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Samuel Ernst Stubenrauch to Friedrich Schleiermacher

Landsb. a. d. W. 30ten Nov 1797
Mein sehr werther lieber Neveu
Damit nicht durch meine Schuld unsere Correspondenz, die jetzt wieder in einem so guten Gange ist, unterbrochen werde, so fange ich diesen Brief lieber ein paar Tage früher an, um nicht hernach über Mangel an Zeit klagen zu dürfen; Sie haben vorigen Sonntag wieder uns allen – wir waren gerade wnd blieben zum Abend bey Benike's – viel und großes Vergnügen gemacht. Mir war es besonders rührend, daß unser jetziger König dem von unserm Herrn Sack erhaltenen Unterricht jetzt durch seine vernünftige Religiosität soviel Ehre macht – und auch in der DienstagsZeitung, die ich jetzt eben gelesen, finden sich auch dergleichen Aeußerungen beydes von dem Könige und seiner Gemahlin, woraus auch das was Sie von ihrem herrlichen Ausdruck schrieben, vortreflich bestätiget wird. Da können wir ja wohl mit Grunde – auch für die Moralität – sehr glüklichen Zeiten entgegen sehen. Und wie es scheint, wird auch wohl der Einfluß der Herren Hermes Hilmer auf die Censur nicht mehr fürchterlich seyn[.] Freilich glaube ich hatten wir Reformirten wohl immer noch am wenigsten von ihnen zu besorgen und ich bin sicher, daß Sie – wenn auch Herr Sack nicht dazwischen getreten wäre – sich wohl würden zu verantworten gewußt haben. Sehr lieb ist es mir, zu sehen, daß nun Ihre Uebersetzung doch bereits im Druck ist – wenn darauf Subscription oder Praenumeration angenomen werden sollte – so bitte meiner nicht zu vergessen
Für die Nachricht, die Sie mir von Ihrem lieben Bruder geben, danke ich Ihnen herzlich, aber noch weit lieber wäre es mir doch, wenn er die angebotene Condition in Stettin lieber angenomen hätte
Sie schreiben von einer Vacanz in Jericho – aber zur Ergänzung meiner PredigerListe wünschte ich doch auch zu erfahren ob der Allard, der nach derselben bisher dort gestanden, gestorben oder befördert worden |
Mein Herr Kriege macht mir immer noch zu schaffen, jedoch nur indirecte – und ich bin herzlich froh, daß ich keinen Briefwechsel mehr mit ihm habe. Vor einigen Monaten erhielt ich von der OrdensRegierung seine Klage gegen die Kirchenvorsteher, daß sie den geringen Ueberrest von AbendMahlswein sich zu Gemüthe führen – communicirt; und vor 14 Tagen vom KirchenDirectorio seine Klage gegen den guten Prediger Pfarr in Neu-Trebbin, welcher die Tochter eines Colonisten in Hamshire confirmirt hatte, da die Aeltern, die erst in Neu Trebbin gewesen und dort Verwandte haben, das Mädchen ohne Kosten dort von einem Prediger unterrichten laßen konnten, zu dem sie überdies großes Zutrauen hatten[;] nun hat Kriege behauptet – sie könne nicht lesen – ohne doch die geringste Prüfung mit ihr vorgenomen zu haben, bloß weil sie nicht – bey dem reformirten SchulMeister, dem armseeligen Weyde, dessen Sie sich vielleicht noch erinern – in die Schule gegangen, und ich kann Sie versichern, das Mädchen lieset besser – als viele hier in der Stadt, ich habe mit der lezten Post meinen Bericht nach Berlin geschikt, und ich hoffe, daß er gut aufgenomen werden wird. Wenn Sie etwa Gelegenheit haben mit Herrn Sack (dem ich mich bestens zu empfehlen bitte) darüber zu sprechen, so schreiben Sie mir doch auch darüber – und erinnern Sie doch auch gelegentlich, daß man wenn eine Zulage aufkommt – meiner nicht vergeße
Ad vocem erinnern (wie Wilmsen sich auszudrücken pflegte) wollte ich auch wohl erinnern an die Angelegenheit unseres Doniges wegen des Hartungschen Instituts – und bitten auch zu seiner Zeit die französischen Pfefferkuchen nicht zu vergessen
Wie steht es denn mit dem Herrn Professor Thym? ist er von seiner Hypochondrie etwas befreyt – und wird er sein Mädchen heyrathen? |
den 1ten December
Sie schrieben letzthin von so manchem man sagt, das aber bis jetzt noch nicht zu verbürgen sey. Daher lege ich Ihnen so einiges von dem was man hier sagt – oder aus sicheren Berliner Briefen wißen will, zu ihrem videtur vor
1) Der jetzt regierende habe gleich nach dem Sterbefall der – den Ring vom Finger gezogen mit den Worten: Der Ring gehört weder meinem Vater noch mir; er gehört der Krone
2) Dem OberConsistorialRath Teller nach der Complimentirung, die ich auch gestern in der Zeitung las – gesagt: Er wünsche, daß man ihm nicht eher Weyrauch streuen möchte, bis er das Werk erst glüklich vollendet habe
3) wird auch sehr viel gesprochen von einer Brieftasche, welche der Hochseelige unter seinem Kopfkissen gehabt, und welche hernach auch bey der Gräfin – und ihr von dem Officier, der ihr den Arrest angekündiget, nebst den übrigen Ringen und Juwelen abgenommen worden sey
4) Soll der König den jungen Voss (von seinem Vater mit der Gräfin Ingelheim) haben zu sich kommen laßen, und ihn seiner Gemahlin ungefähr mit den Worten „Das ist ein lieber Sohn meines Vaters, den empfehle ich Ihnen ganz besonders“ vorgestellet – und dann zu dem Kinde selbst gesagt haben: Ich werde mich seiner besonders annehmen
Ueberhaupt haben wir ja – nach allem was bis jetzt auch zuverläßig bekannt ist – wohl gewiß Ursach, einer glüklichen Zukunft entgegen zu sehen Was Sie in dieser Rüksicht erfahren werden Sie auch das hoffe ich gewiß – fortfahren uns mitzutheilen; so wie ich mich auch darauf verlaße, daß Sie mir von den im Dom veranstalteten Leichenfeyerlichkeiten zu seiner Zeit Nachricht geben werden
Für heute wünsche ich Ihnen von Herzen eine Gute Nacht.
