr mußt Du bald schreiben weil Dein Brief sehr sparsam ausgestattet war mit Nachrichten von den lieben Leuten, denen ich wie Du weißt so attachirt bin[,] von der Aulock Prittwiz Zimmermann ja selbst von Lotten der mein ganzes Herz dankt für ihre Sorgfalt an Dir, steht nur wenig darin. Benike ist dem Himmel sei Dank wieder gesund und der Onkel scheint sich auch je länger je mehr zu erholen und mit dem Körper auch seinem Geist Leben zurükzukehren. Möchtest Du auch bald ganz wieder die Freude der Gesundheit kosten das ist der erste Wunsch Deines treuen Bruders
Friz
Wenn ich am lezten Sonntag nur ein Blatt Briefpapier im Hause gehabt hätte, so hätte ich Dir gleich auf frischer That eine Erzählung von einer sehr angenehmen Landparthie gemacht die Dich wegen Lotte Schede gewiß interessirt hätte. Ich war nemlich mit ihrer ganzen Familie in Stralau, einem kleinen Fischerdorf eine halbe Meile von hier, welches sehr angenehm an der Spree liegt. Ich kam mit ihrem Bruder nach, sie war mit ihrer Mutter und ihren sämtlichen Schwestern schon gleich nach Tisch heraus gegangen. Unter ihren Geschwistern hatte ich sie bei unsern Spaziergängen schon öfter gesehen, aber mit ihren Eltern noch nicht; überhaupt war ich an diesem Tage zum erstenmal eigentlich in ihrem Hause, indem mich die Mutter bat den Abend bei ihnen zu bleiben, sonst hatte ich nur den Bruder gelegentlich besucht wenn ich ihn abholte, und sie übrigens nur am dritten Ort gesehn. Die Mutter ist eine recht freundliche geschäftige Hausfrau wie Lotte auch werden wird wenn dies Loos sie trift nur mit mehr Grazie und Geist als ihre Mutter. Der Vater ist ein Geschäftsmann der, wie dies meistentheils der Fall ist auch in seinem Hause einen gewißen einförmigen Schlendrian liebt, um, was er im Schweiß seines Angesichts erworben ohne Störung nach einer einmal angenommenen Regel genießen zu können. Das Glük eine so zahlreiche und gute Familie zu haben genießt er nicht in seinem ganzen Umfang sondern lebt mehr auf Ressourcen als zu Hause. Du kannst denken daß ich meine große Freude dran hatte Lotten einmal so ganz unter den Ihrigen zu sehn und meine Meinung von ihrer ganzen Art und Wesen auch hier bestätigt zu finden. Ueberall natürlich ohne jedoch was zum wahren Anstand gehört auch nur um ein Haar breit zu verlezen, munter ohne je lustig zu seyn, was auch Frauenzimmer so selten kleidet, anhänglich an die ihrigen ohne empfindsame Zärtlichkeit und geschäftig mit Lust und Eifer in jedem Kreise weiblicher Thätigkeit. Noch nie habe ich Gefühl Ueberlegung und Gewohnheit so in einander verschmolzen gesehn, daß man wirklich nicht unterscheiden kann, was Natur und Verdienst ist, was aus dem Herzen und was aus dem Verstände kommt. Einer leidenschaftlichen Liebe scheint sie mir kaum fähig zu seyn, und wenn sie auf der einen Seite von dem Bestreben zu gefallen wol soviel zu haben scheint als man an einem guten und gesitteten Mädchen leiden mag, so ist sie doch auf der andern Seite so wenig eitel, daß die Eitelkeit nie über die Natürlichkeit siegt. In Stralau hab ich mich sehr amüsirt. Wir begaben uns kurz vor Sonnenuntergang auf den Kirchplaz der hart am Fluß liegt, jenseits ein niedliches Dörfchen an der Oefnung eines Waldes, und wenn man den Fluß hinunter sieht am Rande des Gesichtskreises die Stadt mit ihren Thürmen und vie-|len sehr kenntlichen Häuserparthien. Hier hinter der Stadt ging die Sonne so rein und klar unter als man denken kann. Der Wald, das Dörfchen und die Kirche an der wir standen mit den sie umgebenden Bäumen strahlten den Glanz des Abendroths zurük und lustige Kähne voll Gesang und Musik durchschnitten den stillen Fluß. – Morgen ist unsers Onkels in Landsberg Geburtstag, gebe ihm der Himmel einen heitern Tag und ein heitres Jahr. Mir steht auch Morgen eine Merkwürdigkeit bevor. Der Hofprediger Sack wird nemlich in meiner Kirche predigen wo die Kanzel weit niedriger ist als in jeder andern um zu versuchen ob es wieder geht. Er hat nemlich schon seit 2 Jahren in keiner Kirche sondern nur am Hofe im Zimmer predigen können weil er so oft er auf die sehr hohe Kanzel im Dom kam Anfälle von Schwindel bekam. Ist das Wetter gut so bringt er vielleicht ein Paar von seinen Töchtern mit und nimmt hernach ein Frühstük bei mir ein.
