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Samuel Ernst Stubenrauch to Friedrich Schleiermacher

Landsb. a. d. W. d. 4ten Novb 1797
Lieber Neveu
Mit unsrem lieben Benike beßert es sich jetzt recht merklich, und ich wünsche und hoffe auch, daß es mit dieser Besserung Bestand haben möge[.] Einigemale war unsere gute Benike schon recht bange, daß sie ihn verlieren würde, obwol meiner Einsicht nach die Gefahr so groß nicht war. Aus der Behandlung des RegimentsChirurgen kann man aber wohl sehen, daß der gute Mann noch eben nicht viel hypochondrische Patienten gehabt haben müße, da er dem guten Benike es so übel nimmt, daß er bey seinen Zufällen so peinlich ist und immer das schlimmste vermuthet oder besorgt: Und doch ist gerade dies ängstlich-peinliche – gerade charakteristisch bey dem Hypochondristen; daher hier das moralische Predigen und zur Ruhe verweisen – wohl gar nicht zweckmäßig, indem ja eben durch die Pressungen im Unterleibe die freyen Wirkungen der Seelenkräfte geschwächt, gestört und völlige Besonnenheit gewissermaaßen ganz gehindert wird. Sehr rührend war mirs, wenn der arme Benike in seinen großen Beängstigungen so oftmals rief: „Ach! du lieber Rades, wärst Du nur hier, Du würdest mir gewiß einige Linderung verschaffen.“ Endlich haben denn doch auch die von Rades vormals empfohlne KlystierArten am meisten Hülfe geschafft
A propos hat die Benike Ihnen auch schon etwas von ihrem Vorhaben, Emilien nächsten Sommer nach Gnadenfrey zu schicken, geschrieben? und was dünkt Ihnen dazu? Obs gerathen ist – oder nicht – |
den 5ten Daß der Cantor Feuerheerd in Drossen gestorben wißen Sie vielleicht – vielleicht auch nicht, denn an sich wird es Sie wenig interessiren. Hier aber hat unsres Cantors ältester Sohn sich zu der Stelle gemeldet, und da wünscht nun besonders der Vater sehr, zu erfahren, ob die Stelle schon vergeben – und ob sein Sohn nicht etwa eine anderweitig dadurch erledigte Stelle erhalten werde. Ich habe es ihm selbst zu mehrerenmalen gesagt, daß ich seinem Sohne die Drossener Stelle eben nicht wünsche, weil ich glaube daß Herr Kriege sich sehr barsch gegen ihn bezeigen möchte. Nun schrieb letzthin die Frau Caplanin an unsere Frau D. Schulzen (welche nebst ihrer Mutter sich Ihnen ergebenst empfehlen läßt.) daß die Stelle durch einen jungen Mann aus dem Hartungschen Institut besetzt sey, dem sie auch schon eine Frau aus Drossen zugedacht hat. Da ich aber den Nachrichten der Frau Caplanin keinen unbedingten Glauben beymeße: So hoffe ich hierüber von Ihnen etwas Zuverläßigeres zu erfahren
Mein lezteres Schreiben – ohne Ende – wird Ihnen vielleicht etwas aufgefallen seyn; es ging aber ziemlich natürlich zu[.] VorMittag waren die Kinder hier, und um 11 ging ich zu Benike. Gleich nach Tische erhielt ich Allgemeine Literatur Zeitung die ich bald wieder fortschicken muß – als ich daher durch David erinnert ward, daß es Zeit sey, den Brief auf die Post zu schicken, siegelte ich alles schnell zusammen, indem eine bloße Unterschrift den Brief doch nicht hätte ergänzen können, Ihnen auch meine Hand schon bekannt genug ist
Jetzt will ich wieder etwas zu Benike gehen, werde aber hoffentlich doch noch wohl ein Viertelstündchen finden, um mich noch etwas mit Ihnen zu unterhalten. Daß der Leidprediger am vorigen Mittwoch hat taufen laßen, wird Ihnen die Benike gewiß schon geschrieben haben, da sie selbst Gevatterin war, ich war indeß bey ihrem Manne nebst Frau Werkmeister und Herrn [Pestel] – |
Noch geht es mit des guten Benike Besserung recht gut, nur freilich wie sich von selbst denken läßt, etwas langsam – sie meint zwar, er werde wohl binnen 8 Tagen wieder aufs Rathaus gehen können, welches ich ihr aber sehr auszureden suche; denn man sieht es ganz deutlich, daß jede Anstrengung ihm schädlich, ja selbst etwas anhaltendes Sprechen ihn zu sehr angreift[.] Ich weiß daher auch nicht, ob es wohl gethan, daß er schon morgen auf seine Stube sich in Geschäfte einlaßen will[.] Da schikte heute [Selcho] zu ihm: es würden morgen ein paar Edelleute hier ankomen die eine Obligation auf 30 000 rth ausgefertigt wünschen[.] Benike schien im Anfang keine Lust – fragte ob das Geschäft nicht noch auf 8 Tage ausgesetzt werden könne – da aber dies nicht angeht, weil die Herren morgen schon hier erwartet werden so sind sie nun zu ihm beschieden – sie glaubt vielleicht daß dies eine Zerstreuung, vielleicht wohl gar eine Aufheiterung für ihn seyn solle – ich denke hierüber anders, und wünsche von ganzen Herzen, daß sie nicht Ursach haben mögen es zu bereuen
Und nun wird es Zeit diesen Brief zu schließen[.] Vorher nur noch eine kleine Bitte Mama, die Sie vielmals grüßt, wünschet einen kleinen franzoesischen Kalender – Sie werden sich vielleicht noch von Halle und Drossen erinnern daß es kein Etuis – auch kein genealogischer – sondern ein ganz gemeiner, bloß gehefteter Kalender, der anfangs 2 gr 6 Pfennig in der Folge 3 gr jetzt vielleicht 4 oder 5 gr kosten dürfte Die Auslage dafür, so wie die übrigen Auslagen für Davids Bücher – auch das lezte BriefPorto nicht zu vergessen – werden Sie von der Besoldung an sich behalten[.] Und nun leben Sie recht wohl vielmals gegrüßt von uns allen, und wer dort sich unser erinert, dem bitte aufs freundschaftlichste zu empfehlen
Ihren Sie herzlich liebenden Oncle
St.
Metadata Concerning Header
  • Date: 4. bis 5. November 1797
  • Sender: Samuel Ernst Stubenrauch ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 203‒205.

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