Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
TEI-Logo

Samuel Ernst Stubenrauch to Friedrich Schleiermacher

den 5ten Septb. 97
Mein lieber Neveu
Diesmal bin ich wohl freilich mit der Antwort sehr lange in Rükstand geblieben, woran einestheils die schwüle Hitze, die wir wohl 14 Tage lang gehabt haben, anderntheils auch wohl mancherley kleine Zerstreuungen Schuld waren, wozu auch noch die Beschäftigungen in unserm Gärtchen kamen, wozu ich nur die früheren Morgenstunden und die Abendzeit anwenden konnte[.] Und da gestern vor 8 Tage die gute Benike zu einer Zeit zu uns kam, wo sie sonst wohl noch in Morpheus Armen zu ruhen pflegt, um ihr Herz einigermaaßen von dem großen Kummer, den ihr die Nachricht, die Sie ihr von der Unthat des jungen Koehler so ganz ohne alle Vorbereitung geschrieben hatten, zu erleichtern so wollte ich, da sie schon wieder zurük an Sie geschrieben hatte, nun auch noch Ihren nächsten Brief abwarten um daraus über diese, nach der ersten Erzählung ganz unerklärliche und mir fast unbegreifliche Sache, nähere Erläuterungen zu erhalten. Da kam mir nun vorgestern als an meinem | GeburtsTage Ihr lieber Brief ziemlich unerwartet, so wie auch die liebe Benickens mit ihren theilnehmenden Wünschen. Gott wird nach seiner weisen Güte und bisher an mir bewiesenen Vatertreue soviel derselben zu meinem wahren Beßren dienlich sind, erfüllen. Für die überschriebenen mancherley Nachrichten, so wie auch für die richtig erhaltene Besoldung sage ich Ihnen ebenfalls den verbindlichsten Dank. Sehr auffallend war es mir, daß Herr Sack wollte in der Charité predigen aber das war mir ganz neu, daß Sie schreiben – die hohen Kanzeln verursachten ihm Schwindel, und er habe deswegen schon lange nicht gepredigt. Hat ihn denn die Pyrmonter Kur nicht von diesem Uebel befreyen können? Ich freute mich so, als Sie in ihrem vorigen schrieben – er sey von Pyrmont sehr munter und gestärkt zurükgekomen – aber dieser Schwindel gefällt mir ganz und gar nicht[.] Schreiben Sie mir doch ja bald recht erwünschte Nachrichten von ihm.
den 6ten Da habe ich eben in der Allgemeinen Literatur Zeitung von der Actenmäßigen Darstellung der Ideen, Handlungen und endlichen Schiksale des dimittirten Predigers Brumbey pp Amsterdam 1797 eine Anzeige gefunden, und daraus ersehen, daß dieser sonderbare Schwärmer im Juli dieses Jahres wieder – auf Erlaubnis zu Regulirung seines Vermögens in Berlin gewesen – vermuthlich wird er da doch nicht wieder neuen Unfug mit seinem GottesFleisch gemacht haben, worauf seine Anhänger gar viel zu halten scheinen. In hiesigen Gegenden macht die Absetzung des Cladowschen Predigers anjetzt auch einiges Aufsehen; anfangs ward er allenthalben – so weit wenigstens hier meine Bekantschaften reichen – für einen unruhigen Kopf, dem | durch die Absetzung Recht geschähe, gehalten, und mir ward es von manchen als Schwäche ausgelegt, wenn ich einiges Mitleid wegen seiner Familie blicken ließ – und auch unter den Bürgern hatte sich bis dahin eben niemand für ihn interessirt. Nun er aber sich nicht länger halten kann, hat er in mehreren Abschriften N. 205 aus dem Porstischen Gesangbuch Gott selbst hat diese Wahrheit fest versiegelt pp ausgetheilt und austheilen laßen – und das wirkt wenigstens bey vielen – auch angesehenen – unter der hiesigen Bürgerschaft, die ihn nun als einen unschuldig Verurtheilten ansehen.
Daß in unserer kleinen Anzahl reformirter Prediger es auch immer noch solche anbrüchige wie Becker in Halberstadt und nun Beck geben muß, dauert mich sehr, gut aber ists noch, daß sie bald entdeckt werden, und dann auch ohne Gnade ihr Amt verlieren[.] Denn so sehr ich auch sonst mit solchen selbst die ihr Unglük sich zugezogen – Mitleiden habe; so wird es doch hier von dem Gedanken an den großen Schaden, welchen unmoralische Prediger anrichten – gleichsam erstickt
den 10ten VorMittag Aber es ist Zeit, daß ich schließe, damit die Einlage nicht zu stark wird, und die Benike sie noch zur rechten Zeit erhalte[.] Vermuthlich werden sie auch nicht unzufrieden seyn, daß sich das Wetter abkühlet – hier wenigstens hatten wir einige Zeit eine fast unerträgliche Hitze – ob nun darauf auch ein sehr strenger Winter folgen werde, das muß man erwarten; hier ängsten sich schon viele darüber im voraus[.] Gott sey Dank! daß ich von solcher Aengstlichkeit frey bin. Viele herzliche Grüße von Mama und David – auch an ihren lieben Bruder und viele große herzliche Empfehlungen an den alten lieben Vetter Reinhard und an alle, die sich dort meiner erinnern
von ihrem treu ergebensten Oheim
Stubenrauch
Landsberg an der Warthe den 10ten September 97
Von dem unglüklichen Koehler heißt es jetzt hier daß er – schon seit einiger Zeit – beym Anfüllen der Bomben, treuloser Weise Pulver entwandt. Nur möchte ich denn doch wohl wissen, an wen solche junge Leute das solchergestalt entwandte Pulver verkaufen? und ob diese nicht auch gestraft werden müssen?
Metadata Concerning Header
  • Date: 5. bis 10. September 1797
  • Sender: Samuel Ernst Stubenrauch ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 181‒185.

Basics · Zitieren