den 9ten September. Dein Brief, liebe Lotte, den ich am Mittwoch erhalten habe hat einen gar wunderbaren fremden und düstern Eindruk auf mich gemacht: es weht soviel unterdrüktes Leiden drin, daß ich mich noch lange nicht davon erholen werde. Du arme Seele was wird Dir alles aufgelegt! Ist denn Dein Körper ein Magazin von Krankheiten daß eine nur ausgeräumt wird um einer andern Plaz zu machen? Was mich aber am heftigsten ergriffen hat ist gewiß – ich kann mich nicht anders überzeugen – etwas falsches, nemlich Deine eigene Meinung von innerer Abspannung und von traurigen Wirkungen körperlicher Uebel auf den Geist. Das muß falsch seyn, Dein Brief selbst beweist wenn ich ihn von der Seite ansehe immer noch das Gegentheil. Und Lotte Schlegel wird mir verzeihen, wenn ich auf ihr Zeugniß hierüber nicht recht traue. Ich weiß wie man ist wenn man von einer Reise zurükkommt, wo man eine Zeitlang unter andern Menschen und in andern Verhältnißen zugebracht hat, wie einem da alles neu und alles verändert vorkommt, und wie einem vorzüglich Niemand lebendig und warm genug ist, weil keinem Andern so wie dem Gereisten die Reiseluft aus dem Körper schlägt. So mag es ihr auch gegangen seyn, und nach ein paar Wochen wird sie gewiß die Entdekung gemacht haben, daß Du noch ganz die alte bist. Möchtest Du Dich unterdeß nur nicht eines Andern von ihr überreden laßen, den beweglich ist das Gemüth in einem solchen Zustande leider gar sehr. Im Grunde glaubt sie es selbst nicht, sonst würde gewiß bei dieser Bemerkung und der Vergleichung mit dem Onkel – deßen Geist sich übrigens auch wieder zu erholen scheint – der fühlenden und theilnehmenden Seele kein Lächeln aufgestiegen seyn. Wenn ich aber auch Recht habe, so kann es doch auch mit Deinem Körper auf die Länge nicht so fortgehn. Die Idee hiesige Aerzte zu consuliren habe ich leider ganz aufgegeben, es müßte denn Dein dortiger Arzt sich selbst dazu hergeben und eine ordentliche Krankheitsgeschichte aufsezen denn die Fragmente die Du uns geben kannst sind nicht hinlänglich einen Arzt zu | leiten. Den Winter über – diese traurige Zeit für Kranke wo ich Deiner öfter als meine Feder es Dir sagen wird mitleidend gedenken werde – mußt Du Dich freilich noch so durchstümpern denn da ist wenig anders zu machen, als eben Arzenei zu schluken soviel befohlen wird, aber sobald der Sommer hereinbricht muß von zwei Dingen eines geschehen: entweder mußt Du auf ein Vierteljahr wenigstens nach Herrnhut reisen, um Swerdtner zu Rathe zu ziehen und Dich mit voller Muße zu pflegen; oder Du mußt in irgend ein Bad gehen sei es nun Flinsberg oder Landek. Gewiß gehen doch entweder Seidlizens oder Prittwiz oder Aulocks hin und da kannst Du ja in angenehmer Gesellschaft reisen. Sieh das nur schon von jezt an als eine unvermeidliche Nothwendigkeit an und mache immer von weitem Anstalten dazu was die Erlaubniß und das Anstaltswesen betrift für das übrige soll sich schon Rath finden. Ich glaube ein Bad ist das einzige was Dir recht gründlich helfen kann; Wunder werden in solchen Fällen durch mineralische Wasser gewirkt, und da sie von Gott dazu gemacht sind, warum solltest Du sie grade nicht brauchen? Karl hat heute bei mir gefrühstükt, und seinen Brief bekommen. Es war im Ganzen eine traurige Geburtstagsfeier seine so nahe bevorstehende Abreise und Dein Brief waren nicht Mittel um recht viel Fröhlichkeit zu verbreiten ich that mein Bestes uns beide aufzuheitern; ich theilte