5) Auch soll man eine ehemalige Kamerjungfer der Gräfin, von der sie vorgegeben sie sey pp – in Spandau gefunden haben, und nun mit ihr confrontiren |
den 2ten Abends
In wenig Tagen werden Sie eine gute Bekannte von hier in Berlin haben – und wer das seyn wird? das werden Sie, wenn es Ihnen auch nicht schon die Benike geschrieben, doch wohl bald errathen. Unser guter Benike der schon seit 14 Tagen wieder das Rathaus besucht, hat in dieser Woche die Hahnsche Auction, wo die Sachen größtentheils – auch die Bücher selbst, welche sonst in der NeuMark so ziemlich verlegene Waare zu seyn scheinen – ziemlich gut verkauft werden[.] Von den auswärtigen Erben sind, außer Bennewitzen, von Lagow, auch der Adjutant aus Breslau und der KammerConducteur Graffunder zur Auction hergekommen, und Mademoiselle Hahn sagte letzthin, daß sie den 14ten oder spätestens den 16ten nach Berlin zu reisen gedächte, da sie dann zu den Solennitaeten wohl gerade zur rechten Zeit eintreffen wird
Unsere Benike hat mir neulich gesagt, wie allerliebst Ihre dortige Freunde und Freundinnen Sie an ihrem Geburtstage überrascht haben, woran wir denn, wie Sie leicht denken können, hier alle recht herzlichen Antheil genommen haben, nur bedauern wir, daß wir unsere Theilnahme nicht auch haben werkthätig beweisen können sondern es bloß bey unsern treugemeinten Wünschen haben bewenden laßen müßen
Daß der gute Maresch in Cüstrin an der gelben Sucht krank liegt, habe ich Ihnen vielleicht schon geschrieben, ich erfuhr es zuerst von unserer Frau Scheelen, die kürzlich in Cüstrin gewesen. Endlich aber erhielt ich auch mit der gedrukten Abkündigung ein Schreiben von ihm[.]
Der gute Mann hat durch diese Krankheit seines Schwiegersohns nun auch doppelte Arbeit, indem er ihn kurz vorher als Nachmittagsprediger introducirt hatte, und nun die wiedereingeführten Nachmittagspredigten doch nicht gleich wieder eingehen laßen will. Sonst pflegen ja wohl die Abkündigungen hoher Sterbefälle von unserm Sack zu seyn. Wissen Sie nicht ob er auch die diesmalige abgefaßt – oder wer sonst?
Und da diese Seite zu Ende ist, so werde ich wohl der Stimme des rufenden Wächters folgen und mein Bettlein suchen müßen |
den 3ten
Unser Herr Feldprediger hat den letzten Geburtstag des verstorbenen Königs ob vielleicht im Vorgefühl daß es der lezte seyn würde – quam solennissime mit der Garnisonschule in Gegenwart sämtlicher Staats- und mehrerer andren Officiere gefeiert, und die dabey gehaltne Rede – aber freilich etwas weiter ausgeführt – unter dem Titel „Versuch über die Quellen der Vaterlandsliebe beym Brandenburger vorzüglich im Soldatenstande – Berlin in der Buchhandlung des hallischen Waysenhauses auf 72 S. 8VO“ drucken laßen – und hier geheftete Exemplare für 6 gr ausgetheilt zum Behuf der Garnisonschule[.] Sie ist dem damaligen Kronprinzen zugeeignet, von dem er auch ein sehr gnädiges Antwortsschreiben erhalten hat
Sie schrieben mir ja wohl, daß Sie bey der Gerlachschen Verheyrathung auch den OberConsistorialRath von Irwing hatten kennen gelernt. Haben Sie nicht diese Bekantschaft fortgesetzt? So wie ich Ihn sowol in ganz früheren Jahren bey meinem seeligen Bruder – als vor etwa 30 Jahren verschiedentlich bey meinem lieben Lipten gesehen, habe ich ihn immer als einen sehr aufgewekten jovialischen – und zugleich sehr freundschaftlichen Mann genannt, der Ihnen hoffentlich interessant seyn würde. Sollten Sie Ihn zu sprechen Gelegenheit [haben] so bitte ich Ihm recht viele freundschaftliche Empfehlungen, so wie auch an unseren lieben Herrn Sack KammerDirektor Stubenrauch pp zu machen von
Ihrem aufrichtig treuen Oheim
St
französischen Kalender und Pfefferkuchen bitte ja nicht zu vergeßen. Viele herzliche Grüße von Mama und große Empfehlungen von David[.] Vielleicht erhalte ich diesen Abend wieder ein Brieflein von Ihnen.
Metadata Concerning Header
  • Date: 30. November bis 3. Dezember 1797
  • Sender: Samuel Ernst Stubenrauch ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 222‒228.

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