ihm das Badeprojekt mit und nachdem wir Beide recht ordentlich darüber gesprochen hatten waren wir so getröstet über Dich und so voller Hofnung für Deine Gesundheit als ob der Sommer, der doch noch gar nicht ans Abschiednehmen denkt schon wieder vor der Thür stände und Du schon auf dem Wagen säßest nach Flinsberg. Ach! wenns nur nicht so lange hin wäre und Du den bösen Winter erst hinter Dir hättest. Deine Abschriften aus der Urania haben wir zusammen gelesen, und im ganzen schien es als ob sie mir beßer gefielen als ihm. In den Briefen ist viel schöne Empfindung und in dem Gespräch zwischen Mutter und Kind viel ächte Kindlichkeit. Das mit dem Einsiedler hat mir am wenigsten gefallen, es ist alles so schief darin genommen und der Mensch zerfällt so und die Form ist so bis zum bedeutungslosen abgenuzt und Kenntniß von dem Zustande der eigentlich geheilt werden soll ist fast gar nicht darin. So etwas kann nur derjenige schildern, der es erfahren hat, und das scheint Ewalds Fall gar nicht zu seyn. Karl will Dir ausführlich drüber schreiben, drum sage ich nur dies wenige. In 14 Tagen habe ich den guten Jungen nicht mehr, aber die feste Ueberzeugung, daß er gewiß dort nicht lange bleibt, und daß ich ihn übers Jahr wieder sehe macht daß ich es leichter ertrage. Inzwischen wird es mir eine gewaltige und schwere Lüke seyn um so mehr da auf sein Briefschreiben so wenig zu rechnen ist. Dies ist freilich | wie Du sagst immer nur ein ärmlicher Ersaz, aber es ist doch etwas. Karl scheint von seinem baldigen Wiederkommen nicht so gewiß zu seyn und die Aussicht in eine ganz fremde Welt versezt zu werden, so ganz von allen Bekannten verschlagen wie er es noch nie war, (denn selbst hier hatte er ehe ich kam doch Leute mit denen er von uns reden konnte und das ist schon gar viel) scheint ihn wol öfters zu drüken, wer kann aber gegen die Nothwendigkeit?
den 27ten Fort ist er, der gute Junge, und eine gewaltige Leere ist mir bereitet. Lang wird mir die Zeit währen, ehe ich wenigstens von seiner glüklichen Ankunft höre und noch länger die Zeit bis ich die Gewißheit habe ihn wieder in die Nähe zu bekommen. Von unserm fleißigen Zusammenseyn hat er Dir wie ich sehe geschrieben, und ich wills nicht wiederholen. Einen Genuß der mir immer werth bleiben wird hat mir sein Hierseyn gewährt und natürlich die lezte Zeit am meisten theils weil wir uns nur nach und nach kennen lernten, theils weil die bevorstehende Trennung uns jeden Augenblik doppelt werth machte. Heute Morgen frühstükten wir noch zusammen und Mittags war er zum leztenmal bei mir aber ganz reisefertig. Er brachte mir seinen Brief an Dich, eine Menge Sachen die er hier ließ, und so ließ er ganz verwirrt und reisetaumelnd das lezte Lebewol hören. Es ist eine von den wenigen nüzlichen Würkungen der menschlichen Trägheit daß sie die Augenblike des Scheidens erleichtert weil sie soviel auf den lezten Augenblik aufspart daß an wenig anderes gedacht werden kann. – Führe ihn der Himmel glüklich hin und bald wieder zurük. Man liest jezt in den Zeitungen bisweilen von republikanisirenden Bewegungen in jenen Gegenden die seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort ganz nahe liegen. Das hat mir schon bisweilen bange gemacht und ich wünsche nun noch einmal so sehnlich den Frieden der entweder diese Unternehmung auf eine ruhige Art vollendet oder das Schiksal dieser Länder auf eine andere Weise bestimmt. Der Himmel bewahre daß dort irgend ein um sich greifendes Feuer auflodere. So gern ich Karln wünschte in einer Republik zu leben wo jedem thätigen Geist aus jedem Gewerbe die Theilnahme an den gemeinen Angelegenheiten offen steht, so ängstlich würde es mir seyn ihn irgendwo zu wißen, wo eben eine Republik gemacht wird. Schönes Wetter hat er zu seiner Reise und ich wünschte wol daß es so bliebe damit er von dem schönen Harzgebirge welches er wenigstens vorbeistreifen muß einen angenehmen Eindruk bekomme. Daß ich außer unserm brüderlichen Wesen auch für die Erweiterung meiner Kenntniße viel an ihm verliere weißt Du vielleicht nicht. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit einigermaßen mit Naturwissenschaften und besonders mit Chemie und da er nun sein Fach während seiner Hierseyns sehr wissenschaftlich betrieben hat, so habe ich viel von ihm gelernt, gewiß mehr als er von mir in andern Dingen. Er hat gewiß mehr gründliche Einsichten in die Wissenschaften die in sein Fach einschlagen als hundert Andere, und das hilft ihm für sein äußeres alles nichts ohne Geld – fatale Welt mit ihren Einrichtungen! |
den 4ten October. Daß Dein Brief die Nachricht von dem Abscheiden Deiner treuen und so sehr geliebten Stubengefährtin enthalten würde, hatte ich wol im voraus vermuthet ja sogar von Herzen gewünscht, denn bei einem Uebel von der Art, was hilft da langes Leiden wenn doch keine Beßerung zu hoffen ist. Welchen Eindruk dies alles auf eure Kinder gemacht haben muß, kann ich mir gar leicht vorstellen und freue mich herzlich jeder guten Empfindung welche dieses Bild bei mancher unter ihnen hervorbringen wird wenn auch jezt unmittelbar wenig davon zu bemerken wäre. Bekannte Personen und besonders solche die ihre Wolthäter gewesen sind, sterben zu sehn das pflegt auch Kindern schon sehr heilsam zu seyn. – Auch ich bin in diesen lezten Wochen durch die Krankheit eines Mannes erschrekt worden, mit dem ich freilich so genau nicht verbunden war als Du mit Lorel, aber für den ich mich doch von ganzer Seele interessire. Der alte Probst Spalding nemlich, ein Mann von beinahe 83 Jahren bekam vor einigen Wochen eine ziemlich heftige Ruhr und war lange in Gefahr. Aber welche Natur sich in solchem Alter durch solches Uebel hindurchzuarbeiten und er hat es richtig noch gethan, und zwar wohnte er noch in seinem SommerAufenthalt in Charlottenburg wo er doch nicht jeden Augenblik wenn ihm etwas besondres zustieß ärztliche Hülfe haben konnte. Jezt ist über den herrlichen Mann ein neues Unglük ausgebrochen: seine Frau die seiner mit der größten Zärtlichkeit und Sorgfalt gepflegt hat, hat nun die Ruhr in einem weit heftigern Grade bekommen, als er sie hatte, und man ist sehr für ihr Leben besorgt; seit gestern fängt sie an sich etwas zu beßern. Die Zärtlichkeit welche zwischen diesen beiden ehrwürdigen Alten stattfindet und die kindliche Verehrung aller ihrer Kinder und Angehörigen ist in unserer Stadt wo es fast zum guten Ton gehört mit seinen nächsten Blutsverwandten so wenig als möglich nahe verbunden zu seyn ein seltenes Beispiel echt patriarchalischer Eintracht und Pietät, und was ich davon höre – denn ich sehe nichts davon weil sie Besuch unter solchen Umständen nicht gern haben – erfreut mich immer fast bis zum Entzüken. Auch Eichmanns sehe ich weniger weil sie als Nachbarn und nächste Hausfreunde (sie wohnen auch noch in Charlottenburg) sehr viel bei Spalding um hülfreich allerlei Dienste zu leisten.
Meine verreisten Freunde – ich habe schon in meinem lezten Briefe, wo ich nicht irre, der Reise der beiden Dohna’s erwähnt – bleiben etwas länger als Deine Lotte, denn sie sind noch nicht zurük, und werden erst gegen Ende des Monats erwartet. Ueber sie wie über Lotte Schlegel freue ich mich herzlich. Wie gern gönne ich es jedem guten Menschen von Zeit zu Zeit die Freuden des Wiedersehns mit den seinigen zu genießen. Daß Lotte zu ihrem Vortheil verändert befunden worden ist nimmt mich gar nicht Wunder. Ich weiß aus eigener Erfahrung daß nichts mehr bildet, als das Bilden anderer Menschen, und nun die Selbstthätigkeit zu einem | großen Zwek der Frauenzimmer und besonders bei Euch nur als Vorsteherinnen oder in der Erziehung froh werden können, dies zusammen muß freilich eine große Wirkung aufs Gemüth machen. Die Heiterkeit mit der sie zurükgekommen ist hat freilich verursacht, daß ihr Dein Zustand noch weit übler erschienen ist, als er gewesen seyn mag; aber gewiß wird von ihrer Freudigkeit auch viel auf Dich übergegangen seyn, und wenn sie und ihre Sorge um Dich nicht wäre wie bange müßte mir bei Deiner fortwährenden Schwachheit seyn. Grüße Sie herzlich von mir. – Sonderbar daß mir auch kurz vor der Ankunft Deines Briefes etwas ähnliches begegnet ist wie Dir, in Absicht auf Aehnlichkeit. Ich gehe unter den Linden und begegne da einem sehr anständig aber sehr bescheiden eingekleideten jungen Frauenzimmer welches Dir den einzigen Umstand abgerechnet, daß sie etwas jedoch nicht bedeutend größer war, so vollkommen glich wie mir noch nie etwas vorgekommen ist. Sie schien zu promeniren und hatte einen Bedienten hinter sich; ich cotoyirte sie ein paar mal die Linden auf und ab um zu hören ob sich Niemand zu ihr gesellen und ob sie nicht sprechen würde, am Ende aber ging mir nicht sowol die Neugierde als vielmehr die Zeit aus und ich mußte ganz unbefriedigt abtrollen. Einige Tage darauf bin ich bei Herz zu einem Thee, wo viele Leute waren – und siehe da auch ein Gesicht von dem ich nicht zweifeln konnte daß es das nemliche sei was ich vor wenigen Tagen vergeblich verfolgt hatte. Es war ein Fräulein aus Sachsen, aber Deinen Thon der Sprache und Dein Lachen hatte sie nicht. Sollte die Aehnlichkeit vollkommen seyn, so müßte ich an ihr auch noch eine kleinere Nase gefunden haben, als die Deinige die wie Du wol weißt, ungebührlich klein ist, aber nein. Ich sprach mit ihr und sie redete sehr verständig und ungezwungen über Ifland über das Theater, über einige Bücher und was dergleichen Unterhaltungspläze in solchen Zirkeln mehr sind aber ein besonderes Interesse fand ich dann auch nicht an ihr. Meine Nase, die hier im Geruch der Philosophie steht und sich gegenwärtig an einem anhaltenden Schnupfen sehr übel befindet bitte ich in allen Ehren zu laßen um so mehr da ich unmittelbar dadurch angegriffen werde, denn es ist nicht eigentlich ihre Länge sondern ihre Dike was Dir mißfällt, und diese habe ich unstreitig selbst gemacht. A propos ehe ichs vergeße: sage mir doch nächstens ja wie es mit Strampfs steht denn wenn sie hier sind möchte ich ihnen doch gern meinen Besuch machen. Für heut lebe wol ich habe Dir noch viel zu sagen und der Brief wird sich schon noch ein paar Posttage gedulden müßen. |
den 22ten October. Aus den Paar Posttagen sind ein paar Wochen geworden und deßen was ich Dir zu sagen habe ist unterdeß nicht weniger sondern mehr geworden. Da sind vor einigen Tagen die Dohna’s zurük gekommen und haben mir viel aus Preußen erzählt. Alles befindet sich wol, alles lebt einträchtig, Comteße Karoline ohne Geheimniße und ohne Spannung mit ihren Eltern, die Gräfin von Karwinden auf dem vertrautesten Fuß der je stattgefunden hat. Der frohen Feste sind während dieses Aufenthalts viele gefeiert worden, unter andern ist Graf Louis Geburtstag den 8ten September mit einer großen militärischen Fete begangen worden. Graf Fabian der bisher als Junker in Königsberg vielerlei Unannehmlichkeiten erduldet ist Offizier geworden, und meiner erinnern sich Alle, wie die Grafen versichern, freundlich und liebreich. Es thut mir doch immer noch sehr wohl von dort zu hören und mein herzliches Interesse an diesen lieben Leuten wird nie aufhören. – Da haben die Grafen noch einen andern Dohna mitgebracht und in dem habe ich einen alten Bekannten entdekt; es ist der Dohna, den ich als Knabe in der Anstalt in Niesky gekannt habe, und der mit Karl auf einer Stube wohnte. Er war ein außerordentlich schönes Kind und ist jezt mit starken Traits und von den Poken verdorben nichts weniger als hübsch. Was innerlich aus ihm geworden ist, kann ich freilich von einmal sehen nicht beurtheilen. Eigentlich wollt ich Dir aber von einer weit interessanteren Bekanntschaft erzählen die ich zwar dem äußeren nach schon diesen Sommer gemacht aber die erst seit kurzem für mich recht wichtig und fruchtbar geworden ist. Es ist nichts weibliches sondern ein junger Mann, der – merkwürdig genug Schlegel heißt und sich jezt hier aufhält. Ich lernte ihn zuerst in einer geschloßenen Gesellschaft kennen von der ich ein Mitglied bin wo man zusammen kommt um sich Aufsäze vorzulesen, schöne schriftstellerische Werke zu beherzigen, literarische Neuigkeiten mitzutheilen u.s.w. Ich weiß nicht ob ich Dir von dieser Gesellschaft unter dem Namen der Mittwochsgesellschaft schon etwas geschrieben habe; wo nicht so soll Dir nächstens eine nähere Nachricht davon zu Dienste stehen. Hier lernte ich Schlegel zuerst kennen dann sah ich ihn öfters bei Herz und Brinkmann der seine Bekanntschaft schon vor einigen Jahren gemacht hatte brachte uns näher zusammen. Er ist ein junger Mann von 25 Jahren, von so ausgebreiteten Kenntnißen, daß man nicht begreifen kann, wie es möglich ist bei solcher Jugend soviel zu wißen, von einem originellen Geist, der hier wo es doch viel Geist und Talente giebt alles sehr weit überragt, und in seinen Sitten von einer Natürlichkeit, Offenheit und kindlichen Jugendlichkeit, deren Vereinigung mit jenem allem vielleicht bei weitem das wunderbarste ist. Er ist überall wo er hinkommt wegen seines Wizes sowol als wegen seiner Unbefangenheit der angenehmste Gesellschafter. Mir aber ist er mehr als das, er ist mir von sehr großem wesentlichen Nuzen. Ich bin zwar hier nie ohne gelehrten Umgang gewesen, und für jede einzelne Wissenschaft die mich interessirt hatte ich einen Mann mit dem ich darüber reden konnte; aber doch fehlte es mir gänzlich an einem, dem ich meine philosophischen Ideen so recht mittheilen konnte und der in die tiefsten Abstraktionen mit mir hineinging. Diese große Lüke füllt er nun aufs herrlichste aus; ich kann ihm nicht nur was schon in mir ist ausschütten sondern durch den unversiegbaren Strom neuer Ansichten und Ideen der ihm unaufhörlich | zufließt wird auch in mir manches in Bewegung gesezt was geschlummert hatte. Kurz für mein Daseyn in der philosophischen und litterarischen Welt geht seit meiner nähern Bekanntschaft mit ihm gleichsam eine neue Periode an. Ich sage seit meiner nähern Bekanntschaft, denn ob ich gleich seine Philosophie und seine Talente weit eher kennen und bewundern lernte so ist es doch eine Eigenheit von mir, daß ich auch in das Innere meines Verstandes Niemanden hinein führen kann wenn ich nicht zugleich von der Unverdorbenheit und Rechtschaffenheit seines Gemüths überzeugt bin; ich kann mit Niemand philosophiren deßen Gesinnungen mir nicht gefallen. Nur erst nachdem ich hievon soviel Gewißheit hatte, als man mit gesunden Sinnen aus dem Umgang und den kleinen Äußerungen eines Menschen schöpfen kann, gab ich mich ihm näher und bin jezt sehr viel mit ihm. Er hat keine sogenannte Brodtwissenschaft studirt, will auch kein Amt bekleiden, sondern so lange es geht spärlich aber unabhängig von dem Ertrag seiner Schriftstellerei leben, die lauter wichtige Gegenstände umfaßt und sich nicht so weit erniedrigt um des Brodtes willen etwas mittelmäßiges zu Markte zu bringen. An mir rupft er beständig ich müßte auch schreiben, es gäbe tausend Dinge die gesagt werden müßten und die grade ich sagen könnte, und besonders seitdem er mich in der erwähnten Gesellschaft eine kleine Abhandlung hat vorlesen hören läßt er mir keinen Tag ruhe. Wir kauen jezt an einem Projekt, daß er auf Neujahr zu mir ziehn soll, und ich würde mich königlich freuen wenn das zu Stande käme, denn jezt kostet mich jeder Gang zu ihm hin und zurük immer eine Stunde Weges. NB. den Vornamen hat er von mir: er heißt Friedrich; er gleicht mir auch in manchen Naturmängeln, er ist nicht musikalisch, zeichnet nicht, liebt das französische nicht, und hat schlechte Augen. Seit 8 Tagen habe ich einen großen Theil meiner Vormittage die ich sonst sehr heilig halte bei ihm zugebracht um eine philosophische Lektüre mit ihm zu machen die er nicht gut aus den Händen geben konnte. Daß ich soviel von ihm geplaudert habe wird Dir hoffentlich nicht unlieb seyn, da er zu denen gehört die mir jezt hier die liebsten sind. – Aus Landsberg habe ich unangenehme Nachrichten: Benike ist an hypochondrischen Uebeln denen er von Zeit zu Zeit unterworfen ist sehr ernstlich und fast gefährlich krank und die arme Frau hat ihre tausend Noth und Sorge. Sie bildet sich fest ein daß er sterben wird, schläft keine Nacht, sezt ihre schwache Gesundheit zu, und ich size hier und kann zu alle dem Elende nichts thun, denn weder mein Beutel noch meine Verhältniße laßen es zu daß ich jezt hinreisen kann. Von der Mutter habe ich seit ewigen Zeiten nichts gehört und von Arensberg auch noch keine Nachricht ob gleich Karl versprach zu schreiben sobald er angekommen wäre und sich ein wenig umgesehen hätte. In der Hofnung daß er sein Wort halten will, will ich diesen Brief der doch schon so lange gelegen hat noch einige Tage warten laßen damit Deine Freude desto größer sei wenn Du gleich erfährst wie es der guten Seele geht. Wollte ich anfangen zu klagen wie sehr er mir fehlt und wie nichts was ich in dieser Rüksicht befürchte zu viel war so würde ich das Ende sobald nicht finden können. Ich will mich aber darauf nicht einlaßen; wem wäre auch damit geholfen. – Es ist sehr spät, so spät daß Du schon halb ausgeschlafen haben kannst. Möchtest Du wol ruhen, und möchte mich meine Hofnung Dir noch etwas angenehmes vor Abgang dieser Epistel mittheilen zu können nicht trügen. |
den 12ten November. Was ist das Warten auf etwas für eine verführerische Sache! Endlich hat zwar Karl geschrieben, und ich kann Dir seinen Brief beilegen aber ich schike doch diese Epistel nicht ohne Vorwürfe ab die ich mir selbst darüber mache. Wie lange wirst Du, gute Seele, vergeblich nach Briefen ausgesehn haben und mit was für traurigen Muthmaßungen hast Du Dich unterdeß gequält. Denke Dir aber nur was unterdeß vorgegangen und wie entsezlich ich mich geärgert habe daß Karl nach Arensberg gegangen ist. Schon ehe er die Unannehmlichkeiten hier hatte die die Veranlaßung gaben daß er seinen Abschied nahm äußerte er öfters den Wunsch in Stettin conditioniren zu können. Es ist nemlich dort ein Hofapotheker Maier der einen Handel en gros mit MedicinalWaaren die er selbst verfertigt betreibt und wo er also die herrlichste Gelegenheit hatte sowol im Wissenschaftlichen als vorzüglich im Merkantilischen seines Faches die genauesten Kenntniße zu erwerben. Ueberdem hatte es einen Reiz für ihn in einer See und Handelsstadt dergleichen er noch gar nichts gesehn hat zu leben. Sobald er also hier quittirt hatte schrieb ich an den Doktor Rhades von dem ich wol von Landsberg aus Erwähnung gethan habe und der jezt in Stettin wohnt und mit Maier verwandt ist – und nun 4 Wochen nachdem Karl abgereist ist komt ein hiesiger Apotheker zu mir dem Maier den Auftrag gegeben hat meinen Bruder – in der Voraussezung daß er noch hier wäre zu engagiren und zwar auf die ehrenvollste Art als Aufseher seines Laboratorii. Zum Glük stehn die Sachen so daß wenn er nur zu Neujahr dort abkommen kann die Stelle ihm unverloren ist, und ich habe also meine Epistel an ihn, die sich ohnedies zum Abgehn qualificirte sogleich abgesandt. Und nun ist mir sein Brief so sehnlich er erwartet war doch um ein paar Tage zu früh gekommen denn 2 Tage nach Abgang desselben muß der meinige dort eingetroffen seyn. In solchen Dingen jemanden zu rathen ist freilich höchst mißlich aber mein innerster Wunsch ist er möge Herz faßen und aus seinem Westfälischen Winkel zurükkommen.
Von der Mutter – die von Karls Abgehn von hier noch gar nichts weiß habe ich auch vor ein paar Tagen Briefe gehabt an mich und ihn, und | Schwester Aennchen hat auch ein paar Zeilen beigelegt. Ach Gott werde ich die guten Kinder nie sehn? Die Mutter schreibt daß endlich auch der Bücherverkauf und die ganze Auseinandersezung zu Ende gekommen sei und vermuthet, daß die Regierung uns schon Nachricht davon gegeben haben werde – mir ist aber noch nichts zu Ohren gekommen, wol Dir? Wegen Karl wird das wieder eine Menge von Weitläuftigkeiten machen. Ich will noch diesen Monat auch an die Mutter schreiben und sie bitten die Sache in Anregung zu bringen
Und nun auch nicht eine Stunde länger denn es ist die lezte Stunde vor Abgang der Post und vor einem Abgang zu Herz wo Du mich jezt bestirnt alle Sonntag Abend suchen kannst die ich da mit den Grafen mit Schedes mit Schlegel und oft auch mit Brinkmann zubringe.
Lebe wol, mache es nicht wie ich, sondern laß recht bald von Dir hören und möchte es von Deiner Gesundheit recht viel tröstliches seyn. Wir haben jezt hier seit mehreren Tagen einen drükenden Nebel und einen höchst unangenehmen Herbst und ich habe mit vielem Trübsinn an den Einfluß gedacht, den solche Witterung wenn ihr sie dort so habt auf Deinen Körper haben mußte. Was macht Line Aulock? scheint die Verändrung zu ihrem Vortheil auszuschlagen, und wie ist sie, wenn sie mit der Mutter euch besucht? Um so mehr mußt Du bald schreiben weil Dein Brief sehr sparsam ausgestattet war mit Nachrichten von den lieben Leuten, denen ich wie Du weißt so attachirt bin[,] von der Aulock Prittwiz Zimmermann ja selbst von Lotten der mein ganzes Herz dankt für ihre Sorgfalt an Dir, steht nur wenig darin. Benike ist dem Himmel sei Dank wieder gesund und der Onkel scheint sich auch je länger je mehr zu erholen und mit dem Körper auch seinem Geist Leben zurükzukehren. Möchtest Du auch bald ganz wieder die Freude der Gesundheit kosten das ist der erste Wunsch Deines treuen Bruders
Friz